Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Durch alle Gassen möchte ich laufen und rufen zu allen Fenstern empor – Burschen heraus! Und mein Erstgeborener wird die Erinnerung an diese große Zeit Enkeln und Urenkeln verkünden. Nun aber muß ich lesen, was dieser – wie heißt er gleich?«

      »Jourdan,« wiederholte der Arzt.

      »– was dieser Jourdan meinem Volk zu sagen hat.«

      Der Doktor ritt um die Ecke, der Studienlehrer aber rannte auf den Marktplatz und schoß quer hinüber ans Rathaus. Und während er mit gespreizten Beinen vor der Proklamation stand und die hochtönenden Worte in sich einsog, kam langsam über den menschenleeren Platz der Handelsmann Ehrhardt und trat hinter den Gelehrten.

      Pieperich hatte den letzten Satz gelesen. Jetzt wandte er sich und erblickte den Weitgereisten: »Großartig – nicht?« Er sah den andern durchdringend an. Der aber schwieg und lachte höhnisch. Ärgerlich betrachtete ihn der Studienlehrer und sagte zum zweiten Male: »Großartig – oder nicht?« Der Handelsmann zuckte die Schultern. Endlich murrte er: »Jawohl, wie eine Lektion zum Übersetzen.« Und nun begann er mit Händen und Füßen zu agieren, als stünde er auf der Bühne, und deklamierte die ersten Sätze der deutschen Kundmachung – in französischer Sprache.

      »Hören Sie einmal!« Studienlehrer Pieperich war ehrlich entrüstet. »Sie treiben da Spott mit den erhabenen Worten eines Ehrenmannes, und ich möchte Ihnen doch raten –«

      »Spott? Wenn ich die Worte des Franzosen aus unserm ehrlichen Deutsch übersetze in sein fuchsiges Französisch? Und was möchten Sie mir denn raten?« Der Handelsmann sah seinen Gegner trotzig an.

      »– die Absicht dieses Mannes pietätvoll zu prüfen,« sagte der Studienlehrer mit Hoheit.

      »Heiliger Gott!« Der Handelsmann schlug die Hände zusammen. »So kann doch auch nur ein Deutscher reden, wenn der Feind seine Horden heranwälzt, wenn die Kriegsfurie einherbraust, wenn es sich um Freiheit, Ehre, ja vielleicht ums Leben handelt –!«

      »Und wer sagt Ihnen, daß er als unser Feind kommt?« fuhr der Studienlehrer auf.

      »Mein Verstand und mein Gewissen, Herr Doktor,« antwortete der Handelsmann mit Würde.

      »Ich denke doch,« meinte der Lehrer nicht ohne Überlegenheit, »man muß alle diese Ereignisse gleichsam vom Turme wissenschaftlicher Erkenntnis herab überschauen, und erst aus dem Vergleich der Gegenwart mit der alten und ältesten Vergangenheit kann solch hoher und allein richtiger Standort gewonnen werden. Ich meinerseits sehe den Söhnen der Freiheit mit den besten Hoffnungen, ja mit ehrlichem Enthusiasmus entgegen.«

      Er wandte sich ohne Gruß und lief über den Marktplatz.

      Der Handelsmann trug seinen zornroten Kopf in seinen Laden zurück.

      Studienlehrer Pieperich hatte auch einen roten Kopf, er lief und sah vor sich hin und achtete auf nichts. So rannte er um die Ecke der Pfarrkirche und stieß an einen Mann, der gemächlich einherspazierte. Und er stieß so heftig an diesen Mann, daß ihrer beider Hüte aufs Pflaster flogen.

      Studienlehrer Pieperich raffte die Hüte auf, stammelte höfliche Worte der Entschuldigung und hielt dem andern beide Hüte hin. Und der andere nahm auch richtig den Hut Pieperichs und setzt ihn murrend auf sein Haupt. Pieperich aber stülpte den falschen Hut über seine Locken. Verlegen rieb er die Hände: »Um Vergebung, Herr Konrektor, man hat eben in dieser Zeit so manches im Kopfe.« Und er lüftete den großmächtigen Hut des Konrektors; doch allsogleich sank ihm der Hut wieder bis auf die Ohren herab.

      Der Konrektor stand mit vorgestrecktem Halse und hatte die Hände auf der Rückseite gefaltet. Schief und viel zu klein saß das Hütlein Pieperichs auf seinem runden Schädel. Ein verächtliches Lächeln ging über sein faltiges Gesicht: »Den Jourdan meinen Sie, Herr Kollege, den Franzosen? Ei, so was kann doch mich nicht aus meiner Ruhe bringen.«

      Pieperich versuchte aufs neue, den fremden Hut auf der Stirne zu rücken, und schob ihn endlich mit einem kühnen Griff in den Nacken. Und eifrig wollte er dem Herrn Konrektor erklären, warum er so große Hoffnungen auf General Jourdan setze. Konrektor Knorzius aber löste bedächtig die Hände vom Rücken, streckte abwehrend die Rechte nach vorne, schüttelte den Kopf und sagte: »Was fällt Ihnen ein, Herr Kollege? Meinen Sie wirklich, mich kümmert, was diese hohen Herren miteinander ausmachen?« Er kniff die Lippen ein und schloß die Äuglein bis auf einen schmalen Spalt, und aus dem Spalt glitzerte es schwarz hervor. »Haben Sie schon einmal den schönen Spruch der Landsknechte gehört? Was, Sie haben ihn nicht gehört? Dann haben Sie gar nichts gehört.« Und mit leiser, singender Stimme sprach er:

      »Was kümmert mich der Kaiser

       und was das deutsche Reich?

       Es sterb' heut oder morgen,

       das gilt mir alles gleich.«

      Studienlehrer Pieperich fuhr auf, daß ihm der große Hut bis über die Augen herabsank. »Gewiß, Herr Konrektor, ganz meine Ansicht. Besser heut als morgen. Aber auf die Wälle der eroberten Festung pflanzen die Franzosen die Bäume der Freiheit –!«

      »Die Bäume der Freiheit?« Konrektor Knorzius hatte die Hände wieder auf den Rücken gelegt, gar lustig saß das Hütel auf seinem Schädel, und das Spitzbäuchlein fuhr hin und her. »Die Bäume der Freiheit? Lassen Sie sich nicht auslachen, Kollega. Die Großen dieser Erde werden niemals auf Freiheitsbäumen, sondern immer auf Kirschbäumen sitzen und werden brav Kirschen essen und der misera contribuens plebs die Kerne auf die Köpfe spucken. Das war so und ist so und wird so bleiben. Und ich will's ihnen gönnen, wenn sie mir nur mein täglich Brot und meine Bücher, meinen Tabak und meine Ruhe lassen. Wie ich dann regiert werde, hochgräflich oder kaiserlich oder republikanisch, das ist mir alles, alles gleich, und zufrieden will ich sagen: ubi bene, ibi patria. Und meinen Sie nicht –?« Er machte nun ein nachdenkliches Gesicht. »Könnte man das Landsknechtsprüchlein vielleicht gar in klassisches Griechisch übersetzen?«

      Empört sah Studienlehrer Pieperich unter dem breiten Hutrande hervor, lüpfte den Hut und sagte hastig: »Um Vergebung, Herr Konrektor – es ist mir in diesem Augenblick nicht zum Scherzen.«

      Da drohte der andere mit dem Zeigefinger und lächelte spöttisch.

      Dann gingen sie dahin und dorthin, und auf dem Dickkopfe saß das Hütel, auf dem Spitzkopfe lastete der Hut.

      2. Höher hinan!

       Inhaltsverzeichnis

      In vornehmer Ruhe starrten die Türme und Giebel des alten Grafenschlosses hoch droben auf dem schroffen Felsen über der kleinen Stadt in die flimmernde Sommerluft – in Ruhe und in sicherem Frieden, als gäbe es keine Franzosen und als stünden des Kaisers Heere anstatt der weitgedehnten Wälder auf den langgestreckten Hügeln hinter den grauen Mauern, des Kaisers Heere zu ihrem Schutz und Schirm. Und scheinbar in demütiger Ruhe blinkten die Schindeldächer des Städtleins drunten am Fuße des Felsens unter den Strahlen der Julisonne, friedlich, als hinge keine Proklamation Jourdans am schwarzen Brette des Rathauses, als dächte Schneider Koram an gar nichts anders, als an zerrissene Hosen und Röcke.

      Und selbstzufrieden, als hätte er heute vormittag höchsteigenhändig den letzten Strich getan am Defensionsplan des heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, wandelte der wohledelgeborene Kanzleidirektor Blitz im Schatten der Linden um die Bollwerke der Haupt- und Residenzstadt seines gnädigsten Grafen und Herrn.

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