Название: Die wichtigsten Werke von Jodocus Temme
Автор: Jodocus Temme
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027238149
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Entsetzt schmiegte der Knabe Hyazinth sich an den Vater, und suchte Hülfe gegen diese Schrecken; allein der Greis stand selbst schwankend und zitternd, denn alle Kraft der Sehnen und Muskeln fühlte er urplötzlich aus seinem Körper entweichen, und seine Augen waren mit ewiger, undurchdringlicher Nacht bedeckt. Das Rachegeschrey kam unterdeß immer näher und näher, und füllte schauerlicher den Wald, und in wenigen Minuten waren der Greis und Knabe von einem zahllosen Haufen Priester und Krieger umringt, deren Augen Wuth, Rache und Mordgier sprüheten. Von neuem wehklagten sie, und zerrissen ihre Kleider, zerrauften ihre Haare, zerschlugen ihre Waffen, als sie den heiligen Eber starr, in seinem Blute schwimmen sahen. Dann fluchten sie dem Frevler, der dieses gethan, und unter Androhung der entsetzlichsten Martern ergriffen sie Clodoald und seinen Knaben.
Es geschah dieses gerade zu einer Zeit, als der große Carl auf dem Reichstage zu Worms die Vertilgung der Heiden und die Einführung des Christenthums in Sachsen beschworen hatte, und zur Lösung seines Schwurs ein gewaltiges Kriegsheer jetzt rüstete und im Begriffe stand, mit demselben in das Herz des Sachsenlandes einzufallen. Der Herzog Wittekind und die Priester hatten wohl Kunde davon bekommen, und während jener im Lande umherzog, um Vertheidiger des väterlichen Heerdes zu werben, verkündeten die Priester und ihre Orakel schwere Beleidigung der Götter und entsetzliches Unheil der Völker, das daraus folgen werde, und feuerten durch Gesänge und Wunderzeichen den Muth des Volks zur rasenden Wuth an. Was Waffen tragen konnte, versammelte sich in dem heiligen Hayne, am Altare der Irmensäule, und brannte vor Begierde, den beleidigten Göttern zahlreiche, blutige Opfer zu bringen.
Daher kam es, daß das Wehklagen der Priester und Krieger, die den armen Clodoald umringt hielten, bald verstummte, und eine wilde Freude dafür den Wald erfüllte. Man schlachte sie als Opfer des erzürnten Gottes, den Greis und den Knaben! riefen laut die Priester, und Knechte stürzten herbey, die Unglücklichen in Fesseln zu schlagen und sie an den Altar Irmins zu schleppen. Doch der blinde Clodoald strengte seine letzten Kräfte an, um sich und sein Kind zu retten, und einem so entsetzlichen Tode zu entgehen. Allein er hatte nur Ohnmacht der wilden Kraft entgegenzustellen. Da bat und flehete er. Er stellte sein Alter, und die Jugend seines Knaben vor, und seine Verwandtschaft mit dem Könige Goddrick und mit dem Herzog Wittekind, der sein Vetter war.
Wirklich legte sich die Wuth der Priester, sie wurden ruhiger und traten berathschlagend zusammen; nach einer Weile aber verkündeten sie dem Greise, der, von den Göttern mit plötzlicher Blindheit gestraft, kein untadeliges Opfer mehr seyn konnte, seine Freyheit; den Knaben Hyazinth aber nahmen sie mit, am Fuße der Irminsäule ihn der beleidigten Gottheit zu schlachten. Vergebens flehete der elende Greis, vergebens bat er, ihn anstatt des unschuldigen Knaben zu opfern; umsonst füllten seine erloschenen Augen sich mit Thränen, der Wald sich mit seinem Wehklagen. Unter wilden Gesängen zogen die Heiden mit dem Kinde fort, und ließen den Greis allein in dem dunkeln Walde.
Lange noch irrte er hier einsam umher und weinte und wehklagte, und forderte umsonst von den Göttern sein Kindlein zurück. Endlich begegneten ihm zwey fremde Ritter, die des Weges kamen, und die sein Jammern in seine Nähe lockte. Sie erkundigten sich nach seinem Elende, er theilte es ihnen mit, und schnell waren die Ritter entschlossen, den Knaben zu befreyen und ihn dem armen Vater zurückzugeben.
Früh am anderen Morgen wurde der Knabe Hyazinth aus den Wohnungen der Priester zum blutigen Opferaltare geführt. Er war festlich geschmückt mit weiten, glänzenden Kleidern, eine goldene Binde umgab seine bleiche Stirne, frische Blumen hingen in sein blasses Gesicht. Haufen von Priestern führten ihn in ihrer Mitte und sangen Lieder zum Lobe der Götter. Schon nahen sie sich dem furchtbaren Altare, schon sieht der Knabe auf hoher Säule den kolossalen Gott mit Helm und Rüstung, in der rechten Hand die wehende Fahne, in der linken den gewaltigen Speer; schon erblickt er zu den Füßen desselben der furchtbaren Henker, Mordlust in allen Zügen, hoch das Mordbeil emporschwingend. Die Gesänge der Priester werden wilder, als sie sich dem Gotte nahen, das Herz des Knaben schlägt ängstlicher, lauter. Da stürzen auf hohen Rossen, mit geschwungenen Schwertern, zwey Ritter in den feyerlichen Zug, und verlangen mit lauter, befehlender Stimme die Herausgabe des zum Opfer bestimmten Knaben. Die Priester erheben ein furchtbares Geschrey um Hülfe, das den ganzen Wald durchdringt und von allen Seiten Gewaffnete herbeyführt. Allein die Schwerter der Ritter fallen zerschmetternd und zernichtend, zerstreuen die Haufen der Göttendiener, brechen sich überall blutige Bahn, und dringen siegend in die Nähe des gefesselten Knaben. Da drängen sich die Priester in dichten Reihen und in immer engeren Kreisen um ihr Opfer, und suchen es schnell zu ersticken, ehe die freche Hand der Räuber es erreichen können.
Als das die beyden Ritter sahen, ließen sie vom Kampfe nach, und baten mit milderer Stimme um Freylassung des Knaben, und erboten sich, dafür mit den wilden Thieren, den Bären, Wölfen und Löwen zu kämpfen, die den Gott bewachten. Ihr Erbieten wurde angenommen, und die Ungethüme fielen brüllend unter den nervigen Fäusten der Ritter. Aber anstatt den Knaben freyzulassen, erhoben die Priester jetzt von neuem wildes Geheul und wehklagten über die Beleidigungen, die ihren Göttern widerfahren seyen. Und wie nun von allen Seiten neue Haufen von Kriegern herbeystürzten, ihren Götzen zur Hülfe, da wurden die Ritter von der Macht der gegen sie Anstürmenden fast erdrückt, ihre Rosse sanken todt unter ihren Leibern dahin, und die durch so vielfache und schwere Anstrengungen Erschöpften mußten ohnmächtig erleiden, wie auch sie in Fesseln geschlagen wurden.
Laute Freudengeschreye durchjubelten jetzt den Wald, und jauchzend wurden der Knabe und die beyden Ritter zu dem Altare geschleppt, um auf der Stelle der beleidigten Gottheiten geopfert zu werden. Aber da trat hinter einer heiligen Eiche die Oberpriesterin des Gottes hervor, ernst und majestätisch, eine hohe Gestalt, angethan mit weißen, wallenden Kleidern, das Antlitz mit einem dichten Schleyer bedeckt, und überschaute mit einem ernsten, klaren Auge den empörten Haufen, und kein Laut wurde mehr gehört, und keine Gestalt bewegte sich mehr.
Lange dauerte diese Stille, wie des Grabes. Da trat der erste Priester hervor und sprach mit dem Tone der Demuth: Heilige Jungfrau, wir bringen die drey Opfer, dem beleidigten Gotte zur Sühne! Befiehl, daß sie geschlachtet werden, damit ihr Blut den Ewigen angenehm sey, und sie unseren Waffen Sieg verleihen mögen.
Die Blicke der Jungfrau weilten lange auf den drey unglücklichen Schlachtopfern, anfangs kalt und ruhig, als wenn Beruf und Gewohnheit sie gegen den schrecklichen Anblick schon abgestumpft hätten. Auf einmal aber wurden sie unruhig, und dunkle Gluth färbte schnell ihre bleichen Wangen, um einen Augenblick darauf der Blässe des Todes Platz zu machen. Sichtbar durchzuckte ein tiefer Schmerz ihre Seele, allein mit bewunderungswürdiger Gewalt sammelte sie sich rasch, und, indem sie das Auge zum Himmel emporhob, und dann langsam auf die Versammlung vor sich wieder niedersinken ließ, sprach sie mit fester, ruhiger Stimme: Der Opferplatz ist entheiligt durch freches, wildes Kampfgetümmel! Heute darf den Göttern kein Blut hier fließen! Kehret morgen zurück. Wenn der Mond heute Nacht seinen höchsten Punkt erreicht hat, werde ich den Willen der Götter erforschen, und morgen ihn Euch verkünden! Entfernt Euch jetzt, damit der Hayn von den heutigen Gräueln gereinigt werden könne.
Die Menge wollte ehrerbietig dem Befehle der den Göttern heiligen Jungfrau gehorchen. Aber der Oberpriester hielt sie. Er hatte das Erbleichen der Priesterin bemerkt, und seine tückische Seele ahnte Verrath. Jungfrau! sprach er hastig, aber ohne die Ehrfurcht aus den Augen zu setzen, die er der Oberpriesterin schuldig war. Es sind schon größere Gräuel hier verübt worden, und doch floß Blut den Göttern, und es war ihnen angenehm!
Eine halbe Sekunde lang senkte sich das dunkle Auge der Priesterin, wie aus Verlegenheit, schnell aber erhob es sich wieder klar und mit zürnendem Strahle. Verwegener! rief sie; Mögen die Götter ein Zeichen geben, um ihren Willen zu verkünden!
Und wie sie kaum die Worte gesprochen hatte, erhob sich fernes dumpfes Getöse im Walde, das immer näher kam, und immer lauter und verwirrter wurde. In angstvollem Harren stand der ganze Kreis, der das von der heiligen Jungfrau herabbeschworene Zeichen СКАЧАТЬ