Название: Gesammelte Werke
Автор: Robert Musil
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026800347
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Kann ein Pferd lachen?
Ein angesehener Psychologe hat den Satz niedergeschrieben: «… denn das Tier kennt kein Lachen und Lächeln.»
Das ermutigt mich zu erzählen, daß ich einmal ein Pferd lachen gesehn habe. Ich dachte bisher, das könne man alle Tage behaupten, und getraute mich nicht, Aufhebens davon zu machen; aber wenn es etwas so Kostbares ist, will ich gern ausführlich sein.
Also es war vor dem Krieg; es könnte ja sein, daß seither die Pferde nicht mehr lachen. Das Pferd war an einen Schilfzaun angebunden, der einen kleinen Hof umgrenzte. Die Sonne schien. Der Himmel war dunkelblau. Die Luft äußerst milde, obwohl man Februar schrieb. Und im Gegensatz zu diesem göttlichen Komfort fehlte aller menschliche: Mit einem Wort, ich befand mich bei Rom, auf einem Landweg vor den Toren, an der Grenze zwischen den bescheidenen Ausläufern der Stadt und der beginnenden bäuerlichen Campagna.
Auch das Pferd war ein Campagnapferd: jung und zierlich, von dem wohlgeformten kleinen Schlag, der nichts Ponyartiges hat, auf dem ein großer Reiter aber aussieht, wie ein Erwachsener auf einem Puppenstühlchen. Es wurde von einem lustigen Burschen gestriegelt, die Sonne schien ihm aufs Fell, und in den Achseln war es kitzlig. Nun hat ein Pferd sozusagen vier Achseln und ist darum vielleicht doppelt so kitzlig wie der Mensch. Außerdem schien aber dieses Pferd auch noch je eine besonders empfindliche Stelle an der Innenseite der Schenkel zu haben, und jedesmal wenn es dort berührt wurde, konnte es sich vor Lachen nicht halten.
Schon wenn sich der Striegel von weitem näherte, legte es die Ohren zurück, wurde unruhig, wollte mit dem Maul hinfahren und entblößte, wenn es das nicht konnte, die Zähne. Der Striegel aber marschierte lustig weiter, Strich vor Strich, und die Lippen gaben nun immer mehr das Gebiß frei, indes sich die Ohren immer weiter zurücklegten und das Pferdchen von einem Bein auf das andere trat.
Und plötzlich begann es zu lachen. Es fletschte die Zähne. Es suchte mit der Schnauze den Burschen, der es kitzelte, so heftig es konnte, wegzustoßen; in der gleichen Weise, wie das eine Bauernmagd mit der Hand tut, und ohne daß es nach ihm gebissen hätte. Es trachtete auch, sich zu drehen und ihn mit dem ganzen Körper fortzudrängen. Aber der Knecht blieb im Vorteil. Und wenn er mit dem Striegel in der Nähe der Achsel anlangte, hielt es das Pferd in keiner Weise mehr aus; es wand sich auf den Beinen, schauderte am ganzen Leib und zog das Fleisch von den Zähnen zurück, so weit es nur konnte. Es benahm sich dann sekundenlang genau so wie ein Mensch, den man dermaßen kitzelt, daß er nicht mehr lachen kann.
Der gelehrte Zweifler wird einwenden, daß es dann eben doch nicht hat lachen können. Darauf ist ihm zu antworten, daß dies insofern richtig sei, als der von beiden, der jedesmal vor Lachen wieherte, der Stallbursche war. Das scheint in der Tat nur ein menschliches Vermögen zu sein, vor Lachen wiehern zu können. Aber trotzdem spielten die beiden sichtlich in Übereinstimmung, und sobald sie wieder von vorn begannen, konnte gar kein Zweifel daran bestehen, daß auch das Pferd lachen wollte und schon auf das wartete, was kommen werde.
So schränkt sich der gelehrte Zweifel an der Fähigkeit des Tieres darauf ein, daß es nicht über Witze zu lachen vermag.
Das aber ist dem Pferd nicht immer zu verübeln.
Der Erweckte
Schob rasch den Vorhang zur Seite: – die sanfte Nacht! Ein mildes Dunkel liegt im Fensterausschnitt des harten Zimmerdunkels wie ein Wasserspiegel im viereckigen Bassin. Ich sehe es wohl gar nicht; aber es ist wie im Sommer, wenn das Wasser so warm ist wie die Luft und die Hand aus dem Boot hängt. Es wird sechs Uhr morgens am ersten November.
Gott hat mich geweckt. Ich bin aus dem Schlaf geschossen. Ich hatte gar keinen anderen Grund aufzuwachen. Ich bin losgerissen worden wie ein Blatt aus einem Buch. Die Mondsichel liegt zart wie eine goldene Augenbraue auf dem blauen Blatt der Nacht.
Aber auf der Morgenseite am anderen Fenster wird es grünlich. Papageienfedrig. Schon laufen auch die faden rötlichen Streifen des Sonnenaufgangs herauf, aber noch ist alles grün, blau und ruhig. Ich springe zum ersten Fenster zurück: Liegt die Mondsichel noch da? Sie liegt da, als ob es die tiefste Stunde des nächtlichen Geheimnisses wäre. So überzeugt ist sie von der Wirklichkeit ihrer Magie, als ob sie Theater spielte. (Nichts Komischeres gibt es, als wenn man aus vormittägigen Straßen in den Abersinn einer Theaterprobe tritt.) Links pulst schon die Straße, rechts probt die Mondsichel.
Ich entdecke seltsame Brüder, die Schornsteine. In Gruppen zu dritt, zu fünf, zu sieben, oder auch allein, stehen sie auf den Dächern; wie Bäume in der Ebene. Der Raum windet sich gleich einem Fluß zwischen ihnen in die Tiefe. Ein Uhu schleift zwischen ihnen nach Hause; wahrscheinlich war’s eine Krähe oder Taube. Die Häuser stehn kreuz und quer; seltsame Umrisse, abstürzende Wände; gar nicht nach Straßen geordnet. Die Stange am Dach mit den sechsunddreißig Porzellanköpfen und den zwölf Verspannungsdrähten, die ich verständnislos zähle, steht vor dem Morgenhimmel als ein völlig unerklärliches, geheimnisvolles oberstes Gebilde. Ich bin jetzt ganz wach, aber wohin ich mich auch wende, gleitet der Blick um Fünfecke, Siebenecke und steile Prismen: Wer bin dann ich? Die Amphore am Dach mit eisengegossener Flamme, tagsüber eine lächerliche Ananas, verächtliches Geschöpf schlechten Geschmacks, stärkt in dieser Einsamkeit mein Herz wie eine frische Menschenspur.
Endlich kommen zwei Beine durch die Nacht. Der Schritt zweier Frauenbeine und das Ohr: Nicht schauen will ich. Mein Ohr steht auf der Straße wie ein Eingang. Niemals werde ich mit einer Frau so vereint sein wie mit dieser unbekannten, deren Schritte jetzt immer tiefer in meinem Ohr verschwinden.
Dann zwei Frauen. Die eine filzig schleichend, die andere stapfend mit der Rücksichtslosigkeit des Alters. Ich sehe hinab. Schwarz. Seltsame Formen haben die Kleider alter Frauen. Die da streben zur Kirche. Längst ist ja die Seele um diese Stunde schon in Zucht genommen, und ich will nun nichts mehr mit ihr zu tun haben.
Schafe, anders gesehen
Zur Geschichte des Schafes: der Mensch findet heute das Schaf dumm. Aber Gott hat es geliebt. Er hat die Menschen wiederholt mit Schafen verglichen. Sollte Gott ganz Unrecht haben?
Zur Psychologie des Schafes: der sichtbar gestaltete Ausdruck hoher Zustände ist dem der Blödheit nicht unähnlich.
In der Heide bei Rom: Sie hatten die langen Gesichter und die zierlichen Schädel von Märtyrern. Ihre schwarzen Socken und Kapuzen an dem weißen Fell gemahnten an Todesbrüder und Fanatiker.
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