Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen. Lagerlöf Selma
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Читать онлайн книгу Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen - Lagerlöf Selma страница 34

СКАЧАТЬ recht schön war, gefiel es dem Jungen doch noch besser oben auf der Felsenhöhe. Es war ihm unheimlich da unten, weil überall tote Schafe lagen, denn hier pflegten die Füchse ihre Mahlzeiten zu halten. Der Widder und der Junge sahen vollständig abgenagte Skelette, aber auch Körper, die nur halb abgefressen waren, und wieder andre, die die Füchse ganz unversehrt gelassen hatten. Mit Grausen sahen sie, daß die wilden Tiere nur zu ihrem Vergnügen über die Schafe herfielen, nur um zu jagen und zu morden.

      Der Widder hielt nicht bei den Toten an, sondern ging still an ihnen vorbei. Aber selbstverständlich sah der Junge die ganze Abscheulichkeit; er konnte nicht anders.

      Jetzt stieg der Widder wieder den Berg hinauf; als er aber oben angekommen war, blieb er stehen und sagte: „Wenn jemand, der klug und tüchtig wäre, all dieses Elend hier zu sehen bekäme, dann würde er gewiß nicht ruhen, bis die Füchse ihre gerechte Strafe bekommen hätten.“

      „Die Füchse müssen aber doch auch leben,“ sagte der Junge.

      „Jawohl,“ erwiderte der Widder. „Und wer nicht mehr Tiere tötet, als er zu seinem Unterhalt bedarf, der darf wohl am Leben bleiben. Diese hier aber sind Übeltäter!“

      „Die Bauern, denen die Insel gehört, müßten kommen und euch helfen,“ meinte der Junge.

      „Sie sind auch schon mehrere Male hier gewesen,“ sagte der Widder, „aber die Füchse versteckten sich in Höhlen und Felsenspalten, wo man nicht auf sie schießen konnte.“

      „Ach, mein guter Alter, Ihr glaubt doch wohl nicht, daß so ein armer kleiner Wicht wie ich mit ihnen fertig werden könnte, nachdem weder ihr noch die Bauern sie haben überwältigen können?“ sagte der Junge.

      „Wer klein und pfiffig ist, kann vieles ausrichten,“ antwortete der Widder.

      Sie sprachen jetzt nicht weiter von dieser Sache, und der Junge begab sich zu den Wildgänsen, die auf dem Berggipfel weideten. Obgleich er es dem Widder nicht hatte zeigen wollen, war er doch sehr betrübt über das Schicksal der Schafe, und er hätte ihnen gar zu gern geholfen. „Ich will jedenfalls mit Akka und dem Gänserich Martin darüber reden,“ dachte er. „Vielleicht können sie mir einen guten Rat geben.“

      Etwas später nahm der weiße Gänserich den Jungen auf den Rücken und wanderte mit ihm über den Felsengipfel nach dem Höllenloch. Ganz sorglos lief er über die offne Berghöhe hin und schien gar nicht daran zu denken, wie weiß und groß er war. Er suchte sich nicht hinter Erdhaufen oder andern Erhöhungen zu verstecken, sondern ging ruhig seines Weges weiter. Es war merkwürdig, daß er nicht ein bißchen vorsichtig war, denn es schien ihm während des gestrigen Sturmes gar schlecht gegangen zu sein. Er hinkte mit dem rechten Bein, und der linke Flügel schleifte am Boden, als ob er gebrochen wäre.

      Er wanderte umher, als sei durchaus keine Gefahr zu befürchten, biß da und dort einen Grashalm ab und sah sich gar nicht um. Der Junge lag auf dem Gänserücken ausgestreckt und schaute zum blauen Himmel empor. Er war das Reiten jetzt so gewohnt, daß er auf dem Gänserücken stehen und liegen konnte.

      Da der Gänserich und der Junge so sorglos waren, bemerkten sie natürlich die drei Füchse nicht, die jetzt auf dem Berggipfel auftauchten. Und die Füchse, die wohl wußten, daß es beinahe unmöglich ist, einer Gans auf offnem Felde beizukommen, dachten im ersten Augenblick gar nicht daran, auf sie Jagd zu machen. Da sie aber nichts andres zu tun hatten, sprangen sie schließlich in eine der langen Felsenspalten hinein und versuchten, sich an die Gans heranzuschleichen. Sie gingen dabei so vorsichtig zu Werk, daß der Gänserich auch nicht einen Schein von ihnen sehen konnte.

      Als sie nicht mehr weit von dem Gänserich entfernt waren, machte dieser einen Versuch, aufzufliegen. Er schlug mit den Flügeln, aber es gelang ihm nicht, vom Boden wegzukommen. Daraus folgerten die Füchse, der Gänserich könne nicht fliegen, und sie eilten rascher vorwärts. Sie hielten sich nicht mehr in der Kluft versteckt, sondern liefen auf die Hochebene hinaus. Hier verbargen sie sich, so gut sie konnten, hinter Erdhaufen und Felsstücken und kamen so immer näher zu dem Gänserich hin, ohne daß dieser merkte, daß Jagd auf ihn gemacht wurde. Schließlich waren sie ihm ganz nahe, jetzt konnten sie den Sprung wagen, und mit einem großen Satz warfen sie sich alle drei zugleich auf ihn.

      Im letzten Augenblick mußte der Gänserich aber doch etwas gemerkt haben, denn er sprang rasch zur Seite, und die Füchse verfehlten ihn. Aber das war nicht von großer Bedeutung, denn der Gänserich hatte nur ein paar Meter Vorsprung, und dazu war er lahm. Der Ärmste lief zwar, was er konnte, und Gänse können ja ungeheuer schnell laufen, selbst einem Fuchs kann es schwer fallen, sie zu fangen.

      Der Junge saß rücklings auf dem Gänserücken und rief und schrie den Füchsen zu: „Ihr habt euch am Schaffleisch zu fett gefressen, ihr Füchse, ihr könnt ja nicht einmal eine Gans fangen!“ Er reizte und ärgerte sie; das machte sie ganz toll und hitzig, und sie rannten jetzt sinnlos vorwärts.

      Der weiße Gänserich aber lief geradeswegs auf die große Kluft zu. Als er sie erreicht hatte, schlug er mit den Flügeln, und drüben war er! Gerade da hatten ihn die Füchse eingeholt.

      Der Gänserich lief, nachdem er über das Höllenloch hinübergekommen war, ebenso schnell vorwärts wie vorher. Doch kaum war er einige Meter weiter gelaufen, als der Junge ihm auf den Hals klopfte und sagte: „Jetzt kannst du anhalten, Gänserich!“

      In diesem Augenblick hörten sie hinter sich ein paar wilde Schreie, ein Kratzen von Krallen und das Aufschlagen von mehreren Körpern. Aber von den Füchsen sahen sie nichts mehr.

      Am nächsten Morgen fand der Leuchtturmwächter auf der Großen Karlsinsel ein Stück Rinde unter seiner Haustür, auf dem mit krummen, eckigen Buchstaben geschrieben stand: „Die Füchse auf der kleinen Insel sind in das Höllenloch gefallen. Mach, daß du hinkommst!“

      Und das tat der Leuchtturmwächter auch.

      14

      Zwei Städte

      Die Stadt auf dem Meeresgrunde

Samstag, 9. April

      Es war eine stille, klare Nacht. Die Wildgänse brauchten nicht in einer der Höhlen Schutz zu suchen; sie schliefen oben auf dem Felsengipfel, und der Junge hatte sich neben den Gänsen auf dem kurzen, trockenen Grase ausgestreckt.

      Der Mond schien hell in jener Nacht, so hell, daß der Junge lange nicht einschlafen konnte. Er besann sich, wie lange er nun schon von Hause fort war, und als er nachrechnete, waren seit dem Beginn seiner Reise gerade drei Wochen verflossen. Und da fiel ihm ein, daß heute der stille Sonnabend vor Ostern war.

      „Heute nacht sind alle Hexen vom Blocksberg unterwegs,“ dachte er und kicherte ein wenig. Vor dem Nöck und dem Wichtelmännchen fürchtete er sich wohl ein wenig, aber an die Hexen glaubte er ganz und gar nicht.

      „Wenn in dieser Nacht das Hexenpack unterwegs wäre, dann müßte ich es doch sehen. Bei so vollständig hellem und klarem Himmel könnte sich nicht der kleinste Punkt durch die Luft bewegen, ohne daß ich ihn wahrnähme,“ dachte er weiter.

      Während er nun zum Himmel aufschaute und an alles dies dachte, wurde ihm ein sehr schöner Anblick zuteil. Ziemlich hoch über dem Horizont segelte der Vollmond rund und hell dahin, und über ihn hin flog ein großer Vogel. Er flog nicht am Mond vorüber, sondern tauchte so auf, als flöge er gerade aus ihm heraus. Ganz schwarz hob sich der Vogel von dem hellen Hintergrunde ab, und seine Schwingen reichten von dem einen Rand der Mondscheibe bis zum andern. Sein Körper war klein, der Hals lang und schmal, die Beine hingen lang und dünn herab, und der Junge erkannte bald, daß es ein Storch sein mußte.

      Ein paar СКАЧАТЬ