Narziss und Goldmund / Нарцисс и Гольдмунд. Книга для чтения на немецком языке. Герман Гессе
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Читать онлайн книгу Narziss und Goldmund / Нарцисс и Гольдмунд. Книга для чтения на немецком языке - Герман Гессе страница 17

СКАЧАТЬ andern, die Lehrer, die Mitschüler, der Schlafsaal, der Speisesaal, die Schule, die Übungen, die Gottesdienste, das ganze Kloster – ohne Narziss ging es ihn nichts mehr an. Was tat er noch hier?

      Er wartete, er stand unterm Dach des Klosters wie ein unentschlossener Wanderer bei Regen unter irgendeinem Dach oder Baum stehenbleibt, bloß um zu warten, bloß als Gast, bloß aus Angst vor der Unwirtlichkeit der Fremde.

      Goldmunds Leben in dieser Zeit war nur noch ein Zögern und Abschiednehmen. Alle Orte suchteer auf, die ihm lieb oder bedeutsam geworden waren. Mit wunderlicher Befremdung stellte er fest, wie wenige Menschen und Gesichter da waren, von welchen der Abschied ihm schwerfallen würde. Da war Narziss und der alte Abt Daniel und auch noch der gute liebe Pater Anselm und auch etwa noch der freundliche Pförtner und der lebenslustige Nachbar Müller – aber auch diese waren schon beinahe unwirklich geworden. Schwerer als von ihnen würde er Abschied nehmen von der großen steinernen Madonna in der Kapelle, von den Aposteln des Portals. Lange stand er vor ihnen, auch vor den schönen Schnitzereien des Chorgestühls, vor dem Brunnen im Kreuzgang, vor der Säule mit den drei Tierköpfen, lehnte sich im Hof an die Linden, an den Kastanienbaum. Dies alles würde ihm einmal eine Erinnerung sein, ein kleines Bilderbuch in seinem Herzen. Schon jetzt, da er noch mittendrin war, begann es ihm zu entgleiten, verlor an Wirklichkeit, wandelte sich gespenstisch in etwas Gewesenes. Mit Pater Anselm, der ihn gern um sich hatte, ging er auf die Kräutersuche, beim Klostermüller sah er den Knechten zu und ließ sich je und je zu Wein und gebackenen Fischen einladen; aber alles war schon fremd und halb wie Erinnerung. So wie drüben in der Kirchendämmerung und der Bußzelle sein Freund Narziss zwar wandelte und lebte, für ihn aber ein Schatten geworden war, so stand alles rings um ihn entwirklicht, atmete Herbst und Vergänglichkeit.

      Wirklich und lebendig war nichts mehr als das Leben in ihm innen, das bange Schlagen des Herzens, der wehe Stachel der Sehnsucht, die Freuden und Ängste seiner Träume. Ihnen gehörte er an und gab sich hin. Mitten im Lesen oder Lernen, mitten zwischen den Schulkameraden konnte er in sich versinken und alles vergessen, nur den Strömen und Stimmen des Innern hingegeben, die ihn hinwegzogen, in tiefe Brunnen voll dunkler Melodie, in farbige Abgründe voll märchenhafter Erlebnisse, deren Klänge alle wie die Stimme der Mutter klangen, deren tausend Augen alle die Augen der Mutter waren.

      Sechstes Kapitel

      Eines Tages rief Pater Anselm Goldmund in seine Apotheke, seine hübsche, wunderbar duftende Kräuterkammer. Hier kannte Goldmund sich gut aus. Der Pater zeigte ihm eine gedörrte Pflanze, zwischen Papierblättern sauber aufbewahrt, und fragte ihn, ob er diese Pflanze kenne und genau beschreiben könne, wie sie draußen im Felde aussehe. Ja, das konnte Goldmund; die Pflanze hieß Johanniskraut. Deutlich musste er alle ihre Merkmale beschreiben. Der alte Mönch war zufrieden und gab seinem jungen Freunde den Auftrag, am Nachmittag ein gutes Bündel solcher Pflanzen zu sammeln, deren Lieblingsstandorte er ihm angab.

      »Du bekommst dafür einen schulfreien Nachmittag, mein Lieber, du wirst nichts dagegen haben und wirst nichts dabei verlieren. Auch die Kenntnis der Natur nämlich ist eine Wissenschaft, nicht bloß eure blöde Grammatik.«

      Goldmund bedankte sich für den sehr willkommenen Auftrag, ein paar Stunden Blumen zu sammeln, statt in der Schule zu sitzen. Damit die Freude vollkommen würde, erbat er sich vom Stallmeister das Pferd Bless, und bald nach Tische holte er das Tier aus dem Stall, das ihn heftig begrüßte, sprang auf und trabte sehr zufrieden in den warmen leuchtenden Tag hinaus. Ein Stündchen oder mehr ritt er spazieren, genoss die Luft und den Felderduft und vor allem das Reiten, dann erinnerte er sich seiner Aufgabe und suchte einen der Plätze auf, die ihm der Pater beschrieben hatte. Dort band er das Pferd unter einem schattigen Ahorn an, plauderte mit ihm, gab ihm Brot zu fressen und machte sich dann auf die Pflanzensuche. Einige Stücke Ackerland lagen hier brach, von vielerlei Unkraut überwuchert, kleine kümmerliche Mohnpflanzen mit letzten blassen Blüten und schon vielen reifen Samenkapseln standen da zwischen verdorrten Wickenranken und himmelblau blühender Wegwarte und verfärbtem Knöterich, ein paar Haufen zusammengeworfener Feldsteine zwischen zwei Feldern waren von Eidechsen bewohnt, hier standen auch schon die ersten gelb blühenden Stauden Johanniskraut, und Goldmund fing an zu pflücken. Als er eine gute Handvoll beisammen hatte, setzte er sich auf die Steine und ruhte. Es war heiß, und er blickte begehrlich zum Schattendunkel eines fernen Waldrandes hinüber, aber so weit wollte er doch nicht von den Pflanzen und von seinem Pferde weggehen, das er von hier aus noch sehen konnte. Er blieb auf den warmen Feldkieseln sitzen, hielt sich ganz still, um die geflohenen Eidechsen wieder hervorkommen zu sehen, roch am Johanniskraut und hielt dessen kleine Blättchen gegen das Licht, um die hundert winzigen Nadelstiche in ihnen zu betrachten.

      Wunderlich, dachte er, da hat jedes von den tausend kleinen Blättchen diesen kleinwinzigen Sternhimmel in sich gestochen, fein wie eine Stickerei. Wunderlich und unbegreiflich war doch alles, die Eidechsen, die Pflanzen, auch die Steine, überhaupt alles. Der Pater Anselm, der ihn so gern mochte, der konnte nun sein Johanniskraut nicht selbst mehr holen, er hatte es in den Beinen[48] und war an manchen Tagen unbeweglich, und seine Arzneikunst konnte es nicht heilen. Vielleicht würde er schon bald eines Tages sterben, und die Kräuter in der Kammer dufteten weiter, aber der alte Pater war nicht mehr da. Vielleicht aber lebte er auch noch lange, vielleicht zehn oder zwanzig Jahre, und hatte dann immer noch dieselben weißen dünnen Haare und dieselben drolligen Faltenbündel um die Augen; aber er selbst, Goldmund, was würde in zwanzig Jahren mit ihm sein? Ach, alles war unverständlich und eigentlich traurig, obwohl es auch schön war. Man wusste nichts. Man lebte und lief auf der Erde herum oder ritt durch die Wälder, und manches schaute einen so fordernd und versprechend und sehnsuchterweckend an: ein Stern am Abend, eine blaue Glockenblume, ein schilfgrüner See, das Auge eines Menschen oder einer Kuh, und manchmal war es, als müsse jetzt gleich etwas Niegesehenes und doch lang Ersehntes geschehen, ein Schleier von allem fallen; aber dann ging es vorüber, und es geschah nichts, und das Rätsel wurde nicht gelöst und der geheime Zauber nicht entbunden, und zuletzt wurde man alt und sah so pfifig aus wie der Pater Anselm oder so weise wie der Abt Daniel und wußte vielleicht noch immer nichts, wartete und horchte noch immer.

      Er hob ein leeres Schneckenhaus auf, es klirrte schwach zwischen den Steinen und war ganz warm von der Sonne. Versunken betrachtete er die Windungen des Gehäuses, die eingekerbte Spirale, die launige Verjüngung des Krönchens, den leeren Schlund, in dem es perlmuttern schimmerte. Er schloß die Augen, um die Formen nur mit den tastenden Fingern zu erfühlen, das war eine alte Gewohnheit und Spielerei von ihm. Die Schnecke zwischen den losen Fingern drehend, tastete er gleitend, ohne Druck, ihre Formen liebkosend nach, beglückt vom Wunder der Formung, vom Zauber des Körperlichen. Dies, dachte er träumerisch, war einer der Nachteile der Schule und der Gelehrsamkeit: es schien eine der Tendenzen des Geistes zu sein, alles so zu sehen und darzustellen, als ob es flach wäre und nur zwei Dimensionen hätte. Irgendwie schien ihm damit ein Mangel und Unwert des ganzen Verstandeswesens bezeichnet, doch vermochte er den Gedanken nicht festzuhalten, die Schnecke entglitt seinen Fingern, er fühlte sich müde und schläfrig. Den Kopf über seine Krauter gebückt, die im Welken mehr und mehr zu duften begannen, schlief er in der Sonne ein. Über seine Schuhe liefen die Eidechsen, auf seinen Knien welkten die Pflanzen, unter dem Ahorn wartete Bless und wurde ungeduldig.

      Vom fernen Walde her kam jemand gegangen, ein junges Weib in einem verblichenen blauen Rock, ein rotes Tüchlein ums schwarze Haar gebunden, mit braungebranntem Sommergesicht. Das Weib kam näher, ein Bündel in der Hand, eine kleine brennrote Steinnelke im Munde. Sie sah den Sitzenden, betrachtete ihn lange aus der Entfernung, neugierig und misstrauisch, sah, dass er schlafe, kam behutsam näher, auf braunen nackten Füßen, blieb dicht vor Goldmund stehen und sah ihn an. Ihr Misstrauen schwand, der hübsche schlafende Jüngling sah nicht gefährlich aus, er gefiel ihr wohl – wie kam der hierher auf die Brachfelder? Blumen hatte er gepflückt, sah sie mit Lächeln, sie waren schon welk.

      Goldmund öffnete die Augen, aus Traumwäldern zurückkommend. Sein Kopf lag weich, er lag im Schoß einer Frau, in seine verschlafenen verwunderten Augen blickten fremde nahe Augen warm und braun. Er erschrak nicht, es war СКАЧАТЬ



<p>48</p>

er hatte es in den Beinen – у него болели ноги, он плохо ходил