Der Wendekreis: Novellen. Jakob Wassermann
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Название: Der Wendekreis: Novellen

Автор: Jakob Wassermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066118525

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СКАЧАТЬ da nach seiner Überzeugung der Krieg gegen Deutschland zum Verhängnis für Rußland werden mußte. Er hatte im japanischen Krieg glänzende Leistungen vollbracht, und schon deshalb war dieser Schritt keiner üblen Deutung ausgesetzt. Nun lebte er in äußerster Zurückgezogenheit und beschäftigte sich, leidenschaftlicher Hegelianer, mit profunden philosophischen Studien.

      Wie sich Menschen gegen sie verhielten, war Maria gleichgültig, wenn sie ihrerseits an ihnen Freude haben oder sie ehren konnte. Würde stand ihr über den täuschenden Einflüsterungen der Sympathie. Dazu hatte Alexander sie erzogen. In vielen Gesprächen vieler Nächte hatte er ihr bewiesen, daß das Prinzip der Vergeltung die Quelle alles Bösen sei. In der Befolgung seiner Lehre war sie zu der ihr eigentümlichen geistigen Konstanz gelangt. Der Brief an den Marschall war ein Meisterstück unbefangener Werbung.

      So wartete sie, wartete auf Alexanders Wort und Weisung von dorther und ahnte doch die Vergeblichkeit schon. Um sich zu zerstreuen, begann sie den ältesten Sohn, den siebenjährigen Mitja, zu unterrichten, fand sich aber unzureichend, das Bedürfnis des Knaben heftiger als sie vermutet und suchte einen Lehrer für ihn. Ein Moskauer Bekannter nannte ihr einen Studenten, Jefim Leontowitsch Tatjanow, der in einem geringen Wirtshaus vor der Stadt wohnte. Sie ließ ihn kommen und engagierte ihn. Er war im Gefolge eines Industriellen als Sekretär oder dergleichen gereist; unterwegs war der Mann und die meisten seiner Leute von einer herumziehenden Bande von Soldaten ermordet worden; nun saß Jefim Leontowitsch völlig mittellos in diesem Ort des Überflusses. Maria behandelte ihn mit Rücksicht und mit Achtung; dies schien ihm neu zu sein, und seine Dankbarkeit hatte etwas Kindliches. Er kam nicht nur zu den ausbedungenen Stunden, sondern widmete seinem Schüler alle freie Zeit; auch die beiden Kleinen, Fedja und Aljoscha zog er durch seine einfache Güte an sich.

      Eines Morgens war Aljoscha, der Mutter im Korridor vorauseilend, in der Hast in ein falsches Zimmer gerannt. Maria folgte ihm lachend; er stand bei einer majestätisch gewachsenen Dame, die ihr entgegentrat und ihr die Hand reichte. Es war die Fürstin Nelidow. Maria geriet in Verlegenheit, ihres Lachens halber, denn die Fürstin war in tiefer Trauer, und die Ursache war Maria bereits bekannt. Ihr Sohn, der dreiundzwanzigjährige Fürst Grigorji, Offizier in der kaiserlichen Marine, hatte sich vor wenigen Tagen bei einem Ausflug im Gebirge erschossen.

      Die Fürstin, eine Frau Mitte der Vierzig, war noch sehr schön. Sie gab sich Maria gegenüber herzlich. Sie kannte Alexander von Krüdener von der Zeit her, wo er im Ministerium gewesen war und sprach mit Wärme von ihm. »Ihre Gegenwart tut mir wohl,« sagte die Fürstin, »ich hoffe, wir werden uns häufig sehen.« Sie schlang ihren Arm um Aljoscha und streichelte ihm das Haar. »Heute abend feiern wir das Totenmahl für Grigorji,« fuhr sie fort; »kommen Sie doch; kommen Sie zu mir.«

      Maria empfand Mitleid; nicht nur mit der Fürstin und ihrem besonderen Schicksal; das Mitleid mit allen diesen Menschen überflutete ihr Herz. Namentlich den Frauen galt ihr bedauerndes Gefühl; die sorglosen und glänzenden Wesen, bestimmt, sich zu schmücken, sich zu freuen, schienen ihr verloren.

      Sie wollte gehen, aber die Fürstin hielt sie noch zurück. So schickte sie Aljoscha hinaus. Die Fürstin erzählte: »Hören Sie, was sich begeben hat. Es ist eine Person hier, sie wohnt im Hause, eine gewisse Lisaweta Petrowna. Sie behauptet mit Grigorji verheiratet gewesen zu sein. Kurz vor seiner Abreise aus Sebastopol, behauptet sie, sei sie ihm angetraut worden. Sie hat keinerlei Dokumente, keine Bestätigungen, keinen Brief; die Papiere habe man ihr gestohlen, redet sie sich aus. Sie hat sich mir zu Füßen geworfen, hat mir die Hände geküßt und mich Mutter genannt. Den ganzen Tag sitzt sie oben in ihrem Zimmer und weint und schluchzt. Dann schickt sie wieder den Kellner mit Zettelchen: Erbarmen Sie sich, Fürstin, erbarmen Sie sich Ihrer Lisaweta Petrowna, erbarmen Sie sich. Ich kenne sie nicht. Ich weiß nichts von ihr. Grigorji hat nie mit einer Silbe ihrer erwähnt. Wir haben sie vorher nie gesehen. Ihre Angaben zu prüfen ist unmöglich. Was soll man da tun? Erbarmen, wie denn erbarmen? Wahrscheinlich hat sie kein Geld; nun, man wird ihre Rechnung bezahlen. Gestern spielte sich eine abscheuliche Szene ab. Sie kommt herein, setzt sich zu den andern und fängt an zu weinen. Meine Nichte Jelena steht auf und nennt sie eine Lügnerin. Lisaweta Petrowna ballt die Fäuste, wirft sich auf den Boden und verfällt in einen Schreikrampf. Man mußte sie mit Gewalt aus dem Zimmer schaffen. Heute früh hat man sie ohnmächtig auf Grigorjis Grab gefunden. Sie hat einen Selbstmordversuch gemacht, so heißt es. Jelena meint, es sei simuliert. Jelena ist außer sich, das arme Kind. Was soll man da sagen, was soll man tun?«

      Maria beschloß sogleich, diese Lisaweta Petrowna zu besuchen, aber sie äußerte nichts von ihrem Vorsatz, sondern lenkte das Gespräch auf den jungen Fürsten und fragte nach Einzelheiten seines Lebens, ohne Neugier, mit einem zarten Durchblickenlassen des gemeinsamen Gefühls der Mütter. Die Fürstin willfahrte dankbar; es bedeutete Linderung für sie, indes Maria aus wenigen mitgeteilten Zügen ein Bild gewann. Sie saß still und aufmerksam vor der Fürstin, rauchte eine Zigarette und sah, und sah. Die Gabe des inneren Gesichts wurde manchmal Last, und doch schien es ihr wunderbar, viel zu wissen von den Menschen. Als sie sich verabschiedete, sagte die Fürstin: »Mir ist als seien wir seit Jahren befreundet.« Maria lächelte.

      Im Verlauf des Tages erlangten die beunruhigenden Gerüchte Gestalt, und zwar drohendste. Kislawodsk war von den Revolutionstruppen umzingelt. Mitja sagte mit dem stolzen Trotz, der an seinen Vater erinnerte: »Nicht wahr, Mama, wir werden unser Leben so teuer wie möglich verkaufen?« Sie erwiderte: »Ja, mein tapferer Liebling.« – »Schade, daß Iwan Dymow nicht mehr bei uns ist,« seufzte er. Aber sie tröstete ihn. »Erstens bist du ja selbst ein Held, und dann vergißt du, daß wir Jefim Leontowitsch haben.« Mitja schaute den Studenten prüfend an, dieser errötete und sagte mit einem Blick scheuer Ergebenheit auf Maria: »Sie haben nur zu befehlen. Befehlen Sie, und ich gehorche.« Es lag ein Ernst und eine Festigkeit in den Worten, die Maria veranlaßten, ihm die Hand hinzustrecken, die er demütig mit den Lippen berührte.

      Was sollte mir zustoßen können, dachte sie, da gute Menschen um mich sind?

      Als sie sich am Abend den Nelidowschen Gemächern näherte, drang ihr Gelächter, Johlen, Pfropfenknallen, Gläserklirren entgegen. Eine Streichmusik spielte eine brutal-wilde russische Melodie. Sie öffnete die Tür zum Salon; zehn oder zwölf junge Männer, Anverwandte der Familie, saßen um eine Tafel, zechten, sangen, rauchten; bisweilen erhob sich der eine oder andere und warf den Musikanten Rubelscheine zu. Maria ging in das nächste Zimmer; hier befanden sich einige ältere Herren und Damen, aber auch ein junges, etwa achtzehnjähriges Mädchen von blendender Schönheit. Sie hatte kurzes gelocktes Haar, eine Haut von opalisierender Blässe und gelbliche, große, unsehende, strenge Augen. Fasziniert blieb Maria stehen. Da wurde sie von der Fürstin Nelidow gerufen, die in ihrem Schlafzimmer allein saß. »Ich habe auf Sie gewartet,« sagte sie, als Maria eintrat; »setzen Sie sich zu mir, sprechen Sie; ich höre Ihre Stimme gern.«

      Vom Salon herüber, wo so expressiv das Totenmahl gehalten wurde, tönte ein klagender Chorgesang.

      In ihrem Bestreben, den abgeirrten, in Trauer verirrten Sinn der Fürstin zu erwecken, kam sich Maria wie jemand vor, der sich in einem fremden finstern Raum zurechtzufinden sucht. Die Fürstin schaute sie beständig an, aber nur nach und nach belebte Verstehen den Blick. Maria erzählte von der Einsamkeit der letzten Monate auf dem Gut, von Wanjas Geburt und wie sich während der Schmerzensnacht die Sehnsucht nach Alexander zur Gestalt verdichtet habe, so täuschend, daß sie jeden Schrei erstickt habe, um ihm nicht zu mißfallen. Bei allem was sie getan und gedacht, sei er unsichtbar richtend gegenwärtig gewesen. Sie erzählte von ihrem Verkehr mit den Bauern; von dem Geist der Widersetzlichkeit und der Feindschaft, der plötzlich in alle gefahren sei; auch die Sanftesten und Verständigsten hätten versagt. Eines Tages hatten sie ihr Besitzrecht an dem Wald verkündet; der Wald sollte abgeforstet und verkauft werden. Sie habe unterhandelt; vergebens; ihnen ins Gewissen geredet; vergebens; da sei sie allein mit den Ältesten in den Wald gegangen, wo die schlimmsten Aufrührer schon begonnen hatten, die Stämme zu fällen. Einem von diesen habe sie das Beil entrissen und ihm zugerufen: keinen Schlag mehr! Sie habe ihnen vorgestellt, was für СКАЧАТЬ