Narziss und Goldmund / Нарцисс и Гольдмунд. Книга для чтения на немецком языке. Герман Гессе
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Читать онлайн книгу Narziss und Goldmund / Нарцисс и Гольдмунд. Книга для чтения на немецком языке - Герман Гессе страница 14

СКАЧАТЬ erschreckt, Goldmund! Liegst da im Kreuzgang wie eine Kinderleiche. Hast du wirklich kein Bauchweh?«

      Sie lachten und teilten redlich den Rest des Krankenweins, der Pater machte seine Späße, und Goldmund blickte ihn dankbar und belustigt aus den wieder hell gewordenen Augen an. Dann ging der Alte fort, um sich zu Bett zu legen.

      Goldmund lag noch eine Weile wach, langsam traten die Bilder wieder aus seinem Innern hervor, flammten die Worte seines Freundes wieder auf, und nochmals erschien in seiner Seele die blonde strahlende Frau, die Mutter; wie Föhnwind ging ihr Bild durch ihn hin, wie eine Wolke von Leben, von Wärme, von Zärtlichkeit und inniger Mahnung. O Mutter! O wie war es möglich gewesen, dass er sie hatte vergessen können!

      Fünftes Kapitel

      Bisher hatte Goldmund von seiner Mutter wohl einiges gewusst, aber nur aus den Erzählungen anderer; ihr Bild hatte er nicht mehr besessen, und von dem wenigen, was er über sie zu wissen glaubte, hatte er Narziss das meiste verschwiegen. Die Mutter war etwas, wovon man nicht sprechen durfte, man schämte sich ihrer. Eine Tänzerin war sie gewesen, ein schönes wildes Weib von vornehmer, aber unguter und heidnischer Herkunft; Goldmunds Vater hatte sie, so erzählte er, aus Armut und Schande aufgelesen; er hatte sie, da er nicht wusste, ob sie nicht Heidin sei, taufen und in der Religion unterweisen lassen; er hatte sie geheiratet und zu einer angesehenen Frau gemacht. Sie aber, nach einigen Jahren der Zahmheit und des geordneten Lebens, hatte sich ihrer alten Künste und Übungen wieder erinnert, hatte Ärgernis erregt und Männer verführt, war Tage und Wochen von zu Hause weggeblieben, war in den Ruf einer Hexe gekommen und schließlich, nachdem ihr Mann sie mehrmals wieder eingeholt und zu sich genommen hatte, für immer verschwunden. Ihr Ruf war noch eine Weile vernehmbar geblieben, ein böser Ruf, flackernd wie ein Kometenschweif, und war dann erloschen. Ihr Mann erholte sich langsam von den Jahren der Unruhe, des Schreckens, der Schande und der ewigen Überraschungen, die sie ihm bereitet hatte; an Stelle des missratenen Weibes erzog er nun sein Söhnlein, das der Mutter an Gestalt und Gesicht sehr ähnlich war; der Mann war vergrämt und frömmlerisch geworden und züchtete in Goldmund den Glauben, er müsse sein Leben Gott darbringen, um die Sünden der Mutter zu sühnen.

      Dies etwa war es, was Goldmunds Vater über sein verlorengegangenes Weib zu erzählen pflegte, obwohl er nicht gerne darauf zu sprechen kam, und Andeutungen davon hatte er bei Goldmunds Einlieferung auch dem Abte gemacht; und dies alles war, als schreckliche Sage, auch dem Sohne bekannt, obwohl er gelernt hatte, es beiseite zu schieben und beinahe zu vergessen. Ganz und gar vergessen und verloren aber hatte er das wirkliche Bild der Mutter, jenes andere, ganz andere Bild, das nicht aus den Erzählungen des Vaters und der Dienstboten und aus dunklen wilden Gerüchten bestand. Seine eigene, wirkliche, erlebte Erinnerung an die Mutter hatte er vergessen. Und nun war dieses Bild, der Stern seiner frühesten Jahre, wieder aufgestiegen.

      »Es ist unbegreiflich, wie ich das hatte vergessen können«, sagte er zu seinem Freunde. »Nie in meinem Leben habe ich jemand so geliebt wie meine Mutter, so unbedingt und glühend, nie habe ich jemand so verehrt, so bewundert, sie war Sonne und Mond für mich. Weiß Gott, wie es möglich war, dies strahlende Bild in meiner Seele zu verdunkeln und allmählich diese böse, bleiche, gestaltlose Hexe aus ihr zu machen, die sie für den Vater und für mich seit vielen Jahren war.«

      Narziss hatte vor kurzem sein Noviziat beendet und war eingekleidet worden[41]. Merkwürdig hatte sein Verhalten zu Goldmund sich verändert. Goldmund nämlich, der des Freundes Winke und Mahnungen früher oft als lästiges Besserwissen und Besserwollen abgelehnt hatte, war seit dem großen Erlebnis voll staunender Bewunderung für die Weisheit seines Freundes. Wie viele von dessen Worten hatten sich wie Prophezeiungen erfüllt, wie tief hatte dieser Unheimliche in ihn hineingesehen, wie genau hatte er sein Lebensgeheimnis, seine verborgene Wunde erraten, wie klug hatte er ihn geheilt!

      Denn geheilt schien der Jüngling zu sein. Nicht nur war jene Ohnmacht ohne üble Folgen geblieben; es war auch jenes gewisse Spielerische, Altkluge, Unechte in Goldmunds Wesen wie weggeschmolzen, jenes etwas frühreife Mönchtum, jenes zu ganz besonderem Gottesdienste Sichverpflichtetglauben. Der Jüngling schien zugleich jünger und älter geworden, seit er zu sich selbst gefunden hatte. All das verdankte er Narziss.

      Narziss aber verhielt sich zu seinem Freunde seit einer Weile eigentümlich vorsichtig; sehr bescheiden, gar nicht mehr überlegen und belehrend sah er ihn an, während jener ihn so sehr bewunderte. Er sah Goldmund aus geheimen Quellen her mit Kräften gespeist, die ihm selbst fremd waren; er hatte ihr Wachstum fördern können, hatte aber keinen Anteil an ihnen. Mit Freude sah er den Freund sich von seiner Führerschaft befreien und war doch zuweilen traurig. Er empfand sich als überschrittene Stufe, als weggeworfene Schale; er sah das Ende dieser Freundschaft nahe, die ihm so viel gewesen war. Noch immer wusste er mehr über Goldmund als dieser selbst; denn wohl hatte Goldmund seine Seele wiedergefunden und war bereit, ihrem Ruf zu folgen[42], wohin sie ihn aber führen werde, ahnte er noch nicht. Narziss ahnte es und war machtlos; seines Lieblings Weg führte in Länder, die er selbst nie betreten würde.

      Goldmunds Begierde nach den Wissenschaften war sehr viel geringer geworden. Auch seine Disputierlust in den Freundesgesprächen war vergangen, beschämt erinnerte er sich an manche ihrer einstigen Unterhaltungen. Inzwischen war bei Narziss in jüngster Zeit, sei es mit der Vollendung seines Noviziats oder infolge der Erlebnisse mit Goldmund, ein Bedürfnis nach Zurückgezogenheit, Askese und geistlichen Übungen erwacht, eine Neigung zu Fasten und langen Gebeten, häufigen Beichten, freiwilligen Bußübungen, und diese Neigung vermochte Goldmund zu verstehen, ja beinahe zu teilen. Seit seiner Genesung war sein Instinkt sehr geschärft; wusste er auch noch nicht das geringste über seine künftigen Ziele, so spürte er doch mit starker und oft beängstigender Deutlichkeit, dass sein Schicksal sich vorbereite, dass eine gewisse Schonzeit der Unschuld und Ruhe[43] nun vorüber und alles in ihm gespannt und bereit sei. Oft war die Ahnung beseligend, hielt ihn halbe Nächte wach wie eine süße Verliebtheit; oft auch war sie dunkel und tief beklemmend. Die Mutter war wieder zu ihm gekommen, die lang Verlorene; das war ein hohes Glück. Aber wohin führte ihr lockender Ruf? Ins Ungewisse, in Verstrickung, in Not, vielleicht in den Tod. Ins Stille, Sanfte, Gesicherte, in Mönchszelle und lebenslängliche Klostergemeinschaft führte sie nicht, ihr Ruf hatte nichts gemein mit jenen väterlichen Geboten, die er so lange mit seinen eigenen Wünschen verwechselt hatte. Aus diesem Gefühl, das oft stark, bang und brennend war wie ein heftiges Körpergefühl, nährte sich Goldmunds Frömmigkeit. Im Wiederholen langer Gebete an die heilige Mutter Gottes ließ er den Überschwall des Gefühls, das ihn zur eigenen Mutter zog, von sich strömen. Häufig aber endeten seine Gebete doch wieder in jenen merkwürdigen, herrlichen Träumen, die er jetzt so oft erlebte: Träumen bei Tage, bei halbwachen Sinnen, Träumen von ihr, an denen alle Sinne teilhatten. Da umduftete ihn die Mutterwelt, blickte dunkel aus rätselhaften Liebesaugen, rauschte tief wie Meer und Paradies, lallte kosend sinnlose, vielmehr mit Sinn überfüllte Koselaute, schmeckte nach Süßem und nach Salzigem, streifte mit seidigem Haar über dürstende Lippen und Augen. Nicht nur alles Holde war in der Mutter, nicht nur süßer blauer Liebesblick, holdes glückverheißendes Lächeln, kosende Tröstung; in ihr war, irgendwo unter anmutigen Hüllen, auch alles Furchtbare und Dunkle, alle Gier, alle Angst, alle Sünde, aller Jammer, alle Geburt, alles Sterbenmüssen.

      Tief sank der Jüngling in diese Träume, in diese vielfädigen Gespinste beseelter Sinne. In ihnen stand nicht nur geliebte Vergangenheit wieder bezaubernd auf: Kindheit und Mutterliebe, strahlend goldener Lebensmorgen; es schwang in ihnen auch drohende, versprechende, lockende und gefährliche Zukunft. Zuweilen erschienen diese Träume, in denen Mutter, Madonna und Geliebte eins waren, ihm nachher wie entsetzliche Verbrechen und Gotteslästerungen, wie niemals mehr zu sühnende Todsünden; zu andern Malen fand er in ihnen alle Erlösung, alle Harmonie. Voll von Geheimnissen starrte das Leben ihn an, eine finstere unergründliche Welt, ein starrer stachliger Wald voll märchenhafter Gefahren – aber es waren Geheimnisse der Mutter, sie kamen von ihr, sie führten zu ihr, sie waren der kleine СКАЧАТЬ



<p>41</p>

war eingekleidet worden – был пострижен в монахи

<p>42</p>

dem Ruf folgen – следовать зову

<p>43</p>

Schonzeit der Unschuld und Ruhe – щадящее время невинности и покоя