Название: Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen
Автор: Lagerlöf Selma
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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Er sah den andern fragend an. Dieser war mit seiner Mahlzeit fertig und packte eben seinen Schnappsack wieder zusammen. „Ich möchte nur wissen, wo du mit all diesem hinaus willst,“ sagte er.
„Ja, nur das eine möchte ich wissen,“ sagte der Schäfer; er senkte die Stimme, so daß die Worte fast flüsternd herauskamen, und dabei starrte er in den Nebel hinein mit seinen kleinen Augen, die von all dem, wonach er ausspähte, und was doch nicht da ist, matt geworden zu sein schienen. „Ja, nur das möchte ich wissen, ob die Bauern, die in den eingefriedigten Höfen drunten unter dem Felsengebirge wohnen, oder die Fischer, die Strömlinge aus dem Meere holen, oder die Kaufleute in Borgholm, oder die alljährlich wiederkehrenden Badegäste, oder die Reisenden, die in den Borgholmer Schloßruinen umherwandeln, oder die Jäger, die im Herbst zur Hühnerjagd hierherkommen, oder die Maler, die hier auf dem Rasen sitzen und die Schafe und Windmühlen malen – ja, ich möchte wohl wissen, ob ein einziger von ihnen weiß, daß diese Insel einst ein Schmetterling gewesen ist, der mit großen glänzenden Flügeln umherflog.“
„Gewiß,“ sagte der junge Hirte plötzlich, „wer einmal an einem Abend hier am Rande der Felsenmauern gesessen und die Nachtigallen im Gebüsch hat schlagen hören und hinüber nach dem Sunde von Kalmar geschaut hat, dem muß der Gedanke gekommen sein, daß diese Insel nicht wie alle andern entstanden sein kann.“
„Ich möchte wissen,“ fuhr der Alte fort, „ob nicht ein einziger von ihnen den Wunsch gehabt hat, den Windmühlen so große Flügel zu geben, daß sie bis zum Himmel reichten, so große Flügel, daß sie imstande wären, die ganze Insel aus dem Meere aufzuheben und sie wie einen Schmetterling unter Schmetterlingen umherfliegen zu lassen.“
„Vielleicht ist etwas an dem, was du sagst,“ fiel der junge Schäfer ein, „denn in den Sommernächten, wo sich der Himmel hoch und klar über der Insel wölbt, ist es mir manchmal gewesen, als wolle sie sich aus dem Meere erheben und fortfliegen.“
Als aber der Alte den Jungen nun endlich zum Sprechen gebracht hatte, hörte er ihm gar nicht recht zu. „Ich möchte wissen,“ sagte er mit noch leiserer Stimme, „ob mir jemand erklären kann, warum hier oben auf der Felsenhöhe eine so große Sehnsucht wohnt? An jedem Tage meines Lebens habe ich sie gefühlt, und ich meine auch, jedem, der sich hier oben aufhält, müsse sie sich ins Herz hineinschleichen. Aber ich möchte wissen, ob es keinem von den andern klar geworden ist, daß diese Sehnsucht nur über uns kommt, weil die ganze Insel ein Schmetterling ist, der sich nach seinen Flügeln sehnt?“
13
Die Kleine Karlsinsel
Der Sturm
Die Wildgänse hatten auf der nördlichen Spitze von Öland übernachtet und waren nun auf dem Wege nach dem Festland. Ein recht heftiger Südwind, der über den Sund von Kalmar herfegte, trieb sie in nördlicher Richtung weiter. Trotzdem arbeiteten sie sich ziemlich schnell dem Lande zu. Als sie aber die ersten Schären erreicht hatten, hörten sie ein lautes Donnern, als ob eine Menge flügelstarker Vögel dahersauste, und das Wasser unten wurde auf einmal ganz schwarz. Akka hielt die Flügel so schnell an, daß sie beinahe ganz still in der Luft lag. Dann ließ sie sich aufs Meer hinabsinken. Aber ehe die Gänse das Wasser erreicht hatten, war der Weststurm herangekommen. Schon jagte er Staubwolken, Wogenschaum und kleine Vögel vor sich her; er riß auch die Wildgänse mit sich fort, warf sie herum und jagte sie aufs weite Meer hinaus.
Es war ein entsetzlicher Sturm. Ein Mal ums andre versuchten die Wildgänse umzudrehen; aber es war ihnen nicht möglich, und sie wurden immer weiter auf die Ostsee hinausgetrieben. Der Sturm hatte sie schon an Öland vorbeigejagt, und sie hatten jetzt nur das öde graue Meer vor sich; es blieb ihnen nichts andres übrig, als nachzugeben.
Als Akka merkte, daß kein Umdrehen möglich war, hielt sie es für unnötig, sich von dem Sturm über die ganze Ostsee jagen zu lassen, und sie ließ sich deshalb aufs Wasser hinab. Es war hoher Seegang, der mit jedem Augenblick noch zunahm. Meergrün rauschten die Wogen daher, eine immer höher als die andre, mit wilden, zackigen Schaumkronen. Es war, als wetteiferten sie miteinander, welche am höchsten und wildesten aufwallen und aufschäumen könne. Aber die Wildgänse fürchteten sich nicht vor dem Wogenschwall, er schien ihnen im Gegenteil großes Vergnügen zu machen; sie strengten sich gar nicht mit Schwimmen an, sondern ließen sich auf die Wellenkämme hinauf- und in die Wogengänge hinabgleiten, und sie waren so vergnügt wie ein Kind in einer Schaukel. Eine Weile ging es ihnen sehr gut, und ihre einzige Sorge war, die Schar könnte schließlich zerstreut werden. Die armen Landvögel, die im Sturm über ihnen dahinjagten, riefen neidisch: „Ja, wer schwimmen kann, für den hat es keine Not!“
Aber die Wildgänse waren doch nicht ohne Gefahr, denn das Schaukeln machte sie furchtbar schläfrig. Unaufhörlich wollten sie den Kopf zurücklegen, den Schnabel unter den Flügel stecken und schlafen. Aber nichts ist gefährlicher, als auf diese Weise einzuschlafen, und Akka rief daher immerfort: „Schlaft nicht, Wildgänse! Wer schläft, wird von der Schar weggetrieben! Wer von der Schar abkommt, ist verloren!“
Aber trotz aller Versuche, dem Schlaf zu widerstehen, schlief doch eine um die andre ein; selbst Akka war nahe daran, einzunicken, als sie plötzlich etwas Rundes, Dunkles aus dem Gipfel einer Woge auftauchen sah. „Seehunde! Seehunde! Seehunde!“ schrie sie mit lauter, gellender Stimme und flog mit klatschenden Flügelschlägen auf. Es war die höchste Zeit; ehe die letzte Wildgans das Wasser verlassen hatte, waren die Seehunde so nahe, daß sie nach deren Füßen schnappten.
So waren die Wildgänse wieder mitten im Sturm, der sie vor sich her aufs Meer hinaustrieb. Er gönnte weder sich selbst noch den andern einen Augenblick Ruhe. Und kein Land war zu entdecken, überall ringsum nur das wilde Meer.
Sobald sie es wagen konnten, ließen sich die Gänse wieder aufs Meer hinab; nachdem sie jedoch eine Weile auf den Wogen geschaukelt hatten, wurden sie wieder schläfrig. Und sobald sie schliefen, schwammen die Seehunde heran. Wäre die alte Akka nicht so wachsam und klug gewesen, dann wäre gewiß nicht eine mit dem Leben davongekommen.
Der Sturm raste den ganzen Tag hindurch ohne Aufhören und richtete schreckliche Verheerungen unter allen den Vögeln an, die um diese Jahreszeit auf der Reise waren. Manche verloren ihre Richtung vollständig und wurden in ferne Länder verschlagen, wo sie elendiglich verhungerten; andre ermatteten so sehr, daß sie ins Meer hinunterstürzten und ertranken. Viele wurden an den Felswänden zerschmettert und viele ein Raub der Seehunde.
Der Sturm dauerte den ganzen Tag hindurch, und schließlich drängte sich Akka die Frage auf, ob sie und ihre Schar nicht am Ende noch verunglücken würden. Sie waren jetzt alle todmüde, aber so weit das Auge reichte, konnten sie keinen Platz entdecken, wo sie hätten ausruhen können. Gegen Abend wagten sie es auch nicht mehr, sich aufs Meer hinabzulassen, denn ganz plötzlich hatte es sich mit großen Eisschollen bedeckt, die sich gegeneinander auftürmten, und Akka fürchtete, sie und die andern könnten dazwischen erdrückt werden. Ein paarmal versuchten die Wildgänse, sich auf die Eisschollen zu stellen; aber einmal fegte sie der wilde Sturm ins Wasser hinein, und ein andres Mal krochen die unbarmherzigen Seehunde zu ihnen aufs Eis hinauf.
Bei Sonnenuntergang waren die Gänse wieder in der Luft. In banger Furcht vor der Nacht flogen sie weiter. Die Dunkelheit СКАЧАТЬ