Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger
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Название: Die Ströme des Namenlos

Автор: Emma Waiblinger

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ Sie sah flüchtig auf und dann, während sie sprach, immer auf ihre Papiere, so daß man den Eindruck hatte, als rede sie mit sich selber.

      »Was willst du?« fragte sie mit einer Mannsstimme.

      »Ich möchte die Frau Kommerzienrat um eine Unterstützung bitten, weil ich Medizin studieren möchte und wir kein Geld dazu haben. Ich würde der Frau Kommerzienrat, sobald ich verdiene, ganz sicher alles wieder zurückzahlen.«

      »Wie heißt du?«

      »Agnes Flaig.«

      »Und was ist dein Vater?«

      »Er war Uhrmacher und ist vor zwei Jahren gestorben. Meine Mutter strickt Strümpfe auf der Maschine.«

      »Warum willst du studieren?«

      Da kam ich in eine heillose Verlegenheit; ich wußte um alle Welt nicht was sagen und schwieg gepeinigt. Endlich kam ich auf das allerdümmste, ich streckte ihr meine Zeugnisse hin. So mußte sie meinen, ich sei von meiner Begabung und Schulklugheit so überzeugt, daß ich darum aufs Studierenwollen verfallen sei. Die Frau las und gab mirs zurück.

      »Wenn du nicht gescheiter bist, als es in deinem Zeugnis steht, wirst du es auf einer Universität auch nicht weiter als andere bringen. Und im übrigen unterstütze ich nur Knaben. Guten Tag!«

      – Ich fiel aus allen Himmeln und stand einen Augenblick wie betäubt, und obgleich ein grenzenloser Ekel vor allem weiteren Unternehmen und Planen in mir war und es mich würgte vor Scham und unterdrücktem Heulen, gelüstete es mich, der Frau da mit dem großen, harten Gesicht noch einen Trumpf hinzuschmeißen und heiser und besinnungslos sagte ich:

      »Vielleicht darf ich dann die Frau Kommerzienrat bitten, mir in ihrem Geschäft eine Stelle als Fabrikmädchen zu verschaffen, an irgend einen Platz, wo meine Gescheitheit reicht, und wo Buben zu gut dafür sind.«

      Die Frau blieb völlig unbewegt. »Jawohl,« sagte sie ruhig. »Wann kannst du eintreten?«

      »Vom 26. Juli ab muß ich nimmer in die Schule.«

      »Gut,« meinte sie, »so komm am 1. August morgens um sieben Uhr in die Fabrik hinüber und bringe eine große Schürze mit. Adieu!«

      Auf dem Heimweg dachte ich: ich zünde ihr die Fabrik an oder ich hetze die andern Mädchen gegen sie auf, sie soll nichts als Not und Verdruß mit mir haben!

      Ach – und am andern Morgen bekam ich den ersten Brief in meinem Leben und er hieß so: »An Agnes Flaig, hier, Kirchhofsteige. Ich habe gemerkt, daß es dir an einigem Trotz und festem Willen, wenn er auch bös war, nicht fehlt; und weil ich weiß, daß solche jungen Leute nicht gerade die unbrauchbarsten sind, habe ich meinen Entschluß geändert. Ich bin bereit, dir die Mittel zum Studium vorzustrecken; du kannst im Anfang des nächsten Monats einmal zu mir kommen, um das Nötige zu besprechen; vorher habe ich keine Zeit für dich. Frau Berta Griffländer, Kommerzienratswitwe.«

      – Es tropfte mir heiß über die Backen hinunter, ich lief zur Tür hinaus, vors Haus und in den strahlenden Morgen hinein. Vor dem Gesicht flimmerte mirs vor Sonne und Glück, meine Augen waren des Lichts ungewöhnt und schwer von Tränen und taten mir leise weh; ich hielt die Lider halb geschlossen, und doch sah ich einen Himmel über mir aufgetan, so gottesnah leuchtend und unendlich wie nie vorher und sah in einer plötzlichen Erkenntnis die köstliche Welt daliegen, Tal und Fluß und Berg, und hinter den Bergen fing sie erst recht an; und sie gehörte mir, ich trug's verbrieft in meiner Tasche. –

      Ich lief über gemähte Wiesen und kam in die Felder, die still und demütig in der Sonne standen, ich strich über die Halme und lachte, und das Papier knisterte mir im Rocksack. Noch nie war es mir so bewußt geworden, daß ich ein Mensch war und lebendig, und Kräfte und warme Ströme, Herzschläge und tiefe Atemzüge hatte. Ich spürte jedes Glied meines Leibes und war froh darüber, daß es zu mir gehörte. Es zuckte mir in Füßen und Händen von einer unbändigen Kraft, und mitten in diesem süßen Bewußtwerden meines jungen Menschentums quoll plötzlich etwas in mir empor wie ein mächtiger Brunnen und brach stürmend durch alle Adern; ich kannte tausend Namen dafür, und keiner war der rechte. Ich wußte, daß ich alle Menschen lieb hatte, mit einem gewaltigen Willen, für sie zu schaffen und mein Leben und meinen ganzen quellenden Reichtum freudig in ihren Dienst zu stellen; ich war nimmer ich selber, es waren tausend wogende Ströme, die sich jauchzend in die Welt ergossen, es war so herrlich stark und ohne Ende, und es fiel mir ein, daß es an des Namenlos Grab entsprungen war.

      Und ich dachte, daß das gewiß noch kein Mensch gespürt habe und daß ich es niemand sagen konnte, weil es keinen Namen und keine Worte dafür gab; ich konnte nur schaffen, schweigend und ohne Aufhören schaffen und die großen Kräfte brauchen.

      Ach, und ich hätte es doch am liebsten in die ganze Welt hinausgeschrien, wie es mit mir war, es sprengte mir fast die Adern vor heißem Blut, und ich geriet vor lauter Lust und strömender Kraft in eine schmerzende Bedrängnis, aus der ich mir nimmer zu helfen wußte. Da stand oben am Wald eine alte Buche mit mächtigem Stamm, ich lief drauf zu und legte in einem überquellenden Gefühl meine Arme darum, aber es fehlte eine halbe Spanne, bis die Hände zueinanderreichten. Da lachte ich hell auf: das war die Kraftprobe.

      Ich dehnte die Arme bis aufs äußerste, die Gelenke knackten und es sauste mir im Kopf; auf einmal war es gewonnen. Da war es die ganze weite Welt, die ich in meinen Armen hielt, und die Ströme meiner Liebe umspannten sie fest.

      Die Tage, die jener Sonnenstunde folgten, waren ruhig und schön, und ich kostete die leise, leuchtende Weihe aus, die von der Buche her noch darüber lag.

      Mit einer überlegenen Fröhlichkeit saß ich die letzten Schultage vollends ab; auf dem Heimweg liebäugelte ich schon mit dem Gymnasium. –

      Ich brachte die tiefblauen Sommertage hinter mich in einer schweren Arbeit, wie ich sie noch nie getan hatte; und doch war's oft so, daß ich, wenn ich abends todmüd ins Bett gegangen war, nach ein paar Stunden festem Schlaf munter und völlig ausgeruht, mitten in der Nacht erwachte, und mich wunderte, daß es noch nicht Tag war. Dann war mir aller Schlaf aus den Augen, es litt mich nimmer im Bett; ich zündete mir ein Licht an, stahl des Greiners lateinisches Lexikon und seine Grammatik und verlebte darüber köstliche Stunden in einer verschämt glücklichen Neugier und saß nachher noch unterm Kammerfenster, oft lang in die schweigenden Nächte hinein.

      Oder kleidete ich mich leise an und verließ das Haus, um droben im Wald einsame Gänge zu tun; und es schien mir, als liege da mein Leben vor mir, wie im Mondlicht die stillen Landstraßen, die durch den Wald führten; leuchtend von einer feierlichen Helle, geradeaus und weit, und kam ein Querweg, wars wieder so: weiß und eben, und verschwindend in einem schimmernden Duft dem Mond zu oder dunkel in den Wald sich neigend.

      Und immer wieder war das wunderliche Gewoge in mir, auf und nieder, da die Ströme meiner Liebe wach wurden und gewillt waren, sich der Erde und allen Menschen hinzugeben.

      Zweites Buch

      Da starb Frau Griffländer, meine Gönnerin, infolge eines Unglücksfalles, der sie auf ihrer Sommerreise betroffen hatte, und obwohl ich, den Brief vorweisend, bei ihren Erben verzweifelte Anstrengungen machte, die mir versprochene Unterstützung dennoch zu bekommen, nützte doch alles nichts mehr; ich war ärmer als zuvor und zerschlagen und unsäglich erbittert.

      Ich suchte eine Stelle als Dienstmagd und nahm ziemlich weit von meiner Heimat weg eine an, ohne lang zu prüfen und mich zu erkundigen; es war mir so gräßlich gleichgültig, wo ich hinkam, ich wollte nur fort von zu Hause, wo nun alle Dinge ohne Traum und Schimmer so abscheulich grell und nüchtern dastanden und mich höhnisch anstierten.

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