Gesammelte Werke. Robert Musil
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Robert Musil

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788026800347

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СКАЧАТЬ soweit kommt, daß ich das nicht mehr tun kann. Und das verläßlichste Mittel dazu ist, daß man ihn selbst bei Lebzeiten herausgibt; mag das nun jedem einleuchten oder nicht.

      Aber kann man denn überhaupt noch von Lebzeiten sprechen? Hat sich der Dichter deutscher Nation nicht schon längst überlebt? Es sieht so aus, und genau genommen, hat es, so weit ich zurückzudenken vermag, immer so ausgesehn, und ist bloß seit einiger Zeit in einen entscheidenden Abschnitt getreten. Das Zeitalter, das den Maßschuh aus fertigen Teilen hervorgebracht hat, und den fertigen Anzug in individueller Anpassung, scheint auch den aus fertigen Innen-und Außenteilen zusammengesetzten Dichter hervorbringen zu wollen. Schon lebt der Dichter nach eigenem Maß beinahe allerorten in einer tiefen Abgeschiedenheit vom Leben, und hat doch nicht mit den Toten die Kunst gemeinsam, daß sie kein Haus brauchen und kein Essen und Trinken. So günstig sind die Lebzeiten den Nachlässen. Auf die Benennung dieses Büchleins und seine Entstehung ist das nicht ohne Einfluß geblieben.

      Umso sorgfältiger müßte man natürlich mit seinen letzten Worten, auch wenn sie nur vorgespiegelt sind, umgehn. Inmitten einer donnernden und ächzenden Welt bloß kleine Geschichten und Betrachtungen herauszugeben; von Nebensachen zu reden, wo es so viele Hauptsachen gibt; seinen Ärger an Erscheinungen zu haben, die weit vom Schuß zurückliegen: ohne Zweifel, es mag manchem als Schwäche erscheinen, und ich will gern gestehn, daß auch mir der Entschluß zur Herausgabe allerhand Sorgen bereitet hat. Aber erstens hat immer schon ein gewisser Größenunterschied zwischen dem Gewicht dichterischer Äußerungen und dem Gewicht der unberührt von ihnen durch den Weltraum rasenden zweitausendsiebenhundert Millionen Kubikmeter Erde bestanden und mußte irgendwie in Kauf genommen werden. Zweitens darf ich mich vielleicht auf meine Hauptarbeiten berufen, denen es an den zusammenziehenden Kräften, die man hier vermissen könnte, am wenigsten fehlen dürfte; die weiterzuführen, aber gerade eine solche Zwischenveröffentlichung verlangte. Und schließlich: als mir dieses Buch vorgeschlagen wurde und die Teilchen, aus denen es zusammengesetzt werden sollte, wieder vor mir lagen, glaubte ich zu bemerken, daß sie doch eigentlich zeitbeständiger gewesen seien, als ich befürchtet hatte.

      Diese kleinen Arbeiten sind fast alle in den Jahren zwischen 1920 und 29 entstanden und zum erstenmal veröffentlicht worden; aber ein Teil von denen, die im Inhaltsverzeichnis «Bilder» heißen, geht auf ältere Vormerkungen zurück. So das «Fliegenpapier», das unter dem Titel «Römischer Sommer schon 1913 in einer Zeitschrift erschienen ist; und auch die «Affeninsel» stammt aus dieser Zeit, was ich erwähne, weil man diese beiden sonst leicht für erfundene Umschreibungen späterer Zustände halten könnte. In Wahrheit sind sie eher ein Vorausblick gewesen, getan in ein Fliegenpapier und in ein Zusammenleben von Affen; aber jedermann werden solche Weissagungen gelingen, der an kleinen Zügen, wo es sich unachtsam darbietet, das menschliche Leben beobachtet und sich den «wartenden» Gefühlen überläßt, die bis zu einer Stunde, die sie aufrührt, scheinbar «nichts zu sagen haben» und sich harmlos in dem ausdrücken, was wir tun und womit wir uns umgeben.

      Etwas Ähnliches, doch vorwiegend in umgekehrter Anwendung, läßt sich wahrscheinlich auch zugunsten der «Unfreundlichen Betrachtungen» und der «Geschichten, die keine sind» anführen. Sie tragen die Zeit ihrer Entstehung sichtbar an sich, und was an ihnen Spottrede ist, gilt zum Teil gewesenen Zuständen. Auch in der Form zeigen sie diesen Ursprung; denn sie sind für Zeitungen geschrieben worden, mit ihrem unaufmerksamen, ungleichen, dämmerig-großen Leserkreis, und hätten ohne Frage anders ausgesehn, wenn ich sie, so wie meine Bücher, für mich allein und für meine Freunde geschrieben hätte. Gerade hier war also die Frage zu beantworten, ob es erlaubt sei, die Veröffentlichung zu wiederholen. Jede Umänderung hätte dazu genötigt, alles neu zu entwerfen, und ich mußte mich ihrer ganz enthalten, außer daß ich da und dort etwas, das unter den Umständen seines Entstehens nicht nach Wunsch geraten war, im Sinn seiner eigenen Absichten nachbesserte. So ist nun wirklich zuweilen von Schatten, von einem Leben die Rede, das nicht mehr ist, und dazu in einer Art des begrenzten Ärgernisnehmens, das auf abschließende Vollständigkeit keinen Anspruch erhebt. Ich habe den Mut, den ich trotzdem in die Zeitbeständigkeit dieser kleinen Satiren setze, schließlich aus einem Satz von Goethe geschöpft, der zu diesem Zweck sinngemäß verändert werden kann, ohne an Wahrheit einzubüßen; er lautet dann: «in dem Einen, was schlecht gethan wird, sieht man das Gleichniß von allem, was schlecht gethan wird.» Dieser Satz läßt Hoffnung, daß die Kritik kleiner Fehler auch in Zeiten, wo schon viel größere gemacht werden, ihren Wert nicht verliert.

      I. Bilder

      Das Fliegenpapier

      Das Fliegenpapier Tangle-foot ist ungefähr sechsunddreißig Zentimeter lang und einundzwanzig Zentimeter breit; es ist mit einem gelben, vergifteten Leim bestrichen und kommt aus Kanada. Wenn sich eine Fliege darauf niederläßt – nicht besonders gierig, mehr aus Konvention, weil schon so viele andere da sind – klebt sie zuerst nur mit den äußersten, umgebogenen Gliedern aller ihrer Beinchen fest. Eine ganz leise, befremdliche Empfindung, wie wenn wir im Dunkel gingen und mit nackten Sohlen auf etwas träten, das noch nichts ist als ein weicher, warmer, unübersichtlicher Widerstand und schon etwas, in das allmählich das grauenhaft Menschliche hineinflutet, das Erkanntwerden als eine Hand, die da irgendwie liegt und uns mit fünf immer deutlicher werdenden Fingern festhält!

      Dann stehen sie alle forciert aufrecht, wie Tabiker, die sich nichts anmerken lassen wollen, oder wie klapprige alte Militärs (und ein wenig o-beinig, wie wenn man auf einem scharfen Grat steht). Sie geben sich Haltung und sammeln Kraft und Überlegung. Nach wenigen Sekunden sind sie entschlossen und beginnen, was sie vermögen, zu schwirren und sich abzuheben. Sie führen diese wütende Handlung so lange durch, bis die Erschöpfung sie zum Einhalten zwingt. Es folgt eine Atempause und ein neuer Versuch. Aber die Intervalle werden immer länger. Sie stehen da, und ich fühle, wie ratlos sie sind. Von unten steigen verwirrende Dünste auf. Wie ein kleiner Hammer tastet ihre Zunge heraus. Ihr Kopf ist braun und haarig, wie aus einer Kokosnuß gemacht; wie menschenähnliche Negeridole. Sie biegen sich vor und zurück auf ihren festgeschlungenen Beinchen, beugen sich in den Knien und stemmen sich empor, wie Menschen es machen, die auf alle Weise versuchen, eine zu schwere Last zu bewegen; tragischer als Arbeiter es tun, wahrer im sportlichen Ausdruck der äußersten Anstrengung als Laokoon. Und dann kommt der immer gleich seltsame Augenblick, wo das Bedürfnis einer gegenwärtigen Sekunde über alle mächtigen Dauergefühle des Daseins siegt. Es ist der Augenblick, wo ein Kletterer wegen des Schmerzes in den Fingern freiwillig den Griff der Hand öffnet, wo ein Verirrter im Schnee sich hinlegt wie ein Kind, wo ein Verfolgter mit brennenden Flanken stehen bleibt. Sie halten sich nicht mehr mit aller Kraft ab von unten, sie sinken ein wenig ein und sind in diesem Augenblick ganz menschlich. Sofort werden sie an einer neuen Stelle gefaßt, höher oben am Bein oder hinten am Leib oder am Ende eines Flügels.

      Wenn sie die seelische Erschöpfung überwunden haben und nach einer kleinen Weile den Kampf um ihr Leben wieder aufnehmen, sind sie bereits in einer ungünstigen Lage fixiert, und ihre Bewegungen werden unnatürlich. Dann liegen sie mit gestreckten Hinterbeinen auf den Ellbogen gestemmt und suchen sich zu heben. Oder sie sitzen auf der Erde, aufgebäumt, mit ausgestreckten Armen, wie Frauen, die vergeblich ihre Hände aus den Fäusten eines Mannes winden wollen. Oder sie liegen auf dem Bauch, mit Kopf und Armen voraus, wie im Lauf gefallen, und halten nur noch das Gesicht hoch. Immer aber ist der Feind bloß passiv und gewinnt bloß von ihren verzweifelten, verwirrten Augenblicken. Ein Nichts, ein Es zieht sie hinein. So langsam, daß man dem kaum zu folgen vermag, und meist mit einer jähen Beschleunigung am Ende, wenn der letzte innere Zusammenbruch über sie kommt. Sie lassen sich dann plötzlich fallen, nach vorne aufs Gesicht, über die Beine weg; oder seitlich, alle Beine von sich gestreckt; oft auch auf die Seite, mit den Beinen rückwärts rudernd. So liegen sie da. Wie gestürzte Aeroplane, die mit einem Flügel in die Luft ragen. Oder wie krepierte Pferde. Oder mit unendlichen Gebärden der Verzweiflung. Oder wie Schläfer. Noch am nächsten Tag wacht manchmal eine auf, tastet eine Weile mit einem Bein oder schwirrt mit dem Flügel. Manchmal geht solch eine Bewegung über das ganze Feld, dann sinken sie alle noch ein wenig tiefer in ihren Tod. Und nur an der Seite des Leibs, in der Gegend des Beinansatzes, haben sie irgend ein ganz kleines, СКАЧАТЬ