Der Wendekreis: Novellen. Jakob Wassermann
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Читать онлайн книгу Der Wendekreis: Novellen - Jakob Wassermann страница 6

Название: Der Wendekreis: Novellen

Автор: Jakob Wassermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066118525

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СКАЧАТЬ und spricht: Bauer, die Gäule sind eingeschirrt, wir wollen fahren. Ich geh hinaus, es liegt tiefer Schnee, die Pferde stehn am Wagen, und ich fahre. Mit eins verlieren wir die Straße, und die Gäule waten im Schnee bis an den Bauch. Da seh ich auf einmal den Hof hinter mir brennen und das Schneefeld ist rot beschienen. Die Gäule fangen an zu laufen und ziehn mich an der Leine mit, daß mir der Atem ausgeht. Ich kann die Leine nicht loslassen, sie ist um die Hand herumgeschlungen, und wie wir gegen die Altmühl herunterkommen, dort bei der Eisenbahnbrücke, wo das Wasser sechzig Ellen breit ist und mehr als zehn tief, da rennen die Gäule noch toller, und die Brandlohe bedeckt den ganzen Himmel. Der Fluß ist zugefroren, die Gäule drauf zu, und ich denke mir in meiner Angst: wirds die Pferde samt dem Fuhrwerk tragen? Die Gäule, schwere Ackergäule, sausen das Ufer hinunter, aber das Eis hält. Da steht der Simon am andern Ufer, und weil die Tiere auf der gefrornen Bahn weiterrennen, schrei ich zu ihm hinüber: Hilf, Simon. Und er: ich muß heimgehen, der Stall brennt, das Haus brennt. Und ich, ich kann mich nicht auf den Wagen schwingen, die Gäule schleifen mich bereits, schrei in der höchsten Not: Hilf, Simon, lös’ mich vom Riemen los. Und er: müßt Euch selber vom Riemen lösen, uns zweie trägt das Eis nicht. Da ruf ich ihm zu: alles ist dein, die Gäule und das Fuhrwerk, hilf um Gotteswillen. Nun kehrt er um, und wie er umkehrt, stehen die Gäule still; aber wie er den ersten Schritt tut, kracht das Eis, und wie er das hantige Pferd am Zügel faßt, bricht das Eis, und Fuhrwerk und Gäule und ich samt dem Simon versinken im Wasser. Und im Versinken bin ich aufgewacht.«

      Er verstummte. Er erwartete keine Einrede mehr, ich hatte auch keine mehr. Mit Erstaunen beobachtete ich, wie sein Aussehen im Verlauf weniger Minuten um Jahre älter wurde, das Kinn spitz, die Augen stumpf, der Hals dünn, die Hände welk, die Haltung kraftlos. Der fordernde, hadernde, gewaltige Mann, der mir gegenüber gesessen, war auf einmal ein hinfälliger Greis. Als ich mich verabschiedete, sah er nicht empor, schien es kaum zu merken. Das Schweigen, in das sein ganzes früheres Leben eingehüllt gewesen, breitete sich wieder über ihn, undurchdringlich und in den Tod fließend. Denn am andern Morgen, wo er enthaftet werden sollte, fand ihn der Wärter am Fensterkreuz erhängt.

      Golowin

      Der halbe Mai war mit der Reise von Tula in den Kaukasus vergangen. Am siebzehnten kam Maria von Krüdener in Kislawodsk an, wo sie Nachrichten von ihrem Gatten zu finden hoffte. Er war bei Ausbruch der Revolution an die englisch-russische Front nach Persien geflüchtet. Seit fünf Monaten hatte sie kein Lebenszeichen von ihm.

      Unfern von Kislawodsk war die Besitzung seines Bruders, des Marschalls.

       Ihm hatte Alexander Botschaft senden gewollt, wenn die andern Wege der

       Mitteilung versperrt waren.

      Mit ihren vier Kindern und drei Dienerinnen bezog sie Wohnung im Palasthotel. Das jüngste Kind lag noch an der Brust; sie nährte es selbst. Es war drei Monate nach der Trennung von Alexander geboren; hätte sie vorher nicht begriffen, was ein Pfand bedeutet, jetzt wußte sie es.

      Beklemmend stand das ungeheure Gebirge da. Sie konnte nicht schwelgen in seinem Anblick, es war zu sehr Mauer, und Mauer hinter Mauer bis zum ewigen Schnee hinauf. Wie sollte man da entrinnen? Schlimm, was gewesen war; das Blut hatte sich noch nicht beruhigt. In der ersten Nacht träumte sie, Fäuste, ein Gewirr von Fäusten strecke sich ihr entgegen, und jede Faust hatte Mörderaugen. Die Schnittwunde am Arm ließ die Szene im Eisenbahnwagen nicht vergessen, als tierisch betrunkene Soldaten das Coupefenster zerschmetterten; acht Menschen waren in dem Abteil eingepfercht und Berge von Gepäckstücken, alles Hab und Gut, das man aus Tula hatte fortschaffen können. Die Kinder schrien auf, als zwei Kerle schnaubend an der Türe rissen und andere johlend nachdrängten; Dymow war in einen Waggon nebenan gegangen, um ein Fleckchen zu finden, wo er endlich eine Stunde schlafen konnte. Maria hatte den ersten Hieb aufgefangen und war blutend unter die Leute getreten. Sie wichen zurück, zu ihrer eigenen Überraschung, und senkten scheu die Augen, als ströme eine Magie von ihr aus. Es war ihr selbst so zumute; sie glaubte an eine in ihr verborgene Magie.

      Dennoch wäre sie ohne Dymow verloren gewesen. Iwan Dymow hatte als Schreiber bei Gericht gedient; einfacher Mensch aus dem Volk, hatte ihn die Revolution hinaufgehoben, er hatte Macht erlangt, die er aber nicht mißbrauchte. Als Gutsherrin hatte ihm Maria, schon Jahre vorher, menschliches Wohlwollen bezeigt und während einer Krankheit seinem Weibe Hilfe geleistet. Sie dachte nicht mehr an ihn, aber in der Stunde der Gefahr kam er von selbst. Er besorgte Pässe, bestach den Soldatenrat, wußte den Argwohn der Bauern abzulenken, denen die Herrin eine wichtige Geisel war, räumte alle Schwierigkeiten für die Reise hinweg, machte den Spion, den Aufpasser, den Lastenschlepper, den Bürgen, mit immer gleicher schweigender Ehrerbietung gegen Maria. Als er sich in Kislawodsk von ihr verabschiedete, fragte sie bewegt, arm an Worten sogar sie, womit sie ihm danken könne, sie fühle sich tief in seiner Schuld. Er antwortete: »Ich werde mich glücklich schätzen, Maria Jakowlewna, wenn Sie mir manchmal schreiben, wie es Ihnen und den Kinderchen weiter ergangen ist.«

      War dies nicht auch Teil und Frucht jener Magie?

      Als Dame der ersten Gesellschaft, Frau eines Offiziers, Trägerin eines großen Namens wurde sie von den Gästen des Hotels mit Freuden begrüßt und mit Auszeichnung behandelt, obwohl man wußte, daß sie von deutscher Herkunft war und Russin erst seit ihrer Heirat.

      Nun war sie wieder, nach langer Enthaltung, unter den Menschen ihrer Sphäre, in der Region von Heiterkeit und umgrenzter Übereinkunft, die ihr früher so gemäß und erwünscht gewesen war. Aber sie merkte bald, daß nur noch eine äußerliche Zugehörigkeit bestand, und daß die Jahre, die sie auf dem Gut verbracht, erst mit Alexander und dann allein, und wenn auch allein, so doch noch unter seinem Gesetz und seiner Führung, sie an ein anderes Maß und eine andere Benützung der Zeit gewöhnt hatten. Auch konnte hier niemand in seinem Bereich verbleiben; die Elemente waren bedenklich gemischt, und dies zu verhindern war unmöglich, weil gemeinsames Schicksal alle zueinander trieb. Das Haus, der ganze Ort, ehemals ein Treffpunkt der Aristokratie und Schauplatz des erlesensten Luxus, glich einer Insel der Schiffbrüchigen und beherbergte lauter Flüchtlinge mit ihrer letzten Habe und letzten Hoffnung, Großfürsten und Kammerherren neben Spekulanten und Journalisten, Frauen der exklusivsten Moskauer und Petersburger Kreise neben Koketten und Kleinbürgerinnen, die im Krieg zu Reichtum gelangt waren. Sie waren der Hölle entronnen, aber sie wußten, daß ihnen bloß eine Galgenfrist geschenkt war. Sie zitterten vor der Zukunft, aber sie praßten und feierten Feste. Sie hörten von Hinrichtungen ihrer Väter, ihrer Brüder, ihrer Freunde, aber sie betäubten sich im Hasard und tanzten Tango und Onestep.

      Einen verläßlichen Mann zu finden, den sie mit einem Brief auf das Gut des Marschalls schicken konnte, war Marias Bemühung sogleich. Zu ihrer Freude erfuhr sie, daß Josef Menasse in Kislawodsk sei; er hatte von ihr ebenfalls gehört und kam, sich zu ihrer Verfügung zu stellen. Er war Prokurist eines großen Odessaer Bankhauses, mit welchem Alexander von Krüdener geschäftliche Verbindung gehabt hatte. Da sie sich erinnerte, aus Alexanders Mund hie und da das Lob von Menasses Redlichkeit vernommen zu haben, war ihr Vertrauen sogleich unbedingt und auch in der Folge nicht zu erschüttern. In lebhaften Ausbrüchen klagte er ihr sein Unglück; einer wichtigen Transaktion halber war er vor mehreren Wochen hergekommen; am Tage, wo er hätte abreisen sollen, fuhren keine Züge mehr und jeder Versuch, den Ort zu verlassen, hieß das Leben gefährden. Maria hörte ihm teilnehmend zu, und erst als er sich erschöpft hatte, sprach sie von ihrer Angelegenheit. Er überlegte, sagte, er werde Umschau halten, und drei Stunden später erschien er mit einer Tscherkessin, die er trocken und kategorisch als die zu dem Zweck taugliche Person empfahl.

      Der Marschall hatte seinerzeit die Heirat des jüngeren Bruders mißbilligt. Es war zum Bruch zwischen den Brüdern gekommen, der Marschall zeigte sich unversöhnlich und hatte sich starr geweigert, Maria zu sehen. Man meldete ihm die Geburt der Kinder, er nahm keine Notiz davon. Alexander hatte es ertragen ohne zu murren und ließ auch in Maria keinen Unmut Wurzel fassen, denn er beugte sich vor dem Bruder als einem überlegenen Charakter, dessen Handlungen und Entschlüsse er von seiner Kritik ausschaltete. Er beugte sich, damit СКАЧАТЬ