Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen. August Sperl
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Название: Gesammelte Werke: Romane & Erzählungen

Автор: August Sperl

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075831439

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СКАЧАТЬ Lehrer zog seine dicke Sackuhr. »Ihr Buben, wir haben zwar erst dreiviertel, aber heut ist halt auch ein ganz besonderer Tag.«

      Die Buben saßen mit gereckten Hälsen.

      »Und wißt ihr denn, was jetzt in der Welt los ist?«

      »Die Franzosen kommen!« schrieen die Zehn wie aus einem Rachen.

      Wieder tönten vom Marktplatze die Vivatrufe herüber.

      »Und was bringen die Franzosen der Welt?«

      »Freiheit!« schrieen die Zehn.

      »Und –?« Der kleine, schlanke Lehrer war auf den Katheder gestiegen, seine glänzenden Augen waren in weite Ferne gerichtet.

      »Gleichheit!« rief der Primus.

      »Und –?« rief der Lehrer.

      »Brüderlichkeit!« brüllte der Chorus.

      »Dann lauft, was ihr laufen könnt, und schreit mit denen auf dem Markte vivat!«

      Jauchzend sprangen sie empor, rafften die Bücher zusammen und stürmten aus der Stube, hinaus auf die stille Gasse, um die Ecke zum Marktplatz.

      Die Hufe eines Pferdes klapperten über die Steine, und ins offene Fenster guckte der Reiter.

      »Es geht los!« rief er in die Schulstube hinein: »Auf dem Markte steht der Koram, hat eine Jakobinermütze auf dem Kopf und predigt allem Volk.«

      »Der Koram?« Das Gesicht des Lehrers verzog sich.

      »Und General Jourdan hat einen Aufruf anschlagen lassen.«

      »Nun – und –?« rief der Lehrer.

      »Schöne Worte, kraftvoll, trostvoll, liebevoll,« antwortete der Reiter mit nachdenklichem Ernste.

      »Hab' ich's nicht gesagt?« triumphierte der Lehrer. »Doktor, was stehst du draußen, binde deinen Gaul an den Ring, komm zu mir herauf und trinke ein Glas Wein auf sein Wohl!«

      »Muß noch einen Patienten besuchen, Bruder. Und jetzt schon auf sein Wohl trinken? Nein, das kann ich denn doch nicht.«

      »Bruder, komm!« Der Lehrer hatte die Hände gefaltet. »Nur zehn Minuten!«

      »Nun, meinetwegen.« Der Arzt stieg ab, band sein Pferd an und trat ins Haus.

      Der Lehrer stürmte ihm entgegen, faßte ihn unter dem Arme und zog ihn die enge, steile Stiege empor. Und es klang wie unterdrücktes Jauchzen, was er nun hervorbrachte: »Es kommt mit Macht, paß auf, paß auf! Mir ist, als sähe ich hinaus in weite, sonnige Ferne. Und ich sehe ihn blinken, den Rhein, und sie schlagen zahllose Brücken, und der Boden dröhnt unter ihren Füßen, und sie kommen heran. Siehst du sie? Ihre Augen leuchten von dem göttlichen Funken, den jeder von ihnen haben muß, weil er sich entzündet hat an den Fackeln der Freiheit. Siehst du das Heer der Rächer?«

      Sie standen oben im Vorplatze, der Kleine riß sich los, sprang in die Mitte des Platzes und rief mit schallender Stimme: »Burschen heraus! Was wir furchtsam hinter verschlossenen Türen halblaut einer dem andern ins Ohr geraunt, was uns die Wissenden ins Herz gelegt haben, was wir schon fast nimmer zu hoffen wagten – es wird offenbar, es wächst vor unseren Augen empor, es wird zur Wirklichkeit. Burschen heraus! Schon sehe ich sie hoch oben auf dem altersmorschen Bau, und sie schlagen das löcherige Dach ein, und die Sonne scheint hindurch, und sie reißen die fauligen Balken heraus, und die Fledermäuse schwirren entsetzt hervor und taumeln umher und – siehst du? – bis auf den Grund wird es niedergerissen, das brüchige Haus, Römisch Reich genannt, und auf das Zauberwort aus Westen steigt ein neuer Tempel empor, zehnmal größer, mit gewaltigen Toren, geöffnet nach allen vier Enden der Erde, und sie kommen von Morgen und Abend und Mittag und Mitternacht, tragen Friedenspalmen in den Händen und ziehen ein in die vier Tore, opfern dem Herrn aller Herren und sinken sich in die Arme – Hermann – und küssen sich, selig wie die Engel im Himmel!«

      Er hatte die Bücher auf den Boden geworfen, sank dem Freunde an die Brust, lachte und weinte und küßte ihn, daß es schallte, und rief immer wieder: »Burschen heraus!«

      Der Arzt aber entwand sich ihm lachend und sagte: »So denkst du dir die Geschichte? Herrgott, müßt' aber das langweilig werden.«

      Ein klägliches Piepsen kam aus der Stube, und in der geöffneten Tür erschien eine Frauengestalt. »Aber liebster Johannes, warum sprichst du denn gar so laut?«

      »Verzeihen Sie, Frau Studienlehrer, ich kann nichts dafür,« erklärte der Arzt und verneigte sich.

      »Das kann ich mir denken, Herr Doktor. Aber nun ist unser kleiner, namenloser Heide aufgewacht –«

      »Kleiner, namenloser Heide?« Der Studienlehrer fuhr sich mit fünf gespreizten Fingern ins lange Haupthaar. »Nun hab' ich's – er wird Jourdan getauft.«

      »Aber Bruder, ich bitte dich!«

      »Jourdan!« rief der Lehrer und begann auf einem Bein zu tanzen.

      Das Piepsen in der Stube war in kräftiges Schreien übergegangen, und als Grundmelodie ertönte der Gesang einer Frauenstimme.

      »Kann denn das auch als ein christlicher Name gelten?« fragte Frau Johanna ängstlich.

      »Was christlicher Name! Ich sag' euch, der Name Jourdan wird einst in einem Atem genannt werden mit Hermann dem Cherusker, mit Themistokles, mit – ja mit allen großen, völkerbeglückenden Helden, und mein Erstgeborener heißt Jourdan Pieperich.«

      Jourdan Pieperich begann zu brüllen, seine Mutter verschwand hinter der Türe, und der begeisterte Vater versuchte den Freund in seine Studierstube zu ziehen.

      »Verzeih, lieber Bruder, nun hab' ich leider keine Zeit mehr,« sagte der Arzt und wandte sich der Stiege zu.

      »Keine Zeit?« Der Studienlehrer machte ein betrübtes Gesicht. »Und, Bruder, ich habe doch das Herz so voll und – und –. Aber heute abend – weißt du was? – da setzen wir zwei Ordensbrüder uns zusammen, da legen wir unsere Kreuze zwischen uns auf den Tisch, da nehmen wir die alten Stammbücher vor und lesen uns die schönen Sprüche unserer Freunde –.« Er riß Weste und Hemd auf, zog das Ordenskreuz am roten Bande hervor, küßte es und flüsterte: »Jason vom silbernen Monde!«

      Lächelnd stand der Arzt an der obersten Stufe. »Pieperich, du bist der alte Enthusiast.«

      »Müßte ich nicht Fischblut in den Adern haben?« rief der andere, während drinnen in der Stube der kleine Jourdan Pieperich nur noch piepste zum leisen Singen der Mutter und der Magd. »Frey, dich packt's doch auch – oder nicht?«

      »Natürlich packt mich's. Aber da blicke ich auf die Natur und sehe, daß jeglicher Pflanze eine Frist gesteckt ist zum Wachsen und zum Blühen, und daß zwischen Blüte und Frucht eine gemessene Zeit liegt.«

      »Und du hoffst doch auch alles von diesem – wie heißt er gleich?«

      »Jourdan.« Der Arzt stieg die Treppe hinab. »Freilich, gar viel hoffe ich von ihm, lieber Pieperich, und was er geschrieben hat, das gefällt mir ganz gut.«

      »Lesen muß ich's!« rief der Kleine. »Paß auf: Jetzt kommt der große Tag, jetzt ist die angenehme СКАЧАТЬ