Fridolins heimliche Ehe. Adolf von Wilbrandt
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Название: Fridolins heimliche Ehe

Автор: Adolf von Wilbrandt

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ will dir sagen, Fridolin, was ich denke, – damit du mich auslachen kannst. Ich hab' mir vorgesetzt, mit fünfundzwanzig Jahren fertiger Selbstarzt, mit dreißig Jahren fertiger Charakter, mit fünfunddreißig Jahren fertiger Meister meines Berufs zu sein.«

      »Deines Berufs als Naturerforscher?«

      »Ja.«

      Fridolin seufzte mit sentimentalem Humor. »Und ich, mit vierzig Jahren, bin weder als Selbstarzt, noch als Charakter, noch als Berufsmeister fertig. Ich bin die Unfertigkeit. Ich bin das Niefertigwerden.«

      »Du bist die Unzufriedenheit,« entgegnete Leopold.

      Fridolin schüttelte den Kopf. »Mein guter Freund, wolle mich nicht trösten! In einem bin ich vielleicht fertig, fertiger als ihr alle: in der Selbsterkenntnis. Ich scheue mich auch nicht aus falschem Stolz oder falscher Scham, dir, einem zweiundzwanzigjährigen Menschen, zu sagen, was ich von mir denke. Warum sollt' ich mich scheuen? Vor Risotto, vor Fridolin bin ich der Meister, der höhere Mensch, den sie ehren sollen; aber vor dir, der du mir eines Tages hoch über den Kopf wachsen sollst – widersprich mir nicht – vor dir zeig' ich mein nacktes, hemdloses Ich. Was für ein Ich? Wer bin ich? Ich weiß es nicht. Niemand weiß es! Ich bin der Mensch ohne Mittelpunkt. Warum treib' ich dies oder das? Warum bin ich dies geworden, und warum nicht das? Niemand weiß es. Ich glaube, ich könnt' alles werden, und nichts; das ist das tragische Rätsel meiner Erschaffung.«

      Leopold lachte.

      »Worüber lachst du?«

      »Ueber diese Wirkung des Frühlings. Der warme Abend lagert wie eine Bruthenne über deinem Hirn und brütet das Ei deiner Schwermut aus. Was du bist? Jedenfalls das Original, das der Schöpfer aus dir machen wollte; und das ist ihm gelungen.«

      »Ein schönes Original! Ohne Mittelpunkt. Das Original des Nie-Original-Werdens. Ich lehre, und weiß nichts. Ich schreibe, und hab' keinen Stil. Wie oft hat deine junge Weisheit, dein Goethetum mir meine stillosen Sätze vorgeworfen! Ich bin die Disharmonie. Oben ein schöner Mann, unten zu kurze Beine. Ein Jupiterbart und eine dünne Stimme. Ein Herz, das für eine Idee, für einen Freund auf der Stelle verbluten könnte, und ein für sein Junggesellenbehagen sorgender, ängstlicher Egoist. Warum bin ich Kunstprofessor geworden? Ich weiß es nicht. Meine Gliedmaßen sagen mir, daß ich ursprünglich etwas anderes werden sollte. Meine Muskeln, meine Gelenkigkeit, meine Fähigkeit, mich zu verrenken, meine Tanzmeistergrazie. Wenn dir das alles nicht sagt, daß ich meinen Beruf verfehlt habe, so sagt die Natur dir nichts! So oft ich in einem Zirkus sitze, möcht' ich aufstehen und zu dem versammelten Volke sprechen: Seht hier einen Mann, der seinen Beruf verfehlte – der zum Kunstreiter bestimmt war!«

      Fridolin trug diesen Satz mit so dramatischer Lebendigkeit, mit so ausdrucksvollen Bewegungen der Arme vor, daß Leopold unwiderstehlich gereizt ward, in ein heftiges Lachen auszubrechen. Es zeigte sich auf Fridolins Gesicht, daß dieser Erfolg seiner Rede ihm schmeichelte. Er unterbrach den Lachenden nicht. Er blieb noch in der theatralischen Haltung stehn, in der er geendet hatte. Doch als Leopold wieder still ward, ließ er die Arme und die Augen sinken, und setzte mit halb humoristischem, halb wirklichem Ernst hinzu: »Bekenne, mein Freund, daß dieser Zustand meines Organismus teils lächerlich, teils verächtlich ist.«

      »Kunstreiter oder Kunstprofessor,« erwiderte Leopold mit derselben Art von Ernst: »immer doch noch Kunst.«

      »Aber gegen die Natur. Ich zeige dir, dem Naturforscher, eine interessante Erscheinung. Ich bin ein Protest gegen die Natur.«

      »Vor allem glaub' ich, daß du unverheiratet bist,« entgegnete Leopold mit seinem klügsten Lächeln. »So mancher Mensch, der seinen Mittelpunkt vergebens in sich selber suchte, fand ihn dann in der Ehe. Dahin verlegte ihn die Mutter Natur! Wenn du noch heiraten würdest, Fridolin, würdest du vielleicht nicht mehr finden, daß du zum Kunstreiter bestimmt warst.«

      Ueber Fridolins Züge flog ein Hauch von Schwermut, der sich jedoch in einem Ausdruck geistreicher Erregtheit sogleich wieder verlor. »Gut!« sagte er, »ich lehne mich noch einmal gegen meinen Baum und antworte auf diese Einrede. Warum heirat' ich nicht? Es wäre vielleicht noch Zeit. Es gäbe noch jüngere und ältere Damen, die mir Tante Ritter zu ersetzen geneigt wären. Es ist wahr, die alte Tante Ritter, diese so sehr vortreffliche Frau, genügt mir nicht. Mein Verhältnis zur Welt als Onkel genügt mir nicht. Mein Beruf, meine Leibschwaben, meine Freunde, das alles genügt mir nicht. Ich sehne mich nach einer Ergänzung, Leopold! Ich mache noch immer lyrische Gedichte, worin ich mich nach dieser Ergänzung sehne. Ich hole sogar zuweilen noch meine Flöte wieder hervor, um auf ihr auszudrücken, daß ich mich sehne. Zuweilen, im Verlauf dieses Jahres, hab' ich geglaubt, es sei die Sehnsucht nach dir; habe Briefe an dich geschrieben, wie an eine Geliebte – unterbrich mich nicht – verrückte Briefe —«

      »Die ich nicht kenne,« fiel Leopold ein.

      »Nein. Ich hab' sie nicht abgeschickt. Sie liegen noch in meinem Schreibtisch; nie wirst du sie lesen. Ich liebe dich sehr, mein Sohn; ich sonne mich in dir; – aber auch du bist mir diese Ergänzung nicht. Du bist mir zu positiv; zu klar; – sagen wir, zu männlich. ›Was von Menschen nicht gewußt, oder nicht bedacht‹ – so eine Ergänzung mein' ich.«

      »Eine weibliche Ergänzung also,« sagte Leopold lächelnd.

      »Mein lieber Sohn,« erwiderte Fridolin,

      »Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort,

      Das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide!

      Eine weibliche —! Natürlich. Man sieht mich an, sieht meinen schönen Bart, und sagt: ›eine weibliche Ergänzung!‹ – Laß mich darauf folgendes antworten – und stell dich nicht immer von einem Bein aufs andere, steh ein wenig still. Warum heirat' ich nicht? Warum hab' ich deine schöne Schwester geliebt, und dann auf ihrer Hochzeit mit einer andern – Kotillon getanzt? Warum hat mein Bruder, der Franz, die Kinder mit meiner Schwägerin Therese erzeugt, die jetzt seine Neffen wären, wenn ich Therese ebensosehr geheiratet, wie geliebt hätte? Warum bin ich vierzig Jahre alt geworden, ohne zu heiraten? Warum werd' ich fünfzig, sechzig, siebzig Jahre alt werden und nicht geheiratet haben? Warum? – Mein teurer Leopold, weil ich – —«

      Er brach ab und versank in geheimnisvolles Schweigen.

      »Nun?« fragte Leopold.

      Fridolin verließ seinen Baum, trat auf den Jüngling zu und blieb vor ihm stehn. Nachdem er dann sein sanftes Auge hatte umherschweifen lassen, ob irgend ein dritter ihn vernehmen könnte – doch kein Mensch war in dieser nächtlichen Oede zu sehen – sagte er mit scheinbarer Gelassenheit:

      »Weil ich in einer heimlichen Ehe lebe, mein Sohn.«

      Er beobachtete die Wirkung dieser Worte auf Leopolds Gesicht. Die klugen, geistreichen Züge des Jünglings gerieten so außer Fassung, daß er einem einfältigen Menschen sehr ähnlich sah. Fridolin schlug ihm auf die Schulter, mit einem elegischen Lächeln: »Soll ich dir sagen, Leo, wie du in diesem Augenblick aussiehst? Nicht wie der weise Schweiger Oranien vor seinem Egmont – wie du mich früher nanntest. Nicht wie Goethe vor Napoleon. Sondern wie jener Leutnant, der nachts vor Dummheit nicht schlafen konnte.«

      »Eine heimliche Ehe!« sagte Leopold endlich. »Ich denke nur noch nach, ob ich dir ein Wort davon glauben soll, oder nicht.«

      »Mein teurer Leopold! ›Wer darf sagen, ich glaub' es? Wer darf sagen, ich glaub' es nicht?‹ – Fasse dich, Leo. Es handelt sich um eine jener heimlichen Ehen, die sich vor den Augen der Menschen ereignen, ohne daß sie sie sehn. Um eine Naturerscheinung. Um eine psychologische Thatsache!«

      Leopold konnte СКАЧАТЬ