Название: Stanislaw Przybyszewski: Romane, Erzählungen & Essays
Автор: Stanislaw Przybyszewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027205639
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Er lief hin und her.
Wer wollte ihm sein Glück rauben, um wessen Willen sollte er zu Grunde gehen?!
Allmählich beruhigte er sich.
Es wurde ihm nun ganz klar: Einer mußte über Bord, er oder Mikita.
Sie liebte Mikita nicht mehr! Was wollte Mikita von ihr? Wer war denn Mikita? Er war mit ihm zusammen auf der Schule gewesen, hatte mit ihm zusammen gehungert – und ja, was denn? Was mehr?
Er setzte sich und ließ den Kopf schlaff herunterhängen.
Diese kranke, wahnsinnige Sehnsucht nach ihr hatte er noch nie empfunden ...
Über Bord! Er oder ich.
Der Strudel packt uns Beide, den Einen ins Glück ... nur Einen ins Glück ...
Und das bin ich!
Er reckte sich hoch.
Den Elch sah er vor sich, den zitternden, mit Blut bespritzten Sieger.
Und eine unerhörte Unruhe erfaßte ihn.
Er riß die Kleider auf und knöpfte sie wieder zu. Er suchte nach Geld, durchwühlte alle Taschen, fand es nicht, raste, lief herum, der Schweiß trat ihm auf die Stirn.
Er mußte zu ihr nun. Er mußte. Jetzt konnte er es nicht mehr ertragen.
Und er stürzte über das Bett, warf Alles übereinander, und fand endlich das Portemonnaie unter dem Kissen.
Wenn es nur nicht zu spät ist, wenn es nur nicht zu spät ist ...
Er sah auf die Uhr. Sie stand.
Er läutete heftig.
Der Kellner kam eilig heraufgelaufen.
– Wann geht der Zug nach Berlin?
– Ungefähr in einer Stunde.
– Schnell, schnell die Rechnung. Beeilen Sie sich, um Gotteswillen ...
Als Falk in Berlin ankam, war es schon spät am Abend.
Es wurde ihm plötzlich klar: er mußte zu Mikita hinauf.
Ja, er mußte ihm ganz offen sagen, daß er sich keiner Täuschung hingeben solle, daß Isa ihn nicht mehr liebe, und wenn sie es ihm nicht gesagt habe, so wollte sie ihm nur wahrscheinlich so lange wie möglich die Qual ersparen, sie habe Mitleid mit ihm ...
Ja ganz offen mußte er es ihm sagen.
Es war doch grenzenlos peinlich.
Nun? Warum denn? Mikita war ihm ja ein ganz fremder Mensch.
Aber je näher er an Mikitas Wohnung kam, um so schwerer wurde es ihm.
Nein! Er konnte Mikita das nicht sagen.
Er suchte sich klar zu machen, was Mikita früher für ihn war, wie er ihn geliebt hatte ...
Er konnte kaum atmen.
Vor Mikitas Wohnung blieb er unschlüssig stehen.
Ja, er mußte, er mußte ... oder ... o Gott! Ja, dann mußte er zurückfahren.
Und er erlebte innerlich die entsetzliche Qual der sechs Tage.
Entsetzlich! Entsetzlich! murmelte er.
Er ging hinauf.
– Ist Herr Mikita zu Hause?
– Nein! Er ist nach München gefahren.
Falk blieb auf der Treppe stehen. Er konnte das Glück nicht begreifen.
Dies Glück!
Er wiederholte es noch einmal, aber er konnte nicht froh werden.
Und nun zu Isa – zu Isa!
Er dachte nur an sie. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie ihn empfangen werde, er dachte an tausend Kleinigkeiten, die er bei ihr bemerkt hatte, er dachte angestrengt, krampfhaft, um sich zu übertäuben, ja Etwas in sich, das reden wollte, sich wehrte und sträubte gegen dies große Glück.
Da plötzlich: Er durfte nicht zu Isa gehen! Er mußte warten, bis Mikita zurückkam. Er mußte ihm Alles sagen, daß Mikita ihm nicht Feigheit vorwerfe, daß er nicht sage, er habe hinter seinem Rücken ihm die Braut verführt.
Ja! Er mußte warten.
Aber das war für ihn unmöglich – physisch unmöglich. Jetzt war Alles in ihm auf das Äußerste gespannt; noch ein Tausendstel Millimeter mehr und es mußte zusammenbrechen.
Weswegen war er zurückgekommen?
So lange er die Qual ertragen konnte, war er ferngeblieben und kämpfte tapfer und war brav, aber dann ...
Er raffte sich jäh zusammen.
Nein, jetzt genug von Argumenten! Er tue das, was er tun müsse, und mögen zehn, tausend Gefühle sich dagegen sträuben ... Gott ja, er verkenne gar nicht, daß jedes dieser Gefühle ein gewisses Quantum Muß repräsentiert, aber schließlich siege doch immer das letzte, das mächtige, unabwendbare Muß!
Und er dachte es bis in das feinste Detail hinein, aber er wurde nicht froher.
Ganz im Hintergrunde empfand er eine dumpfe Angst, eine verlegene schamvolle Pein, und dann fühlte er, wie Alles in ein Gefühl zusammenfloß, ein grenzenlos trauriges Gefühl, nicht selbst zu sein, nicht sich selbst zu gehören.
Er ging an einer Uhr vorbei. Er schrak heftig auf.
In einer Viertelstunde wird die Tür geschlossen sein, dann kann ich sie nicht mehr sehen. Nicht heute mehr ... Er stöhnte auf.
Jetzt mußt du dich entschließen. Du mußt. Du mußt.
Er fühlte eine schmerzhafte Spannung in jeder Fiber, in jedem Muskel. Er ging schneller und schneller.
Nein, nein! Nicht mehr denken, nicht mehr; jetzt muß ich zu ihr ... Mag kommen, was will ...
Er dachte noch, suchte noch zu kämpfen, aber er wußte, daß er es doch tun werde.
Und dann: mit einem Ruck warf er alle Gedanken aus seinem Gehirn und stieg schnell die Treppe hinauf.
Aber als er läuten wollte, befiel ihn wieder dies lähmende Angstgefühl. Er setzte mehrmals den Finger an den Knopf der elektrischen Glocke, aber er wagte ihn nicht zu drücken. Dann lehnte er sich an die Wand, weil er plötzlich sich so schwer fühlte. Nun stieg er ein paar Stufen hinunter, er zählte sie; dann hörte er unten das Klirren von Schlüsseln, und mit einem Male besann er sich auf sein Muß, auf das letzte Muß, das doch immer siegen müsse.
Er ging wieder hinauf und läutete.
Ein Dienstmädchen machte auf.
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