Der Wendekreis: Novellen. Jakob Wassermann
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Название: Der Wendekreis: Novellen

Автор: Jakob Wassermann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066118525

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СКАЧАТЬ Und der Docht zum Licht? er nährt es ja. Und der Boden zum Wasser? es kommt ja aus ihm. Schön; aber woher kommt die Schlechtigkeit? Sie ist da und breitet sich aus wie das Feuer in dürrem Holz; aber woher kommt sie? Und was das für ein unbarmherziges Gestaffel hat: erst die kleine Lüge, dann die große; erst den Pfennig stiebitzt, dann den Taler; erst das Tier malträtiert, dann den Menschen; erst Tagdieberei, dann Ehrabschneiderei; erst ein Hansguckindieluft, dann ein Hurentreiber. Kein Respekt, kein Glauben, keine Redlichkeit, keine Liebe. Woher ist das alles gekommen? Aus mir? Es ist wohl schließlich an dem. Und da hab ich mich gefragt: wo, Urbas, und wann ist dein sterblich Teil oder dein unsterbliches so von der Hölle versengt worden, daß du solchen Stank und Unrat in die Welt gesetzt hast? Ist denn der Mensch nichts als ein geiler Schleim, daß er nur wieder geilen Schleim hervorbringt?«

      Er sah mich mit seinem großen Blick an wie ein Lastenschlepper, der unter der schweren Bürde keucht. Es entstand eine Stille. Er wischte sich mit dem Rockärmel die Feuchtigkeit von der Stirn. Ich begriff seine Erschütterung und sie teilte sich mir mit, aber mein in Zwiespalt geratenes Gefühl zieh ihn der Überheblichkeit, und ich konnte mich nicht enthalten, es zu äußern. »Ein solches Maß von Verantwortung sich zuzuschreiben, geht meines Erachtens weit über das hinaus, was einem Menschen verstattet ist,« bemerkte ich; »übernimmt man sich in dem, wozu man sich verpflichtet wähnt, so vergreift man sich auch in seinen Rechten. Sie berufen sich in allen Stücken auf sich allein; als Mann und Vater nur auf sich selbst. Wie steht dann aber die Mutter da, die doch den gleichen Anspruch auf den Sohn hat, den stärkeren sogar? Die wird Ihre Gründe nicht billigen und gewiß nicht die Tat, für die Sie alle Bande der Familie zerreißen mußten.«

      »Darüber läßt sich nicht disputieren,« antwortete Urbas hart; »das geht dorthin, wo das Denken aufhört. Ob sie meine Gründe billigt, weiß ich nicht. Sie hat verspielt, und ich hab verspielt. Ist bei ihr der Kummer groß, so ist bei mir die Verdammnis noch größer. Bleibt ihr nichts vom Leben übrig, so ist mirs schon vergällt seit Jahr und Tag. Freilich ist sie mehr zu bedauern. Wars doch als gäb ihr Leib ungern die Frucht her und sträube sich ahndungsvoll gegen meine eitle Torheit und Ungeduld. Man muß nur die Natur recht verstehn, aber man versteht sie mit nichten und wills besser machen und rennt wie ein Bock wider die verriegelte Tür. Es sollte kein Weib ein einziges Kind haben, da steht zuviel drauf. Meine Mutter hatte neun; davon sind allerdings sieben gestorben; meine Ahn sechzehn, und auch von denen sind acht früh mit Tod abgegangen. Solches Sterben hat nichts Bitteres. Von den Körnern bei der Aussaat gehen auch nicht alle auf. Ein einziges Kind soll man nicht haben; damit nimmt man sich zuviel vor, wie beim Lotteriespiel. Da ist kein Ausgleich, da schlägt die Flamme auf einen zurück und wird Qualm. Einer Mutter bangt vielleicht, und ihr Gemüt fällt in Finsternis, wenn ihr Eins und Alles verworfen ist vor Gott und Menschen; aber sie ist drin gefangen für Zeit und Ewigkeit, und träte er mit der aufgehobenen Hacke vor sie hin, sein Leben gälte ihr mehr als ihres. Kein Gut, kein Böse mehr; das Blut schreit lauter. Ich derweil! Vater, hats mich angerufen. Was ist das, Vater? hab ich mich gefragt und hab nach dem Ursinn geforscht. Wär ich zur Magd ins Bett gegangen und hätte mit ihr einen Sohn gezeugt, der hätte mich auch Vater genannt. Wärs dasselbe gewesen? Es wäre nicht dasselbe gewesen. Vielleicht wär der der Geratene, der Ehrfürchtige, der Gewünschte gewesen. Warum nicht ihn gezeugt, warum den Mißratenen? Aber da steht das Gesetz dagegen auf, und das Gesetz ist heilig. Und wär dann das Weib noch mein Weib gewesen? Ich will einmal sagen: der Mann reicht weiter hinauf und hinunter denn das Weib. Ich will auch dieses sagen: der Vater ist tiefer in der Schuld denn die Mutter. Die Mutter sitzt am Rocksaum unseres Herrn, und er mag ihr nichts zuleide tun. Nach dem Vater wird gefragt, er muß Rechenschaft ablegen. Mitteninne steht er in der Geschlechterkette; die obern deuten auf ihn, und die untern deuten auf ihn. Er darf sich nicht gefallen in der Zärtlichkeit und Liebkosung, denn aus den Augen des Sohnes schaut ihn die Gemeinde an, schaut ihn der Kaiser an, schauen ihn die Altvordern an und alle, die nachher sind bis ins vierte und fünfte Glied. Der Sohn ist ihm verliehen als ein Pfand, will ich einmal sagen, daß er es der Welt zurückgeben soll, wenn die Zeit reif ist. Weh dem, der mit leeren Händen kommt und sprechen muß: ich habs verwirkt.«

      Er schaute starr in die Luft, erhob sich vom Stuhl und wiederholte laut:

       »Ich habs verwirkt.« Dann setzte er sich wieder.

      Ich wagte nicht die Versunkenheit zu stören, in die er fiel. Auch suchte ich in meinen Gedanken einen Weg, der weiter führte. Von Minute zu Minute war ich meiner Sache sicherer geworden, aber ich hatte Furcht. Eine solche Sicherheit war in mir, daß Vorgänge, die sich bis jetzt auf bloße Vermutungen und Kombinationen gestützt hatten, die Leuchtkraft des Erlebten gewannen, und in einer seherischen Glut fügte sich Bild an Bild. Zweifellos trug hiezu das Fluidum des Menschen bei, der mir gegenübersaß, und daher auch die Furcht. Ich habe trotz einer langen Laufbahn als ausübender Jurist und Richter, oder vielleicht durch sie, die Übertragbarkeit außerordentlicher Seelenzustände zu oft erfahren, um sie hier zu leugnen, wo ich plötzlich eine Fähigkeit zu entfalten vermochte, die ihr entwuchs. Es war etwas Grandioses um den Mann; seines Geheimnisses mich zu bemächtigen, dünkte mich fast unerlaubt; ich zauderte; ich fand das Wort nicht; schließlich aber unterbrach ich das tiefe Schweigen, beugte mich weit über den Tisch und fragte: »Sie sind in die Kammer hinübergegangen, um ein Ende zu machen?«

      Er antwortete nicht. Die aufeinander gepreßten Lippen schienen sich der Rede wieder verweigern zu wollen. Doch für mich barst diese hartnäckige Stirn; sie öffnete sich wie ein Buch, und ich konnte in dem Raum dahinter lesen. »Sie waren zweimal in der Kammer,« sagte ich plötzlich aufs Geradewohl, oder vielleicht ist das falsch: aufs Geradewohl, vielleicht geschah es unter der brennenden Eingebung und Vision des Augenblicks; »zweimal; als Sie sie das erste Mal verließen, lebte Simon noch. Als Sie das zweite Mal hineingingen, lag er schon als Leiche auf dem Bett.«

      Ich hatte nie gedacht, daß das Gesicht dieses Bauern, das von Natur braun war wie gebeiztes Holz, so weiß werden könne. Das Weiße quoll förmlich aus den Poren heraus und überzog die Haut mit einem Schimmer wie von nassem Kalk. Er stierte mich mit weiten Augen an, seine Backen schlotterten, und mit beiden Händen griff er an den Hals. Nun gab es keine Unschlüssigkeit mehr für mich; ich zwang mich zu angemessener Ruhe und fuhr fort: »Sie sind zu ihm gegangen, um ihm Geld zu bringen. Sie hatten an dem Sonntag kein Geld im Hause und liehen sich unmittelbar nach Tisch zweitausend Mark von Ihrem Nachbarn Stephan Buchner aus. Ist es nicht so? Das Geld sollte dazu dienen, daß sich Simon auf der Stelle davonmachte. Er sollte nach einer Hafenstadt, am selben Abend noch, und von dort nach Amerika. Ist es nicht so? Sie boten ihm das Geld, Sie entwickelten ihm Ihren Plan, und Sie erwarteten, daß er ohne Zögern gehorchen würde. Aber er gehorchte nicht nur nicht, sondern er schlug auch das Geld aus. Sie fragten ihn, da begann er zu sprechen. Zuerst war, was er vorbrachte, wirr und faselnd, denn er war noch benebelt von dem Trinkgelage, dann aber wurde seine Rede klar, Ihnen jedenfalls furchtbar klar. Sie standen vor ihm und schwiegen. Sie nahmen nicht einmal Anstoß daran, daß er auf der Bettstatt liegen blieb und in die Luft hinein sprach; denn Sie fühlten, daß er nicht den Mut gehabt hätte, zu sprechen, wenn er Ihnen ins Gesicht hätte schauen müssen. Sie haben zugehört, nur zugehört, und aus dem Zuhören entstand alles übrige. Verhält es sich so oder nicht?«

      Urbas ließ den angstvollen Blick nicht eine Sekunde lang von mir. »Da müssen Sie wohl als ein verzauberter Geist im Hause gewesen sein,« stammelte er verstört.

      »Nein,« erwiderte ich; »es sind einfache Schlußfolgerungen aus Tatsachen. Die unscheinbarsten Tatsachen hinterlassen oft die eindringlichsten Spuren. Denken Sie nicht an Zauberei und Blendwerk. Eines Menschen Tun und Treiben wirkt nach allen Richtungen hin mit sonderbarer Gesetzmäßigkeit. Es ist, als schleudre man einen Stein ins Wasser; die Ringe breiten sich aus und vergehen, aber die Bewegung kann noch gemessen werden, auch wo das Auge längst nichts mehr gewahrt. In dem Betracht kann wirklich keiner entrinnen; jeder Schritt nach jeder Seite, was er mit dem Finger faßt und mit dem Atem behaucht, knüpft ihn fester in das Netz. Ich besitze eine Zeugenschaft, der ich anfangs wenig Wert beilegte; im Lauf der Zeit erst begriff ich ihre Wichtigkeit. Es gibt da einen Eichstädter Maler namens Kießling, Freund und Zechkumpan von Simon; ein verbummelter Kerl, eine verkommene СКАЧАТЬ