Название: Gesammelte Werke
Автор: Odon von Horvath
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027226528
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Entrüstet sprang er in sein Auto und dann ging das Auto los.
Sie sah noch die Nummer: IIA 16747.
Dann war das Auto verschwunden.
Es war sehr komisch.
38
Agnes ging durch den Forstenriederpark.
Dem entschwundenen Schlußlicht nach.
Sie wußte weder, wo sie war, noch, wie weit sie sich von ihrer Schellingstraße befand. Sie kannte nur die ungefähre Richtung und wußte, daß sie nun nach Hause gehen muß, statt in einem wunderbaren Auto zu sitzen. Erst allmählich wurde es ihr klar, daß sie nun fünf, sechs oder sieben Stunden lang laufen muß, um ihre Schellingstraße zu erreichen.
Die Nacht war still und hinter den alten Bäumen rechts und links lag groß und schwarz der Wald.
In diesem Wald jagte einst der königlich-bayerische Hof und veranstaltete auch große Hoftreibjagden. Nämlich in diesem Walde wohnte viel Wild und all diese Hirsche, Rehe, Hühner und Schweine wurden königlich gehegt, bevor man die Schweine durch eine königliche Meute zerreißen oder die Hirsche durch Hunderte königliche Treiber in den Starnberger See treiben ließ, um sie dort vom Kahn aus königlich erschlagen zu können.
Heut ist dies alles staatlich und man treibt die Jagd humaner, weil die Treibjagden zu teuer sind.
Erst nach zehn Minuten gewöhnte sich Agnes daran, nichts mehr komisch zu finden, sondern gemein. Es war doch alles leider zu wahr und sie überzeugte sich, daß ihre Schuhe nun bald ganz zerreißen werden und dann fürchtete sie sich auch, denn im deutschen Reich wird viel gemordet und geraubt.
Zwar sei das Rauben nicht das schlimmste, überlegte sie. Es sei doch bedeutend schlimmer, daß sie nun allein durch den Wald gehen muß, denn wie leicht könnte sie ermordet werden, zum Beispiel aus Lust, aber der Harry würde nie bestraft werden, sondern nur der Mörder.
Überhaupt seien die Richter oft eigentümlich veranlagt. So habe ihr erst vor vier Wochen das Berufsmodell Fräulein Therese Seitz aus der Schellingstraße erzählt, daß sie 1927 der Motorradfahrer Heinrich Lallinger vom Undosawellenbad in die Schellingstraß fahren wollte, aber plötzlich sei er in einen Seitenweg eingebogen, um sie dann weiter drinnen im Wald zu vergewaltigen. Sie habe gesagt, er solle sofort halten, da sie sonst abspringen würde, er habe aber nur gelächelt und die Geschwindigkeit verdoppelt, aber trotz der sechzig Kilometer sei sie abgesprungen und hätte sich den Knöchel gebrochen. Sie habe dann den Lallinger angezeigt wegen fahrlässiger Körperverletzung und Freiheitsberaubung, aber der Oberstaatsanwalt habe ihr dann später mitgeteilt, daß er das Verfahren gegen Herrn Heinrich Lallinger eingestellt habe, weil ihm kein Verschulden nachzuweisen sei, da es ja bekannt sei, daß sich junge Mädchen, die sich abends mit einem Motorrad nach Hause fahren ließen, es als selbstverständlich erachteten, daß erst zu gewissen Zwecken ein Umweg gemacht werden würde. Freiheitsberaubung liege also nicht vor und sie sei selbst daran schuld gewesen, daß sie sich den Knöchel gebrochen hat.
39
Agnes hörte Schritte.
Das waren müde schleppende Schritte und bald konnte sie einen kleinen Mann erkennen, der vor ihr herging. Sie hätte ihn fast überholt und übersehen, so dunkel war es geworden.
Auch der Mann hörte Schritte, blieb stehen und lauschte.
Auch Agnes blieb stehen.
Der Mann drehte sich langsam um und legte den Kopf bald her bald hin, als wäre er kurzsichtig.
»Guten Abend«, sagte der Mann.
»Guten Abend«, sagte Agnes.
»Habens nur keine Angst, Fräulein«, sagte der Mann. »Ich tu niemand nix. Ich wohn in München und geh nach Haus.«
»Habn wir noch weit bis München?« fragte Agnes.
»Ich komm von Kochel«, sagte der Mann. »Den größten Teil hab ich hinter mir.«
»Ich komm grad von da«, sagte Agnes.
»So«, sagte der Mann und schien gar nicht darüber nachzudenken, was dies »von da« bedeuten könnte.
Sie gingen wieder weiter.
Es sah aus, als würde er hinken, aber er hinkte nicht, es sah eben nur so aus.
»Was klappert denn da?« fragte Agnes.
»Das bin ich«, sagte der Mann und sprach plötzlich hochdeutsch. »Ich hab nämlich eine sogenannte künstliche Ferse und einen hölzernen Absatz seit dem Krieg.«
40
Agnes hat es nie erfahren, daß der Mann Sebastian Krattler hieß und in der Nähe des Sendlingerberges wohnte. Er hat sich ihr weder vorgestellt, noch hat er ihr erzählt, daß er von Beruf Schuster war, daß er aber nirgends Arbeit fand und also, obwohl er bereits seit fast dreißig Jahren eingeschriebenes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei war, auf die Walze gehen mußte, nachdem er noch vorher im Weltkrieg mit einer künstlichen Ferse ausgezeichnet worden ist.
Auch hat er es ihr verschwiegen, daß er einen Neffen im Wallgau bei Mittenwald hatte, einen großen Bauern, bei dem er irgendeine Arbeit zu finden hoffte. Aber dieser Neffe hatte für ihn wegen seiner Kriegsauszeichnung keine Arbeit, denn die Bauern sind recht verschmitzte Leute.
Aber in Tirol würden die Pfaffen eine Kirche nach der anderen bauen und die höchstgelegenste Kirche stünde am Rande der Gletscher.
Das seien lauter gottgefällige Werke, denn die Tiroler seien halt genau wie die Nichttiroler recht religiös. Oder vielleicht nur schlecht. Oder blöd.
»Daß anders wird, erleb ich nimmer«, sagte der Mann.
»Was?« fragte Agnes.
»Sie werdens vielleicht noch erleben«, sagte der Mann und meinte noch, wenn es jetzt Tag wäre, dann könnte man schon von hier aus die Frauentürme sehen.
41
Um Mitternacht erblickte Agnes eine Bank und sagte, sie wolle sich etwas setzen, weil sie kaum mehr weiter könne und ihre Schuhe wären nun auch schon ganz zerrissen. Der Mann sagte, dann setze er sich auch, die Nächte seien ja noch warm.
Sie setzten sich und auf der Banklehne stand: »Nur für Erwachsene«.
Der Mann wollte ihr gerade sagen, es wäre polizeilich verboten, daß sich Kinder auf solch eine Bank setzen oder, daß man СКАЧАТЬ