Die Ströme des Namenlos. Emma Waiblinger
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Читать онлайн книгу Die Ströme des Namenlos - Emma Waiblinger страница 8

Название: Die Ströme des Namenlos

Автор: Emma Waiblinger

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ Ein lautloser Sommerregen ging nieder, und die Luft war voll jenes bitterlichen Geruchs, den es gibt, wenn Regen auf heißes Erdreich fällt und Staub löscht. Ich liebte diesen Duft unsäglich und trank ihn in durstigen Zügen. Unversehens war ich so ums Haus herumgekommen, stand da in unserem bescheidenen Gärtlein und roch, daß irgendwo Rosen in der Nähe seien. Ich griff in Dunkelheit und nasses, kühles Blätterwerk, endlich bekam ich ein paar feuchte Blüten in die Hände und riß sie ab.

      Da meinte ich, Mutter zu hören, wie sie neben mir sagte: »nicht reißen, schneiden! Es tut den Rosen weh, wenn man sie abreißt.«

      Ich lächelte schuldbewußt, küßte in einer weichen Seligkeit den Zweig, als ob es damit wieder gut gemacht wäre. »Ich will die Rosen ihm bringen,« dachte ich. »Ich will sie auf seine Hausstaffel legen; es ist Zeit, daß ich auch einmal etwas aus meiner Liebe tue und vollbringe!«

      Leise summend ging ich durch die Wiesen hinunter, der Regen fiel in warmen Tropfen durch die Aeste auf mich herab; ich schritt dahin in einem Rausch von Liebe, Wärme und Sommergeruch.

      In der Stadt waren noch Lichter hell und Leute auf den Straßen. Ich versteckte die Rosen unter meiner Schürze und drückte mich verstohlen an den Häusern hin. Seine Haustür war weit offen, ein Treppenlämpchen leuchtete zum ersten Stock hinauf; da war seine Tür. Ich warf mit heftigem Herzklopfen die Rosen hin und sprang fort.

      Am Gartenzaun stand reglos eine Gestalt, ich wollte vorüber, hörte aber meinen Namen rufen und blieb stehen.

      Es war die Elsbeth; im Schein einer nahen Laterne sah ich ihr Gesicht und da, – ach, mit einemmal, ehe sie noch ein Wort gesprochen hatte, wußte ich alles und verstand ihr seltsames Wesen in der letzten Zeit und stand still und wie gelähmt von einem bösen, dumpfen Schrecken.

      Es träumt einem zuweilen, man gehe über die Straße und entdecke plötzlich, daß man keine Kleider anhabe; genau dasselbe Gefühl kam nun, wie ich so vor Elsbeths traurigen, vorwurfsvollen Augen stand, über mich, und ich wüßte nichts, was dem an peinvoller Scham und Beklemmung gleichkäme.

      »Du brauchst mir nicht zu sagen, wo du warst, ich weiß es schon!« sagte sie leise und traurig.

      Dann schlang sie plötzlich ihren Arm fest um meine Schulter, zog mich an den Zaun und beugte sich tief mit mir über die Latten.

      »Du, Flaig,« sagte sie schnell, heiser und eindringlich, »du mußt jetzt einmal ganz vernünftig sein, hörst du! – Ich bin deine einzige Freundin, gelt? – Und du hast mich gern, das weiß ich sicher. Und hast du mir nicht schon manchmal etwas zulieb tun oder schenken wollen und wußtest nicht was? Sag, ist es nicht so?«

      »Ja,« sagte ich tonlos.

      »Weißt du,« flüsterte sie in leidenschaftlicher Erregung ganz dicht bei meinem Gesicht, »jetzt möchte ich etwas von dir: du mußt mir den Vikar lassen! Du mußt es, Flaig! Sieh, ich kann da keine Rücksicht auf dich nehmen!

      Ich bin immer verwöhnt worden, zu Haus und in der Schule und überall. Alle Leute haben mich gern gehabt, und die Mädchen in der Schule waren beglückt, wenn ich mich mit ihnen abgab. Nie ist mir eine Freundschaft versagt geblieben; ich habe auch schon einen Gymnasiasten zum Schatz gehabt; er und seine Freunde schwärmten für mich.

      Der Vikar steht mich nicht an. Er weiß nicht, wie ich heiße. Ich habe ihn wahnsinnig lieb gehabt vom ersten Augenblick an, da ich ihn sah; ich meine oft, die Stunde am Donnerstag nicht zu überleben vor Jammer und doch zähle ich die Stunden bis wieder dahin! Jede Nacht stehe ich an seinem Haus und starre hinauf; ich habe ihn noch nie gesehen; wenn er das Licht löscht, gehe ich heim. – Ich bin arg demütig und bescheiden geworden; du mußt mir mein bißchen Freude schon ungeteilt lassen, Flaig, siehst du!«

      – – – »Ich will ja!« sagte ich schluchzend, und sie streckte mir darauf ihre Hand hin.

      »Ich danke dir schön! Jetzt geh nur wieder heim.« Dann beugte sie sich ganz tief über die Zaunlatten und sagte leise, so leise, daß ich sie kaum verstehen konnte: »Ich glaube ja, daß es schwer für dich ist; aber du mußt denken, daß es mir noch tausendmal weher tut! O du – das ist nicht zum sagen! – – Geh jetzt heim, bitte, und laß mich allein; ich kann jetzt nimmer sprechen!«

      Da lief ich wie gejagt, durch die Stadt, durch Wiesen und auf dunklen, nie gegangenen Wegen in den rinnenden Regen hinein. Ich dachte nichts und spürte nichts, als daß mir etwas verzweifelt weh tat; ich rannte atemlos, wie in wilder Flucht; aber es war hinter mir und über mir und es schüttelte mich in Scham und Schmerz und Zorn.

      Um einen Baum war hoch und locker ein Heuhaufen geschichtet, willenlos ließ ich mich fallen und wühlte mich zitternd hinein.

      Ich lag ganz still, der Regen fiel leise und das Rauschen wurde schwächer und schwächer; durch den Baum, unter dem ich lag, fiel manchmal ein Tropfen herunter, schlug auf die Blätter und kam immer tiefer; der Wind wehte leise in den Wipfeln, das Heu roch um mich und über mir, und meine Tränen liefen hinein.

      Die Gedanken wollten mir vergehen; müd und fremd sah ich noch einmal den Vikar dastehen und wieder verschwinden, dann schloß ich die Augen und wußte nichts mehr.

      Mitten in der Nacht erwachte ich, frierend, und es war mir unbehaglich in den nassen Kleidern; ich machte, daß ich nach Hause kam und ins Bett, und alles andere war mir gleichgültig.

      Am Tag darauf war die Gräther nicht in der Schule, es hieß, sie sei krank. Und zufällig wurde auch gerade in diesen Tagen der Vikar in eine andere Stadt versetzt, daß ich ihn nimmer sah. So waren wir beide einer Stunde enthoben, die quälend peinlich für uns gewesen wäre.

      Die Gräther kam seltsam lang nicht mehr in die Schule; ich machte mir allerlei Gedanken darüber; da sah ich sie eines Tages auf der Straße und rief sie an. Sie blieb stehen und wollte mir in einer plötzlich herzlichen Freude die Hand reichen, ließ sie aber schnell wieder sinken. Ich fragte, wenn sie wieder in die Schule käme.

      »Ueberhaupt nimmer,« sagte sie. »Ich habe schon lang nach einer Gelegenheit gesucht, es dir zu sagen. Ich gehe im Herbst ins Gymnasium zu den Buben, ich will Medizin studieren. Ich glaube schon, daß ich mitkomme. Also, du weißt es ja jetzt. Adieu, Agnes.«

      Da war sie schon ein paar Schritte weg! »Elsbeth,« rief ich ihr nach, und ich weiß, daß sie es hörte. Sie blieb stehen, als ob sie sich besänne, umzukehren und wendete halb den feinen Kopf, ich sah eine lichte Welle in ihr Gesicht steigen, röter und dunkler werden und sah sie jäh wieder erblassen, still und stolz geradeaus sehen und weitergehen.

      Da lief sie nun von mir weg, weil es ihr Stolz nicht litt, mit jemand weiter zu verkehren, der sie einmal gedemütigt und verzweifelt gesehen hatte, und sei es ihre beste Freundin gewesen. Es war mir, als gehe ein feines liebliches Stück meiner Kindheit da die Gasse hinauf, um zu verschwinden und mir verloren zu bleiben.

      Von dem Augenblick an aber wußte ich, daß ich auch Aerztin werden wolle. Ich spürte eine ungeheure Stärke in mir und sah ein Ziel in Klarheit vor mir liegen wie noch nie. Ich lächelte beinahe, so froh war ich über die Erkenntnis und so erstaunt über meine plötzlich umschwingenden Lebenskräfte.

      Ich sagte es meiner Mutter, war aber kaum erstaunt und nicht im mindesten entmutigt, als sie mir nicht zustimmte. »Aber gelt, wenn ich jemand gefunden habe, der mir das Geld dazu gibt, hast du nichts mehr dagegen und läßt mich weiter machen?« Das gab sie mir zu.

      Da richtete ich meine Schulzeugnisse sauber zusammen, entlehnte von der Margret ein Paar gute Stiefel und machte mich aufgeregt und mächtig gespannt, aber felsenfest entschlossen auf den Weg zu einer reichen Fabrikantenwitwe, von der ich wußte, daß sie jungen Leuten Geld zum Studium vorstreckte und manchmal auch schenkte.

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