Название: Gesammelte Werke
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026884484
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„Gott, Sie sind ja ganz durchgefroren!" rief sie aus. „Sehen Sie: Sie zittern ja. Sagen Sie nicht nein; Sie zittern. Und ich lag hier warm und sicher wie in Abrahams Schoß!"
„Ich kann nicht einsehen, was es an der Sache geändert hätte, wenn Sie auch durchgefroren wären", lachte ich.
„Ich werde es ja doch, sobald ich steuern gelernt habe, was ja hoffentlich bald der Fall sein wird."
Sie setzte sich auf und begann ihre einfache Toilette zu machen. Sie schüttelte ihr Haar auf, daß es ihr in einer braunen Wolke um Gesicht und Schultern fiel. Ihr herrliches braunes Haar! Ich hätte es küssen mögen, es durch meine Finger gleiten lassen, mein Gesicht darin vergraben mögen! Wie verzaubert starrte ich sie an und vergaß das Ruder, bis das Boot in den Wind lief und das flatternde Segel mich an meine Pflicht mahnte.
Ich war überrascht und froh, als ich sah, wie weiblich sie war, denn in meiner Vorstellung hatte ich fast ein göttliches, gänzlich unnahbares Wesen aus ihr gemacht. So begrüßte ich auch mit Freuden die kleinen Züge, die sie doch alles in allem als eine Frau aus Fleisch und Blut offenbarten.
Ich versuchte, das Ruder mit Hilfe eines Keils festzumachen, und das Boot hielt seinen Kurs ganz gut ohne meine Hilfe. Nur gelegentlich kam es zu dicht an den Wind oder fiel etwas ab, aber jedesmal richtete es sich von selbst wieder und benahm sich überhaupt recht befriedigend.
„Und nun wollen wir frühstücken", sagte ich. „Zunächst aber müssen Sie sich etwas wärmer kleiden. "
Ich suchte ein neues Hemd hervor, das aus demselben Stoff wie die Decken gemacht war. Ich kannte das Gewebe und wußte, daß es wasserdicht war und selbst bei stundenlangem Regen keine Feuchtigkeit durchließ. Als sie es übergestreift hatte, vertauschte ich ihre Knabenmütze gegen eine Männerkappe, die groß genug war, ihr Haar zu bedecken, und die, wenn die Klappen heruntergeschlagen wurden, ihr ganz über Ohren und Hals ging. Die Wirkung war bezaubernd. Nichts vermochte das köstliche Oval, die fast klassischen Brauen, die großen braunen Augen mit ihrem klaren, ruhigen Blick zu zerstören.
Ein etwas stärkerer Stoß traf uns, als wir gerade einen Wogenkamm passierten. Das Boot legte sich so viel über, daß der Rand der Reling die Oberfläche streifte und wir etwa eine Pütze Wasser übernahmen. Ich war gerade dabei, eine Dose Zungenwurst zu öffnen. Ich ließ sie fallen, sprang an die Schot und warf sie gerade noch im rechten Augenblick hinüber. Das Segel schlug und flatterte, und das Boot kam klar. Wenige Minuten später hatte ich es wieder in den Kurs gebracht und konnte die Vorbereitungen zum Frühstück wiederaufnehmen.
„Es funktioniert, wie es scheint, sehr gut, wenn ich auch in seemännischen Fragen nicht sehr erfahren bin", sagte sie und nickte beifällig mit dem Kopf nach meiner Steuervorrichtung.
„Aber es geht nur, solange wir mit dem Winde segeln", erklärte ich. „Wenn wir den Wind dwars haben oder kreuzen müssen, muß ich doch steuern."
„Ich muß gestehen, daß mir Ihre technischen Ausdrücke fremd sind", sagte sie. „Aber ich verstehe Ihre Schlußfolgerung und bin nicht gerade froh darüber. Sie können doch nicht ununterbrochen Tag und Nacht steuern. Sie werden mir also nach dem Frühstück meine erste Unterrichtsstunde erteilen. Und dann werden Sie sich hinlegen und schlafen. Wir werden abwechselnd die Wache übernehmen wie auf einem Schiff."
„Ich weiß nicht, wie ich es Ihnen beibringen .soll", wandte ich ein. „Ich bin ja selbst erst Schüler. Als Sie sich mir anvertrauten, haben Sie wohl kaum bedacht, daß ich keine Erfah-rung habe. Es ist das erste Mal, daß ich mich überhaupt in einem kleinen Boot befinde."
„Dann müssen wir es eben gemeinsam lernen, Käpt'n. Und da Sie einen Vorsprung von einer Nacht haben, werden Sie mich lehren, was Sie unterdessen gelernt haben. Und nun das Frühstück! Die Luft macht hungrig!"
„Kaffee gibt es nicht!" sagte ich bedauernd und reichte ihr mit Butter bestrichenen Zwieback und eine Scheibe Zungenwurst. „Und es wird keinen Tee, keine Suppe und überhaupt nichts Warmes geben, bis wir irgendwo an Land gekommen sind."
Nach einem einfachen Frühstück, das durch eine Tasse kalten Wassers gekrönt wurde, erhielt Maud ihre erste Unterrichtsstunde im Steuern. Während ich sie unterwies, lernte ich selbst ein gut Teil; ich wandte die Kenntnisse an, die ich mir durch das Segeln der Ghost und das Beobachten der Steuerleute in den Booten angeeignet hatte. Maud war eine gelehrige Schülerin und lernte bald, den Kurs zu halten, vor den Windstößen zu luven und im Notfall die Schot hinüberzuwerfen.
Als sie von der Arbeit offenbar übermüdet war, überließ sie mir wieder das Ruder. Ich hatte die Decken zusammengelegt, aber sie breitete sie jetzt wieder auf dem Boden aus. Als das geschehen war, sagte sie: „So, Käpt'n, jetzt gehen Sie in die Koje. Und Sie werden bis zum zweiten Frühstück schlafen - bis zum Mittagessen", verbesserte sie sich, indem sie an die Zeiteinteilung auf der Ghost dachte.
Was sollte ich tun? Sie bestand darauf und sagte „Bitte, bitte!", worauf ich ihr das Ruder überließ und gehorchte. Ich hatte ein wundersames Gefühl, als ich in das Bett kroch, das sie mir mit ihren Händen bereitet hatte. Die Ruhe und Selbstbeherrschung, die einen so bedeutsamen Teil ihres Wesens ausmachten, schienen sich den Decken mitgeteilt zu haben. Ich sank in eine sanfte Schläfrigkeit und Zufriedenheit. Das feine Oval mit den braunen Augen in dem Rahmen der Fischermütze wiegte sich vor dem Hintergrund grauer Wolken und grauer Wogen - dann wußte ich, daß ich geschlafen hatte.
Ich sah auf meine Uhr. Ich hatte sieben Stunden geschlafen. Und sie hatte sieben gesteuert! Als ich das Ruder nahm, mußte ich ihr die verkrampften Finger öffnen. All ihr bißchen Kraft war erschöpft, und sie war nicht einmal imstande, sich von ihrem Platz zu bewegen. Ich mußte die Schot fahrenlassen, um ihr in das warme Nest von Decken zu helfen und ihre Hände und Arme zu reiben.
„Ich bin so müde!" sagte sie; ihr Atem ging schnell, und sie ließ ihren Kopf mit einem Seufzer sinken.
Aber im nächsten Augenblick richtete sie sich wieder auf. „Jetzt schelten Sie aber nicht, wagen Sie nicht zu schelten!" rief sie in gespieltem Trotz.
„Ich hoffe, daß ich kein böses Gesicht mache", sagte ich ernst, „denn ich versichere Ihnen, daß ich nicht im geringsten ärgerlich bin."
„Nein", meinte sie nachdenklich. „Es sieht nur vorwurfsvoll aus."
„Dann ist es ein ehrliches Gesicht und drückt nur aus, was ich fühle. Sie haben unrecht sowohl gegen sich selbst wie gegen mich gehandelt. Wie soll ich in Zukunft Vertrauen zu Ihnen haben?"
Sie sah ganz reuevoll aus. „Ich werde brav sein", sagte sie wie ein unartiges Kind. „Ich verspreche -"
„Zu gehorchen, wie ein Matrose seinem Kapitän gehorcht?"
„Ja", sagte sie. „Es war dumm von mir, ich weiß."
„Dann müssen Sie mir noch etwas versprechen", meinte ich.
„Gern."
„Sie dürfen nicht zu oft, Bitte, bitte!' sagen, denn sonst untergraben Sie meine Autorität."
Sie lachte belustigt. Auch sie hatte die Macht ihres „Bitte, bitte!" bemerkt.
„Das Wort ist schön -", begann ich.„Aber ich darf es nicht ausnutzen", unterbrach sie mich. Dann lachte sie müde und ließ den Kopf wieder zurücksinken.
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