Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Lagerlöf Selma
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Читать онлайн книгу Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Lagerlöf Selma страница 36

СКАЧАТЬ hatte sich warm und müde gelaufen; er dachte, er habe nun so ziemlich das Merkwürdigste von der Stadt gesehen, und ging deshalb etwas langsamer weiter. Die Straße, in die er eben eingebogen war, das war gewiß die, wo die Stadtbewohner ihre prächtigen Kleider kauften. Die Leute drängten sich vor den kleinen Läden, wo die Kaufleute auf ihren Tischen starre, geblümte Seidenstoffe, dicken Goldbrokat, schillernden Samt, leichte, flockig gewobene seidene Tücher und spinnwebdünne Spitzen ausbreiteten.

      Vorher, als der Junge so rasch gelaufen war, hatte niemand auf ihn acht gegeben. Die Leute hatten gewiß geglaubt, es springe nur eine graue Ratte vorbei. Aber jetzt, wo er ganz langsam durch die Straße dahinwandelte, gewahrte ihn einer der Kaufleute, und sogleich begann er ihm zu winken.

      Der Junge wurde zuerst ängstlich und wollte davonlaufen; aber der Kaufmann winkte ihm nur, lachte ihm zu und breitete ein herrliches Stück Seidensamt auf seinem Tische aus, als ob er ihn damit herbeilocken wollte.

      Der Junge schüttelte den Kopf. „Ich werde in meinem ganzen Leben nicht so reich sein, um auch nur einen Meter von diesem Stoff kaufen zu können,“ dachte er.

      Aber jetzt hatte man ihn die ganze Straße entlang von jedem Laden aus bemerkt. Wohin er auch sah, überall stand ein Krämer und winkte ihm. Sie ließen ihre reichen Kunden stehen und dachten nur noch an ihn. Er sah, wie sie in den verstecktesten Winkel des Ladens liefen, um das Beste, was sie zu verkaufen hatten, hervorzuholen, und wie ihnen, während sie es auf den Tisch legten, vor Hast und Eifer die Hände zitterten.

      Als der Junge nicht anhielt, sondern weiterging, sprang einer der Kaufleute über seinen Tisch weg, hielt ihn fest und breitete Silberbrokat und in allen Farben schillernde gewebte Tapeten vor ihm aus. Der Junge konnte nicht anders, als den guten Mann auslachen. Er hätte ihm doch ansehen müssen, daß ein so armer Schlucker wie er keine solchen Waren kaufen konnte. Er blieb stehen und streckte dem Krämer seine beiden leeren Hände hin, um den Leuten zu zeigen, daß er nichts besaß und daß sie ihn in Ruhe lassen sollten.

      Da hob der Kaufmann einen Finger auf, nickte ihm zu und schob ihm den ganzen Haufen von herrlichen Waren hin.

      „Kann er meinen, er wolle dies alles für ein einziges Geldstück verkaufen?“ fragte sich Däumling.

      Der Kaufmann zog ein kleines abgegriffenes, schlechtes Geldstück heraus, das geringste, das es überhaupt gibt, und hielt es dem Däumling hin. Und in seinem Eifer, zu verkaufen, legte er noch zwei große silberne Becher auf den Haufen.

      Da begann der Junge in seinen Taschen zu suchen. Er wußte zwar wohl, daß er nicht einen einzigen roten Heller besaß, aber unwillkürlich sah er doch nach.

      Alle die andern Kaufleute sahen eifrig zu, wie der Handel ablaufen würde, und als sie den Jungen in seinen Taschen suchen sahen, sprangen sie über ihre Tische, ergriffen so viel Gold- und Silberschmuck, als ihre Hände zu fassen vermochten, und boten es ihm an. Und alle machten ihm Zeichen, daß sie als Bezahlung nichts weiter verlangten, als einen einzigen Heller.

      Aber der Junge drehte seine Westen- und Hosentaschen um und um; er besaß nichts, gar nichts. Da traten allen diesen stattlichen Kaufleuten, die doch so viel reicher waren als er, die Tränen in die Augen, und der Junge fühlte sich seltsam bewegt, denn sie sahen gar so ängstlich aus. Er besann sich, ob er ihnen denn nicht auf irgend eine Weise helfen könnte, und da fiel ihm plötzlich die grünspanige Kupfermünze ein, die er vorhin am Strand gesehen hatte.

      Sofort lief er in größter Eile die Straße hinunter; und er hatte Glück, denn er kam an dasselbe Tor, durch das er zuerst gegangen war. Er stürzte hinaus und suchte nach der Kupfermünze, die vorhin hier gelegen hatte.

      Und richtig, da lag sie; aber als er sie aufgehoben hatte und mit ihr in die Stadt zurückeilen wollte, sah er nur noch das Meer vor sich. Keine Stadtmauer, kein Tor, keine Wächter, keine Straßen, keine Häuser waren mehr zu sehen, nichts, nichts als das Meer!

      Unwillkürlich traten dem Jungen die Tränen in die Augen. Von Anfang an hatte er ja alles, was er gesehen hatte, für eine Gesichtstäuschung gehalten, aber nachher hatte er dies ganz vergessen, und nur noch daran gedacht, wie schön alles sei; und jetzt, wo die Stadt verschwunden war, fühlte er sich aufs tiefste betrübt.

      In demselben Augenblick erwachte Herr Ermenrich und ging zu Däumling hin. Aber der Junge hörte ihn nicht, und der Storch mußte ihn mit dem Schnabel anstoßen, um sich bemerklich zu machen. „Ich glaube, du hast ebenso fest geschlafen wie ich,“ sagte er.

      „Ach, Herr Ermenrich,“ sagte Däumling. „Was war das für eine Stadt, die eben hier stand?“

      „Hast du eine Stadt gesehen?“ erwiderte der Storch. „Du hast geschlafen und geträumt, ich hab es ja gesagt.“

      „Nein, ich habe nicht geschlafen,“ sagte Däumling. Und er erzählte dem Storch alles, was er erlebt hatte.

      Da sagte Herr Ermenrich: „Was mich selbst anbetrifft, so glaube ich doch, daß du hier am Strande geschlafen und alles dies geträumt hast. Aber ich will dir nicht verschweigen, daß Bataki, der Rabe, der der gelehrteste von allen Vögeln ist, mir einmal erzählt hat, hier habe einst eine Stadt gestanden, namens Vineta. Diese Stadt sei über die Maßen reich und schön gewesen, und keine einzige Stadt auf der Welt habe sich mit ihr vergleichen können. Aber unglücklicherweise seien ihre Einwohner hochmütig und prunksüchtig geworden. Und,“ fuhr der Storch fort, „Bataki sagt, zur Strafe dafür sei Vineta von einer Sturmflut überschwemmt und ins Meer hinab versenkt worden. Ihre Einwohner aber dürften nicht sterben und auch ihre Stadt nicht zerstören. Nur alle hundert Jahre einmal dürfe diese in all ihrer Pracht aus dem Meere aufsteigen und liege dann genau eine Stunde lang auf dem Festlande.“

      „Ja, das muß wahr sein,“ sagte Däumling, „denn ich habe sie gesehen.“

      „Aber wenn die Stunde vorübergegangen und es während dieser Zeit niemand in Vineta gelungen sei, irgend etwas an ein lebendes Wesen zu verkaufen, dann versinke die Stadt wieder ins Meer. Wenn du, Däumling, auch nur ein einziges, noch so ärmliches Geldstück gehabt hättest, um den Kaufmann zu bezahlen, dann hätte Vineta am Strande liegen bleiben dürfen, und deren Menschen hätten wie andre Menschen leben und sterben dürfen.“

      „Ach, Herr Ermenrich,“ sagte der Junge, „jetzt weiß ich, warum Sie mitten in der Nacht gekommen sind und mich geholt haben. Sie glaubten, ich könne die alte Stadt retten. Ach, Herr Ermenrich, ich bin tief betrübt, daß es mir nicht gelungen ist!“

      Er verbarg sein Gesicht in den Händen und weinte; und man hätte kaum sagen können, welcher von den beiden betrübter aussah, der Junge oder Herr Ermenrich.

      Die lebendige Stadt

Montag, 11. April

      Am Ostermontag waren die Wildgänse mit Däumling wieder auf der Reise und flogen jetzt über Gotland hin. Die große Insel lag flach und gleichmäßig unter ihnen, der Erdboden war ganz so wie in Schonen, und sie sahen viele Kirchen und Bauernhöfe. Der Unterschied aber war, daß hier zwischen den Feldern viele Baumwiesen prangten und daß die Höfe nicht im Viereck gebaut waren. Und große Herrensitze mit alten, von reichen Parkanlagen umgebenen Schlössern und Türmen gab es auf Gotland gar nicht.

      Däumlings wegen hatten die Wildgänse den Weg über Gotland gewählt, denn der arme Junge war nun schon zwei Tage lang sehr niedergedrückt.

      Ohne Aufhören sah er jene Stadt vor sich, die sich ihm auf so merkwürdige Weise gezeigt hatte. Er konnte an nichts andres denken als an diese schönen Gebäude und prächtigen Menschen. „Ach, wenn es mir doch gelungen wäre, dies alles dem Leben zurückzugeben!“ dachte er. „Welch ein Unglück ist es doch, daß so viel Schönes auf dem Grunde des Meeres liegen soll!“

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