Die große Gauklerin: Ein Roman aus Venedig. Carry Brachvogel
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die große Gauklerin: Ein Roman aus Venedig - Carry Brachvogel страница 9

Название: Die große Gauklerin: Ein Roman aus Venedig

Автор: Carry Brachvogel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 4064066113766

isbn:

СКАЧАТЬ die Gondel um, und sie fuhren zurück zum Palazzo Ettore Priuli, dessen Pforten sich eben für die Besucher der Gemäldegalerie öffneten.

      Es war der erste Privatpalast, den die Schöttlings betraten, denn wenn sie auch Spitzen- und Glaswarenläden besucht hatten, die sich in früheren Edelsitzen breit machten, so waren es eben doch immer Kaufläden gewesen, bei denen die Waren die Hauptsache und die Umgebung das Nebensächliche schien. Hier aber schritten sie durch Räume, die heute noch derselben Tradition dienten, der sie vor Jahrhunderten gedient hatten, und die Schöttlings empfanden ein köstliches Gefühl von Ehrfurcht, das gar nichts mit Snobismus zu tun hatte, vielmehr aus feinfühligen und gebildeten Herzen herkam. Hier war alles Pracht, wie das alte Venedig sie geschätzt hatte: die Fußböden aus buntem Marmor, mit reizvollen Mustern eingelegt, die Wände mit Seide und Gobelins bespannt, die Decken entweder aus dunklem, kassettiertem Holz reich mit Gold inkrustiert oder mit heiteren Gemälden und verschlungenen Stuckgirlanden. Die Galerie lag im Erdgeschoß, während das erste Stockwerk, das sich noch weit nach hinten mit der Aussicht auf einen anderen Kanal dehnte, die Wohnungen der Priulis umschloß. Ein Diener in Kniestrümpfen und schwarzer Livree empfing die Besucher, nahm ihnen Stöcke und Schirme ab, wies sie mit einer diskreten Handbewegung nach den zwei Sälen, welche die Galerie bildeten, und zog sich dann wieder zurück, um neue Gäste zu empfangen.

      Der Oberst und Elisabeth musterten nur flüchtig die Gemälde des ersten Saales, denn es drängte sie, das berühmte Bild zu sehen, um dessentwillen diese kleine Privatgalerie sich großen Stadtsammlungen an die Seite stellen konnte, und das sie natürlich schon aus zahllosen Kopien und Reproduktionen kannten. Wie sie dann vor dem Bild standen, merkten sie aber deutlich, wie arm alle Nachbildungen gegenüber dieser Offenbarung eines Begnadeten bleiben mußten, dessen Farben so heiß und jubelnd waren, daß sie sich in Töne zu verwandeln schienen, und für den die Raumbeschränkung nicht ein mühselig zu überwindendes Hindernis bildete, sondern die gewollte Abgrenzung eines strenggedachten und scheinbar spielend ausgeführten Baues. Das Bild, ein Kniestück, etwas unter Lebensgröße, stellte eine junge Frau dar. Sie war in ein purpurfarbenes, mit Gold und Perlenstickerei reich verbrämtes Gewand gekleidet, hielt zwischen dem spitzen Zeigefinger und dem Daumen der rechten Hand einen goldenen Ring, so als ob sie ihn zeigen wollte. Das Gesicht glich anderen Frauen des Meisters, wie sie sich alle gleichen, nur war es vergeistigter, vielleicht auch ein wenig leidvoller, als die Renaissance sonst die Frauen darzustellen liebt. Auf den rötlichen Haaren saß ein goldener Kopfschmuck, der dem Mützchen einer Dogaressa glich. Sie stand vor einem Vorhang aus gelbem Damast, der sich hinter ihr zurückschlug und die Lagune enthüllte, auf der man den Bucentaurus schwimmen sah, das Prachtschiff, von dem der Doge alljährlich den Ring ins Meer warf, zum Zeichen, daß Venedig und die Adria unlöslich miteinander vermählt seien. Weil man nicht genau wußte, wen das Bild darstellte, ob es wirklich, wie einige Kunsthistoriker behaupteten, eine Dogaressa Priuli oder nur sonst eine vornehme Dame war, hieß es bald ›die Dogaressa‹, bald auch nur ›die Frau mit dem Ring‹. Wie immer es aber heißen mochte, – wer vor ihm stand, vergaß bald nach Namen und Sinn zu fragen, versank tief in den Zauber, der von diesen Farben, von dieser wundersamen Abstimmung des goldfarbenen Vorhangs zwischen dem purpurnen Kleid und der blauschimmernden Lagune ausging. Lange standen der Oberst und Elisabeth vor dieser köstlichen Frau, sahen immer noch zu ihr empor, auch als die Besucher, die mit ihnen gekommen, schon wieder gegangen waren und neue eintraten. Nur »der erste Kirchgang Mariä« in der Academia hatte ähnliche Empfindungen in ihnen ausgelöst, hatte sie so bis zuletzt einem Kunstwerk hingegeben, wie dieses Bildnis hier.

      Halblaut, als stünden sie an geweihtem Ort, tauschten sie bewundernde Bemerkungen über Einzelheiten der Technik und der Wirkung aus, aber nicht gar viele, denn sie fühlten beide, daß man hier nur schauen, nicht sprechen oder erläutern mußte. Als sie sich dann endlich von der »Dogaressa« losrissen, um die übrige Galerie zu betrachten, kamen ihnen die andern Schulen und Bilder, die hier vertreten waren, blaß und nichtig vor, so daß sie nichts von ihnen in der Erinnerung behielten, auch späterhin nicht wußten, ob sie in Wirklichkeit oder nur durch den Gegensatz so unbedeutend waren, wie sie ihnen erschienen.

      Wie Schöttlings die Galerie wieder verließen und durch das Erztor hinaustraten auf die Stufen, um ihren Gondoliere heranzuwinken, der ein wenig beiseite gefahren war, bot sich ihnen ein Anblick, bei dem Elisabeths Herz zu klopfen begann, so daß ihr wieder, wie gestern auf dem Lido, das Blut ins Gesicht stieg. Am Fuß der Treppe auf der letzten Stufe, welche das Wasser frei ließ, stand ein hochgewachsener, schlanker Mann mit einem jungen, kühnen Gesicht – Ettore Priuli. Er trug wieder seinen weißen Anzug, seine tadellosen, hellen Schuhe, das Fächerchen in der Brusttasche, den Hut weit zurückgeschoben und im Knopfloch seines Jacketts eine dunkle Rose. Er erwartete seine eigene Gondel, die eben von zwei Gondolieri mit zarten Ruderschlägen herangerudert wurde. Noch ehe Elisabeth ihn bemerkte, hatte er sie schon unter den herausströmenden Fremden herausgefunden und erkannt und warf ihr nun, ohne seine Stellung zu verändern, wieder jene schmachtenden und lockenden Blicke zu, mit denen er gestern schon die ihrigen eingefangen hatte. Seine Gondel kam jetzt hergeschwommen, schwarz wie alle andern, aber reich vergoldet am Steuer und am Schnabel und mit schwellenden Sammetkissen belegt. Die Gondolieri trugen helle Leinenanzüge mit Schärpen in den Hausfarben der Priuli und breitrandige Strohhüte mit weiß-blauen Bändern. Der altersgraue Palast, vor dem der junge Beau auf seine Gondel wartete, die prächtige Erscheinung Ettores, die malerische Konstrastwirkung der dunklen Gondel mit den hellgekleideten Burschen, die sie führten, – das alles gab zusammen ein so echt venezianisches Bild, daß die Schöttlings darauf hinsahen, als hätten sie ein Gemälde von Canaletto vor sich, nicht Menschen und Dinge der Wirklichkeit. Ettore wußte wohl, wie dekorativ er da aussah, und freute sich des Eindrucks, den er samt seiner Umgebung hervorbrachte. Er fand aber auch, daß es für heute genug sei, daß ein rasches Verschwinden die Neugier rege machen und so seine Chancen erhöhen würde, und darum markierte er ein wenig Ungeduld und schickte sich an, in die Gondel zu springen, noch ehe sie völlig herangerudert war. In diesem Augenblick kam von der andern Seite, vom Palazzo Carlo Priuli her, eine gewöhnliche Mietsgondel, in der ein einziger Mann saß. Er mochte nur wenig älter sein als Ettore, und die Gesichter der beiden trugen eine gewisse Familienähnlichkeit, aber Carlo Priuli sah viel älter, gescheiter und nervöser aus als sein schöner Vetter, und obgleich auch er mit der koketten Eleganz des Italieners gekleidet war, merkte man ihm doch an der Miene, an den Bewegungen und am Blick an, daß er kein Bummler war, sondern ein geistiger Arbeiter. Er zog seine Uhr heraus, fluchte halblaut etwas vor sich hin, trieb den Gondoliere zur Eile an und langte dann von der Bank neben sich ein Notizbuch her, in das er allerlei Zahlen und Zeichen einschrieb.

      Offenbar rechnete er irgend etwas aus, denn er hielt immer wieder im Schreiben an, klemmte den Bleistift zwischen die Zähne und sah mit einer Falte über der Nasenwurzel starr in die Ferne, wie jemand tut, der sein Gehirn zu straffer Arbeit zwingt. Ettore sah ihn und lächelte ein wenig spöttisch. Er rief ihn an:

      »Carlo, wohin in solcher Eile?«

      Der andere hob den Kopf, lüftete ein wenig den Hut, schien aber von der Begegnung mit dem schönen Vetter nicht gerade hocherfreut. Er gab kurz zurück:

      »Zu einer Unterredung bei Grimaldi. Es ist höchste Zeit. Ich bin schon um zehn Minuten zu spät daran!«

      Ettore lachte und rief: »Zehn Minuten zu spät, entsetzlich! Die Welt wird untergehen, wenn Grimaldi ganze zehn Minuten auf Dich warten muß!«

      Carlo lachte gezwungen, entgegnete aber nichts. Seine Gondel war auch schon zu dreiviertel vorüber. Ettore rief ihm noch nach:

      »Kommst Du nicht einmal auf den Lido hinüber?«

      »Ich glaube kaum, vielleicht fahre ich schon in den nächsten Tagen nach Rom, es kann sein, daß ich ins Ministerium muß!«

      Damit war Carlo Priuli um die Ecke des kleinen Kanals verschwunden, und auch Ettore sprang jetzt in seine Gondel. Elisabeth hatte die kleine Szene ohne besonderes Interesse beobachtet, wurde erst aufmerksam, als der Gondoliere ihr flüsternd die Namen der beiden Herren СКАЧАТЬ