Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger
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Название: Die Ströme des Namenlos

Автор: Emma Waiblinger

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ an der Steige war eine Bank, da lief ich drauf zu und setzte mich erschöpft drauf hin. Sie stand vor mir und streichelte meine Hand. »Jetzt kannst du streicheln,« dachte ich wieder, »vorher hättest du mich anspucken können vor Verachtung,« und ich zog meine Hand schnell weg.

      »Kannst du jetzt wieder weitergehen?« fragte sie ängstlich. »Oder soll ich dich tragen? Ich habe schon Kraft.«

      »Das habe ich vorhin im Schulhof gemerkt,« sagte ich und lächelte. Da wurde sie wieder rot. Ich sah, wie sie mit sich kämpfte und blaß und wieder dunkel wurde und mit einemmal neben mir saß und ihre Arme um meinen Hals legte.

      »Du, Flaig,« sagte sie leis, »du mußt nicht meinen, ich tue so, weil ich meine, ich könne damit meine Grobheit von vorhin wieder gut machen. Aber wie du im Schulhof gelegen bist und geweint hast, habe ich dich auf einmal lieb gehabt. Man hat gut gemerkt, daß das nicht wegen den Schmerzen war, sondern um – weil einen halt jemand gekränkt und mißachtet hat. Und ich hab gedacht, ob die Maier oder die Klara Eiselen wohl auch geweint hätten, wenn ich nichts von ihnen gewollt hätte. Oder wer das überhaupt getan hätte. Und da wußte ich einfach, daß ich dich lieb habe, und daß du mehr wert bist als die Maier und die Eiselen zusammen, weil du um meine verlorene Freundschaft so traurig sein kannst. Und gelt, – du Flaig, wie heißt du mit deinem Vornamen?«

      »Agnes!«

      Da fuhr sie ganz liebreich und sanft über meinen Kopf und sagte ein paarmal: »Agnes, Agnes, Agnes! Ich möchte so arg gern deine Freundin sein, und daß du mir alles sagst, wenn du traurig bist, und wie du deine schönen Aufsätze machst und an was du immer denkst, wenn du so zum Fenster hinausschaust und beinah deine Augen zumachst.«

      Es war mir schwach und glücklich zu Mut. Ich spürte, wie immer mehr Blut von meinem Haar herunterlief. Ich strich mir über den Kopf und sagte: »Es tut mir so weh und so wohl. Es war eigentlich fein, daß du mich hingeschmissen hast.«

      Dann gingen wir ganz langsam weiter, und sie führte mich fest. Als wir unser Haus sahen, dachte ich, ich müßte mich schämen, wenn sie in unsere ärmliche Stube hineinkäme und vollends, wenn mein Vater grad da wäre und die Werkstattüre offen. Deshalb sagte ich zögernd und verlegen: »Jetzt komme ich ganz gut vollends heim, Gräther. Weißt du, es ist so wüst bei uns, und dann –«

      Sie begriff sofort. »Also, ich wünsche dir, daß es recht schnell heilt und du bald wieder in die Schule kannst. Wie schön und frei euer Haus da droben liegt in den Bäumen, man muß herrlich ins Tal heruntersehen können.«

      Dann gab sie mir herzlich die Hand. »Adieu, Agnes!«

      Ich erinnere mich, daß das die schönste Krankheit meiner Jugend war, die nun folgte. Die Wunde war tief und heilte sehr langsam. Aber es tat nimmer sehr weh, und ich lag oben in meiner Kammer unter dem Dach, hörte nichts als gelegentlich ein Schwätzen oder Weinen meiner kleinen Geschwister herauf und die Glocken von der Stadt in der Ferne schlagen. Die Gräther achtete meinen stillen Wunsch, nicht in unser Haus zu kommen, mit einem vornehmen Feingefühl und dachte meiner in einer lieben, zarten Weise, die mich jedesmal in eine leise Seligkeit brachte.

      Jeden Tag wartete sie, wenn die Schule aus war, auf Margret und gab ihr ein Päckchen für mich mit. Weiß eingewickelt und seiden umbunden; ich glaube, ich habe die Bändel alle noch aufgehoben. Meistens war Obst oder Schokolade drin, einmal auch ein Geschichtenbuch und jedesmal lag ein Briefchen dabei, aus dem ihr ganzes gütiges, adeliges Wesen hervorleuchtete und das rührend in seiner Einfachheit war.

      In der Schule tat es nun einen großen Schnapper mit mir. Ich kam um vierzehn Plätze weiter vor, und saß nun in der zweiten Bank gerade hinter der Elsbeth. Manchmal zog ich mir ihre beiden langen Zöpfe herauf und legte sie über meinen Tisch zu mir her. Wenn etwas ganz Schweres zum Rechnen kam, nahm ich einen von ihnen in die Hand, unwillkürlich fest und zuversichtlich, – und auf einmal konnte ich es. Es war wie eine starke Wirkung und Kraftströmung von ihr her durch ihr Haar auf mich. Ich habe es ihr einmal erzählt, da lachte sie und sagte, nun müsse sie den Plan, ihre Zöpfe aufzustecken, wieder aufgeben.

      In jener Zeit wurde mein Vater schwer krank; er bekam Tobsuchtsanfälle und man wollte ihn in eine Anstalt bringen. Als er es jedoch merkte, was mit ihm geschehen sollte, wurde er plötzlich ganz klar und völlig vernünftig und erklärte der Mutter mit der größten Bestimmtheit, wenn sie ihn forttue, hänge er sich auf und sie dürfe sicher sein, daß er diesmal sorge, daß niemand den Strick abschneide. Und einmal sagte er: weißt du denn das nicht, immer, wenn du mich von dir forttust, mache ich ein Ende. Ich kann halt ohne dich nimmer weiterleben, und du mußt mich haben, bis ich sterbe.

      So behielt sie ihn denn, verbot uns Kindern, irgend jemand von des Vaters gräßlichem Zustand zu sagen, war Tag und Nacht bei ihm, pflegte, tröstete, bändigte und bezwang ihn und trug diese ganze letzte, fürchterliche Zeit mit einer übermenschlichen Kraft, bis er am zehnten Mai morgens in der Frühe starb.

      Nun erst erlaubte die Mutter, daß man Hilfe hole; eine alte Verwandte kam über diese Tage zu uns; auch war eine Näherin da, um die schwarzen Kleider zu richten, und Leute gingen aus und ein bei uns, daß es uns in unserem eigenen Hause fremd und beklommen zu Mut war.

      Wie schön war meine Mutter an dem Tag als der Vater starb! Ich sah einmal ein kleines Bild von einem unbekannten Künstler: Es ist vollbracht! Und der Heiland am Kreuz trug nicht die üblichen Leidenszüge und den Jammer der ganzen Welt im Gesicht, er war wie ein strahlender Held und ein Sieger in der Stunde seiner höchsten Erhöhung.

      So war meine Mutter. Sie lief strahlend im Haus und um die ob solch unpassendem Gebaren verdutzte Tante Fischer herum und lächelte uns an, als habe sie uns schon lang nimmer gesehen. Am Abend aß sie mit uns zu Nacht; wir mußten ein weißes Tischtuch auflegen und sie trug den Brei in einer schönen bemalten Schüssel herein, wie es sonst nie geschah. Ich hatte auch den Eindruck, als wäre dies alles nicht bloß der Tante Fischer zu Ehren. Meine Mutter war nett und lieb, sie aß mit gutem Appetit und unser aller Stimmung war fast heiter. Dann kam die Nacht. Ich lag schlaflos in meinem Bett. Eine warme, dunkle Mailuft kam zu dem offenen Fenster herein, es war so weich und lau und einschläfernd. Ich spürte auch, wie der Margret Atemzüge regelmäßiger und tiefer wurden, das arme, liebe Ding! – Sie mußte viel mehr unter dem allem gelitten haben als ich, und ich war für sie eigentlich noch froher als für mich, daß es so gekommen war. Ich rief leise ihren Namen hinüber, aber es kam keine Antwort.

      Der Leichenbesorger, der sein Amt für heut versehen hatte, stolperte die Treppe hinab, ich hörte die Tante Fischer noch lange hin und her gehen und leise sprechen und endlich auch in ihre Gastkammer hinaufsteigen. Die Mutter schloß noch einen Fensterladen und riegelte die Haustür zu, dann wurde es still. –

      Auf einmal fiel mir etwas ein, das mich ungeheuer freute. Ich stand auf und sah zum Fenster hinaus. Da drüben war der Friedhof. Die Bäume gingen im Nachtwind hin und her, und ich mußte denken, wie schön das nun wäre, drüben zu sein in der lauen Luft, die mit dem Geruch des blauen Flieders getränkt war. Da schlüpfte ich in meinen Aermelschurz und stieg zum Fenster hinaus und vorsichtig an der Kammerz hinunter, ich tat zaghafte Schritte durch den dunkeln Garten und hob zitternd die Zaunlatte weg. Dann saß ich im nachtfeuchten Kirchhofgras, der Fliederbusch roch übers Mäuerlein und große Tränen liefen mir hinunter. Es ist, glaube ich, das letztemal gewesen, daß ich anhaltend geweint habe, und es scheint mir überhaupt, daß diese Nacht ein Abschluß, und wenn ich so sagen darf, wie eine Erlösung von meinen Kinderjahren war. Es war mir einfach, als könnte ich leichter atmen und sei ein böser Druck von mir weggewischt, daß erst jetzt das eigentliche Ich herauskäme. Ich trug noch eine Scheu und Scham, es zu zeigen, und wollte es mir selber noch nicht recht eingestehen, aber ich spürte, daß es da war, und fein und fröhlich werden konnte. Ich lief die schmalen Wege auf und ab und kostete die laue Seligkeit aus, die mich durchrann. Ich streichelte den Rosenzweig der Melitta und warf mich auf des Namenlos' Grab und küßte СКАЧАТЬ