Название: Старик-годовик
Автор: Владимир Даль
Жанр: Книги для детей: прочее
isbn: 978-5-699-47121-8
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That the imagination has not been unjustly ranked as supreme among the mental faculties, appears from the intense consciousness, on the part of the imaginative man, that the faculty in question brings his soul often to a glimpse of things supernal and eternal – to the very verge of the great secrets.29
Aber beide Autoren stimmen darin überein, dass die Phantasie den Menschen einen Blick auf die höheren Wahrheiten werfen lässt, „a glimpse of things supernal and eternal“ bei Poe, „les rapports intimes et secrets des choses, les correspondances et les analogies“ bei Baudelaire:
L’imagination est une faculté quasi divine qui perçoit tout d’abord, en dehors des méthodes philosophiques, les rapports intimes et secrets des choses, les correspondances et les analogies.30
Die Herrschaft der Phantasie (Kap. IV: „Le Gouvernement de l’imagination“) zeigt sich vor allem beim künstlerischen Schaffensprozeß, wo sie nicht Phantasie („fantaisie“) schlechthin, sondern schöpferische Kraft („imagination créatrice“) ist, die mit der göttlichen Schöpfungskraft verwandt ist:
„Par imagination, je ne veux pas seulement exprimer l’idée commune impliquée dans ce mot dont on fait si grand abus, laquelle est simplement fantaisie, mais bien l’imagination créatrice, qui est une fonction beaucoup plus élevée, et qui, en tant que l’homme est fait à la ressemblance de Dieu, garde un rapport éloigné avec cette puissance sublime par laquelle le Créateur conçoit, crée et entretient tout son univers.“
Die Unterscheidung von alltäglicher „Phantasie“ und schöpferischer „Imagination“ geht auf die bekannte Definition des imaginations-Begriffs durch Coleridge (Biographia literaria, Kap. XIII) zurück, für den die „imagination“ ebenfalls die maßgebliche Fähigkeit des Dichters war31. Erstaunlicherweise folgt Baudelaire an der hier zitierten Stelle aber nicht Coleridge, sondern übersetzt die Unterscheidung „fancy“ – „constructive imagination“ aus Catherine Crowes The Night Side of Nature, or Ghosts and Ghost Seers32, wenn auch nicht ohne ironische Distanz gegenüber der Verfasserin und ihren mystischen und okkulten Gedanken. Statt „constructive imagination“ setzt er dabei „imagination créatrice“, was eine Wendung des von ihm bewunderten Delacroix ist33.
Die hier wie auch an anderen Stellen zu beobachtenden verblüffenden Übereinstimmungen mit Coleridge werfen die Frage auf, ob Baudelaire, der des Englischen ja hinreichend mächtig war, dessen Werke aus eigener Lektüre kannte. Die Frage stellt sich umso mehr, als es in den 1840er Jahren geradezu eine Coleridge-Renaissance gegeben hat34. Gilman hält eine Antwort auf diese „tantalizing question“ für unmöglich, meint aber, dass Baudelaire nicht Catherine Crowe zitiert hätte, wenn er Coleridge zur Hand gehabt hätte. Da er diesen außerdem nur gelegentlich erwähnt35, geht sie davon aus, dass seine Kenntnisse über Poe vermittelt waren36. Eine solche Vermittlung, wenn sie denn nötig gewesen wäre, könnte aber auch über De Quincey gegangen sein, etwa über dessen Recollections of the Lakes and the Lake Poets Coleridge, Wordsworth, and Southey (1834–1839)37.
Aus dem, was die schöpferische Phantasie in der Wirklichkeit vorfindet, schafft sie den „rêve“, die „conception“ oder „idée génératrice“, die vom Künstler in mehreren Schritten in das konkrete Werk umgesetzt und vollendet wird. An ihr scheiden sich für Baudelaire die künstlerischen Geister. Der Künstler, der als „réaliste“ oder „positiviste“ der vorgegebenen Wirklichkeit folgt und die Dinge so darstellt, wie er sie vorfindet, kopiert – mit einem Ausspruch von Delacroix – nur das „Wörterbuch“ der Natur38. Anders der „imaginatif“, der mit Phantasie begabte Künstler, der die Wirklichkeit verwandelt und ihr eine neue Gestalt gibt39. Mit der Kraft seines Geistes will er die Dinge zum „Leuchten“ bringen und Anderen ihren Glanz vermitteln: „Je veux illuminer les choses avec mon esprit et en projeter le reflet sur les autres esprits.“40 „Die Dinge zum Leuchten bringen“ ist ein Bild Baudelaires für die Wiedergabe des Ausnahmezustands41. So bezeichnet er Théodore de Banville als „lumineux“, weil er die „heures heureuses“ wiederzugeben wisse42, und an der Malerei von Delacroix, die beim Betrachter eine „volupté surnaturelle“ erzeugt43, rühmt er ihren „außerordentlichen Glanz“44. Wie und mit welchem Resultat der Dichter mit Hilfe der Phantasie die Wirklichkeit gestalten kann, führt er in dem kurzen Prosagedicht Les Fenêtres vor, in dem das Ich über die Aussagekraft von Fenstern reflektiert45, die im geschlossenen Zustand dem Blick mehr Dinge offenbaren als im offenen. Ein geschlossenes und kaum erhelltes Fenster ist nämlich „mystérieux“ und setzt die Phantasie in Gang, wie das Beispiel zeigt:
Par-delà des vagues de toits, j’aperçois une femme mûre, ridée déjà, pauvre, toujours penchée sur quelque chose, et qui ne sort jamais. Avec son visage, avec son vêtement, avec son geste, avec presque rien, j’ai refait l’histoire de cette femme, ou plutôt sa légende, et quelquefois je me la raconte à moi-même en pleurant.
Si c’eût été un pauvre vieux homme, j’aurais refait la sienne tout aussi aisément.
Et je me couche, fier d’avoir vécu et souffert dans d’autres que moi-même.46
Mit dem wenigen, das durch das geschlossene Fenster von der Gestalt der Frau zu erkennen ist, erfindet das Ich deren Lebens- und Leidensgeschichte, über die es Tränen der Rührung vergießt. Anschließend ist es voller Stolz darüber, in einem Anderen gelebt und gelitten zu haben. Dieser Stolz gehört zum Lebensgefühl im Zustand der Ekstase47, auf die auch die Eigenschaften hinweisen, die dem Fenster zugeschrieben werden – „plus profond, plus mystérieux, plus fécond, plus ténébreux, plus éblouissant“ – und die zum wiederkehrenden ästhetischen Kernwortschatz Baudelaires gehören. „Profond“ begegnet passim im Zusammenhang mit ekstatischen Erlebnissen; „fécond“ ist die Eigenschaft, die er in Les Foules vom Dichter und seiner Phantasie verlangt („poète [au cerveau] actif et fécond“)48; Dunkelheit regt die Phantasie an49 und „éblouissant“ ist die Wirkung des strahlenden Schönen50. Vollends klar wird das Gemeinte, wenn das Ich zum Schluss auf die Frage eines fingierten Lesers, ob die phantasierte Geschichte die „wahre“ sei, antwortet, nicht auf die „réalité placée hors de moi“ komme es an, sondern auf die Wirkung seiner Geschichte, die ihm helfen müsse, zu leben, sich selbst zu fühlen und zu erkennen: „(m’)aid(er) à vivre, à sentir que je suis et ce que je suis.“ Mit diesem Argument setzt Baudelaire dem „vrai“ des herrschenden Realismus sein eigenes künstlerisches Credo von der schöpferischen Phantasie entgegen, mit deren Hilfe er sich in einen Anderen versetzt und in beglückender Weise sein ‚sentiment de l’existence‘ steigert51.
Leitender Gedanke in Baudelaires Vorstellung vom Schönen ist demnach das Erreichen des „état exceptionnel“, des Ausnahmezustandes, sowohl beim Künstler wie beim Rezipienten. Auf diesen wirkungsästhetischen Aspekt des Begriffs hatte schon Poe hingewiesen:
When, indeed, men speak of Beauty, they mean, precisely, not a quality, as is supposed, but an effect – they refer, in short, just to that intense and pure elevation of soul – not of intellect, or of heart – upon which I have commented, and which is experienced in consequence of contemplating ‚the beautiful‘.52
Um den Ausnahmezustand zu erreichen, bedarf es der Phantasie. Daher muss die Darstellung des Schönen so beschaffen sein, dass sie die Phantasie in Bewegung setzt53, die jeden Gegenstand ergänzt und ihm seine besondere Schönheit gibt:
L’œil intérieur transforme tout et donne à chaque chose le complément de beauté qui lui manque pour qu’elle soit vraiment digne de plaire.54
Der Dichter bewirkt das mit Hilfe einer „magischen Verfahrensweise“, einer „sorcellerie évocatoire“ von Sprache und Schreibweise:
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