Название: Soll und Haben
Автор: Gustav Freytag
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
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»Es gibt nur ein Mittel«, rief Lenore. »Wo ist Herr Wohlfart?«
Hildegard hielt sie zurück. »Du wirst doch nicht einem Herrn –«
»Ich übernehme die Bürgschaft«, sagte Lenore stolz, »er ist treu, wo steht er?«
»Dort spricht er mit Frau von Baldereck.« Die beiden Suchenden gingen langsam an Anton vorüber, er drehte ihnen zwar den Rücken zu, aber als sie näher kamen, zog es ihn unwiderstehlich, nach der Musik zu sehen. Er wandte sich um, Lenore stand vor ihm, sie sah ihn bedeutsam an, er löste die Unterhaltung mit Frau von Baldereck, er sprach zu ihnen, sie hatten ihn. »Herr Wohlfart, ein kleines Buch in roter Seide, so groß, ist hier im Saale von Theone Lara verloren. Es ist uns unendlich viel daran gelegen, bitte, bitte, schaffen Sie es uns zurück.«
»Ist es gedruckt?«
»Nein, geschrieben, auch Sie dürfen nicht hineinsehen, es sind unsere Geheimnisse darin. Schwören Sie mir, daß Sie mit keinem Auge hineinsehen, wenn Sie es finden.«
»Ich schwöre es Ihnen zu«, antwortete Anton feierlich.
»Ich danke Ihnen, bitte, seien Sie vorsichtig.«
Anton eilte in das Gewühl und beschäftigte sich die nächste Viertelstunde mit Suchen. Nichts lag auf dem Boden, nichts auf den Plätzen, keiner von den Dienern hatte etwas gefunden, das Buch war verschwunden. In tiefstem Mitgefühl brachte er den Damen die traurige Nachricht. Der Tanz begann. Theone vermochte vor Kopfschmerz sich nicht zu erheben, der innerste Schrein ihres Herzens war geöffnet, sein Inhalt auf den Markt geworfen, alle ihre Gefühle lagen nackt vor jedermanns Auge, alle ihre Geheimnisse wurden Gemeingut einer rohen Außenwelt. Lenore fühlte das Unglück mehr vom Parteistandpunkte. Die Braunen waren in Gefahr, eine Niederlage zu erleiden, von der sie sich niemals erholen konnten. Und jetzt tanzen! Es war ein Tanz wie auf einem Vulkan, der Boden war glühende Lava, jeden Augenblick konnte die Explosion erfolgen. Je länger die Verbündeten über ihr Schicksal nachdachten, desto schrecklicher wurden die Aussichten; denn immer noch fielen ihnen neue Gräßlichkeiten ein, die in dem Buche standen.
Als der Tanz beendet war, begab es sich, daß Fink im Vorbeigehen vor Hildegard mit dem Fuß auf dem Boden wippte und zu ihr gewandt sagte: »Dieser Boden klingt so hohl, ich weiß nicht, was das bedeuten soll, vielleicht liegt ein verlorener Schatz unter den Füßen.«
Hildegard stürzte zu Lenore und dem kranken Sympathievogel und rief außer sich: »Herr von Fink weiß es.« Die braunen Bänder flatterten in eine Ecke, die Mädchenköpfe fuhren zusammen und hielten Beratung. Endlich wurde entschieden, daß diese Äußerung sehr beunruhigend sei, aber keine Gewißheit des Unglücks gebe.
Doch auch diese letzte Unsicherheit sollte verschwinden, denn Finks Benehmen wurde auffallend. Er vernachlässigte heute seine Partei, er suchte alle Braunen auf, er setzte sich zu Theone, welche die Greuel von Juliens Sterbeszene und den Untergang des Hauses Capulet bereits dreimal durchgekostet hatte und ihre Tränen gar nicht mehr zurückhalten konnte; er fing ein Gespräch mit ihr an, er zwang sie zu antworten, er beklagte ihr bleiches Aussehen und schalt auf das heiße Zimmer. Er quälte sie bis zur Ohnmacht und schloß endlich seine teuflische Rache damit, daß er sie auf Hulda Werner aufmerksam machte und fragte: »Wie gefällt Ihnen das grüne Kleid? Sieht sie nicht aus wie ein Zeisig?« – Sein nächstes Opfer war Lenore. Sie stand unter ihrer Schar noch immer mit dem Stolz einer Fürstin, aber einer entthronten. Vor allen ihren Getreuen redete Fink sie an. Sie war artiger gegen ihn als je in ihrem Leben, sie preßte ihr Taschentuch zusammen, daß die Spitze riß, um sein Lächeln ruhig auszuhalten. Alles ging gut bis zu dem Augenblick, wo er dem vorübergehenden Herrn von Tönnchen mitten im Gespräch zurief: »Benno, knacken Sie gern Nüsse?«
Benno Tönnchen, der auch ein Grüner war, sagte verwundert: »Nein, wenn Fräulein Lenore uns eine aufgegeben hat, so fürchte ich, wird sie für mich zu hart sein.«
Jetzt war es entschieden, kein Zweifel mehr möglich, Fink hatte das Buch. Die braunen Bänder rauschten auseinander, die Partei glich einem Schwarm entsetzter Küchlein, unter welche der Habicht stößt. Nur Lenore nahm sich zusammen und trat entschlossen auf Fink zu. »Sie haben das Buch, Herr von Fink, eine meiner Freundinnen hat es verloren und ist sehr unglücklich darüber. Sein Inhalt ist nicht für fremde Augen, er kann in dieser Gesellschaft großen Ärger verursachen. Ich bitte, daß Sie mir das Buch zurückgeben.«
»Ein Buch?« fragte Fink neugierig. »Was für ein Buch?«
»Verstellen Sie sich nicht«, sagte Lenore, »es ist uns allen deutlich, daß Sie es haben. Ich kann nicht glauben, daß Sie es nach dem, was ich Ihnen über die Folgen gesagt habe, noch einen Augenblick behalten können.«
»Ich könnte es behalten«, nickte Fink. »Sie sind zu gütig, wenn Sie mir ein solches Zartgefühl zutrauen.«
»Das wäre mehr als unartig«, rief Lenore.
»Es würde mir das größte Vergnügen machen, mehr als unartig zu sein, wenn ich das Buch hätte. Ein Buch, das Ihnen oder einer Ihrer Freundinnen gehört, das möglicherweise Ihre Handschrift oder eine andere Erinnerung an Sie enthält, das werde ich Ihnen in keinem Falle zurückgeben, wenn ich es finde; und wenn ich erfahre, wo es liegt, werde ich es Zeile für Zeile auswendig lernen. Ich werde ihnen dadurch zu gefallen suchen, daß ich Ihnen einige Stellen daraus vortrage, sooft ich die Freude habe, Sie zu sehen.«
Lenore trat ihm einen Schritt näher, und ihre Augen flammten.
»Wenn Sie das tun, Herr von Fink«, rief sie, »so werden Sie als ein Unwürdiger handeln.«
Fink nickte ihr freundlich zu. »Der Eifer steht Ihnen allerliebst, Fräulein; aber wie können Sie Würde von einem lustigen Vogel verlangen, wie ich bin? Die Natur hat ihre Gaben verschieden ausgeteilt, manchem hat sie verliehen, Verse zu machen, andere zeichnen kleine Bilder, ich habe von ihr einen spitzen Schnabel erhalten, den gebrauche ich. Haben Sie je einen würdigen Zeisig gesehen?« Er wandte sich lachend ab, faßte Benno Tönnchen beim Arm und ging mit ihm nach der Tür.
Lenore eilte zu Anton: »Herr von Fink hat das Buch, ich flehe Sie an, schaffen Sie es uns zurück, er hat sich geweigert. Er darf nicht weiter darin lesen, es wäre Theonens Tod.«
Anton ergriff hastig seinen Paletot und sprang dem Freunde nach, der bereits auf der Straße war. »Zu Feroni, Anton!« rief ihm Fink am Arm des Benno Tönnchen zu.
»Ich muß etwas im Vertrauen mit dir besprechen«, sagte Anton an seiner anderen Seite.
»Jetzt nicht, du brauner Gesandter«, rief Fink, »ich will nichts mit dir zu tun haben.«
»Ich bitte dich, Fritz«, bat Anton, sich an ihn drückend, »gib das Buch heraus, die Mädchen ängstigen sich bis zum Vergehen.«
»Nur zu!« sagte Fink.
»Keine tut heute nacht ein Auge zu«, rief Anton.
»Um so besser, wir wollen’s auch nicht tun. Sie können sämtlich zu Feroni kommen, wenn’s ihnen zu Hause zu bangsam wird. Wir bleiben bis zum Morgen zusammen. Und du, Anton, wirst dich heute nacht nicht ohne mich nach Hause schleichen, sondern du wirst aushalten, und zwar in stiller Todesangst.«
»Was ist das für eine Geschichte mit dem Buch?« fragte Tönnchen am andern Arme.
»Sage nichts«, bat Anton leise.
»Eine tolle Konfusion«, erwiderte Fink, »Sie sollen alles erfahren.«
»Um Gottes СКАЧАТЬ