Название: Dr. Norden Staffel 2 – Arztroman
Автор: Patricia Vandenberg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Dr. Norden
isbn: 9783959790024
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Philomena gab vor, diese Frage nicht gehört zu haben. Sie musterte ihre Besucherin eindringlich.
»Aber freuen Sie sich nicht zu früh auf die schöne Zweisamkeit. In dieser Gegend werden Sie niemals mit Hanno allein sein. Helena ist allgegenwärtig, nicht nur in diesem Haus. Wussten Sie, dass die Ratsherrenstube ihr Lieblingslokal war? Dort hängt sogar ein lebensgroßes Foto von ihr.« Ohne den Kopf zu drehen, ließ sie ihre blassen Augen von einer Ecke des Flurs zur anderen wandern. »Manchmal denke ich wirklich, dass sie jeden Augenblick zur Tür hereinkommt.«
»Das denke ich auch«, gab Wendy kühl zurück. »Und dann stehen jedes Mal Sie vor mir.« Unwillig schüttelte sie den Kopf. »Helena ist Geschichte. Warum wollen Sie das nicht endlich wahrhaben?«
Philomena lachte hämisch.
»Wenn Sie das glauben, dann irren Sie sich gewaltig. Helenas Geist hat diesen Ort nie verlassen«, stellte sie unmissverständlich klar. »Ich wünsche einen schönen Abend!«
Fassungslos starrte Wendy ihr nach, als sie sich umdrehte und durch eine Tür verschwand. Mit einem Schlag war ihr die Lust auf diesen Abend vergangen, und als Hanno wenig später die Treppe hinunterkam und ihr gut gelaunt den Arm reichte, war sie still und in sich gekehrt.
»Was ist, meine Liebe? Du bist ja ganz blass«, fragte er besorgt. »Bist du einem Gespenst begegnet?«
»So könnte man es auch sagen.«
Hanno konnte sich denken, worauf sie anspielte.
»Dann vergiss diese unliebsame Begegnung und freu dich auf unseren Abend mit herrlichem Essen und gutem Wein. Du als Feinschmeckerin wirst bestimmt begeistert sein«, versprach er feierlich. »Hast du was dagegen, ein paar Schritte zu Fuß zu laufen? Die Ratsherrenstube ist nicht weit von hier, und ich könnte dir bei dieser Gelegenheit meinen Besitz zeigen.«
Am liebsten wäre Wendy sofort abgereist. Doch Hanno war so aufgekratzt und fröhlich, dass sie es nicht übers Herz brachte, ihn zu enttäuschen. Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen und hakte sich bei ihm unter.
»Da bin ich ja mal gespannt.«
»Das kannst du auch sein.« Während sie zuerst über den Hof schlenderten und dann auf eine schmale Allee abbogen, erzählte Hanno unterhaltsam von den Zeiten, die das altehrwürdige Anwesen schon erlebt hatte. »Manchmal wünschte ich mir, dass die Steine sprechen könnten. Stell dir doch nur mal vor, was sie schon alles gesehen haben. Die Menschen, die dort ein und aus gegangen sind … Es würde mich brennend interessieren, von ihrem Leben und den Zeiten damals zu erfahren.« Dieser Gedanke faszinierte auch Wendy, und gemeinsam schmückten sie diese Idee aus, bis sie die Ratsherrenstube erreichten. Hanno hielt Wendy die Tür auf, und fast sofort wurde ihr Herz schwer. Sie erinnerte sich wieder an Philomenas Unkenrufe und entdeckte gleich darauf tatsächlich ein Portrait der schönen Helena, das über dem Kamin in der Stube hing.
»Wieso hängt dieses Bild hier?«, erkundigte sie sich, während sie an einem schön eindeckten Tisch Platz nahm.
Hanno sah kurz hinüber und setzte sich dann Wendy gegenüber.
»Helena hatte ein großes Herz und war sehr engagiert. Als dieser Gutshof hier vor ein paar Jahren von einem Feuer halb zerstört wurde, hat sie kurzerhand eine Stiftung gegründet und die Bürger mobilisiert. Mit gemeinsamen Kräften wurde das Gebäude saniert. Als Anerkennung für ihr Engagement bekam Helena zur Wiedereröffnung dieses Bild geschenkt«, erklärte er unbedarft und dankte dem Ober, der die Speisekarten brachte. »Hmmm, was nehmen wir denn Leckeres?« Er vertiefte sich in die Lektüre der umfangreichen Karte.
Obwohl Wendy hungrig wie ein Wolf war, konnte sie sich nicht konzentrieren. Helena schien sie geradewegs anzustarren, ein süffisantes Lächeln spielte um ihre schönen, vollen Lippen.
Hanno bemerkte von alldem nichts. Er klappte die Karte zu und fragte Wendy nach ihren Wünschen.
»Ich fürchte, ich kann mich nicht entscheiden«, redete sie sich heraus, und so wählte und bestellte er für sie.
Als sie wieder allein waren, griff er nach ihren Händen und lächelte sie strahlend an.
»Ich bin so froh, dass du hier bist.« Seine Stimme war heiser, und er zog ihre Finger an seine Lippen. Zu seiner großen Überraschung entzog Wendy ihm ihre Hände plötzlich.
»Es tut mir leid, aber ich kann das nicht«, gestand sie und sah hinüber zu dem Portrait über dem Kamin. »Wo ich gehe und stehe, fühle ich mich von Helena verfolgt.« Sie griff nach ihrer Handtasche, die neben ihr auf der Bank lag, und stand auf.
»Aber, Wendy, wo willst du denn hin?«, fragte Hanno sichtlich überrumpelt.
»Ich weiß nicht. Irgendwohin, wo mich nichts an Helena erinnert«, erklärte sie schroff. »Bestimmt gibt es hier irgendwo eine Frittenbude. Elegant, wie Helena war, wird sie die wohl kaum betreten haben.« Bevor Hanno etwas erwidern konnte, stürmte sie an dem verdutzten Kellner vorbei aus dem Lokal.
Die frische Luft schlug ihr ins Gesicht und kühlte die erhitzten Wangen. Im Laufschritt eilte Wendy die Straße entlang, bis sie tatsächlich einen Imbiss entdeckte. Dort stillte sie den größten Hunger und schmiedete einen Plan. An diesem Abend war es zu spät. Doch gleich am nächsten Morgen würde sie sich ein Taxi bestellen und abreisen, um Hanno Thalbach und seine Schwägerin Philomena nie wiederzusehen.
*
Als Teresa Berger am nächsten Morgen erwachte, fühlte sie sofort, dass sich mehrere Dinge verändert hatten. Wie durch ein Wunder waren die Schmerzen im Fuß wie weggeblasen. Das Fieber war deutlich zurückgegangen, und ihr Kopf frisch und klar. Allein der tonnenschwere Stein auf ihrem Herzen störte sie, und es dauerte einen Moment, bis sie sich daran erinnerte, warum er sich dort breitgemacht hatte. Doch viel Gelegenheit, darüber nachzudenken, hatte sie nicht. Kaum hatte sie die Augen geöffnet und blinzelte ins helle Tageslicht, wurde sie auch schon von einer bekannten Stimme angesprochen.
»Hey, Tessa, wie geht’s denn so?« Niemand anderer als Anian stand neben ihrem Bett. Trotzdem hätte Teresa ihren Bruder kaum erkannt.
»Nanu? Was ist denn mit dir passiert?«, erkundigte sie sich und betrachtete ihn verwirrt. »Du siehst so verändert aus.« Mühsam setzte sie sich im Bett auf und musterte ihn eingehend.
Anian war nicht nur beim Friseur gewesen und hatte die lange Mähne abschneiden lassen. Auch seine Kleidung hatte sich verändert. Statt des obligatorischen riesigen Shirts trug er ausnahmsweise einmal ein passendes, und auch die Jeans schlabberte ihm nicht um die muskulösen Beine. »Du hast ja eine richtig männliche Figur«, staunte Teresa über die breiten Schultern, die ihr Bruder bisher erfolgreich unter den angeblich coolen Klamotten versteckt hatte.
Vor Stolz schoss ihm schlagartig das Blut in die Wangen.
»Findest du?«
»Ja, wirklich. Und jetzt sieht man endlich mal deine hübschen Augen und die schmalen Wangen. Alle Achtung, du bist ja ein richtig gut aussehender Kerl. Da muss ich glatt in Zukunft noch mehr auf dich aufpassen«, schmunzelte Teresa.
»O Mann, dir scheint’s ja wirklich besser zu gehen«, entnahm Anian diesen Worten und setzte sich erleichtert auf die Bettkante.
»Die Ärzte waren noch nicht hier. СКАЧАТЬ