Gesammelte Schulhumoresken. Eckstein Ernst
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Schulhumoresken - Eckstein Ernst страница 3

Название: Gesammelte Schulhumoresken

Автор: Eckstein Ernst

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn:

isbn:

СКАЧАТЬ an der Seite Jeanettens.

      Mit diesem Wirrkopf schließen wir. Die Zahl der Schülertypen ist natürlich noch lange nicht erschöpft; erschöpft aber ist vielleicht die Geduld des Lesers.

      Wie der Quartaner Holzheimer Primus wurde

Von ihm selbst in Briefform aufgezeichnetHochgeehrter Herr Redakteur!

      Ihr geschätztes Blatt erörtert mit Vorliebe charaktervolle Ereignisse aus dem alltäglichen Leben. In der Tat scheint mir der Ausspruch unseres vortrefflichen Schiller:

      Was sich nie und nirgends hat begeben,

      Das allein veraltet nie …

      aus mehr als einem Gesichtspunkt – veraltet; womit ich keineswegs gesagt haben will, daß Schiller nicht gewisse Verdienste besäße. Erklärt doch derselbe Schiller, – ich habe das betreffende Gedicht erst vorgestern in der Deklamationsstunde rezitiert und infolge einer empörenden Verstimmung des Herrn Professors die Note »ungenügend« davon getragen, – erklärt doch derselbe Schiller, daß der Lebende recht hat. Das Deklamieren ist, beiläufig gesagt, meine Force, während ich im Griechischen durch allerlei Verkettungen häuslicher Übelstände in betrüblicher Weise zurückgeblieben und kaum imstande bin, die ersten Beispiele aus Jakobs zu übersetzen. Nichtsdestoweniger und dessenungeachtet gelang es mir neulich, just im Griechischen den Ehrenplatz eines Primus zu erobern und bis zum Schluß der Lehrstunde unbeeinträchtigt zu behaupten. Sie denken jetzt natürlich an unlautere Manipulationen, an abgeschriebene Exerzitien, an frech gehandhabte Spicker. Aber Sie irren: ich ward Primus auf ganz legitimem, ich möchte sagen, auf höchst honorigem Wege, und kraft jenes Grundsatzes, den schon die Bibel betont: »Wer sich selbst erniedrigt, der soll erhöhet werden«. Fahren Sie nur getrost in der Lektüre dieser meiner Darlegung fort.

      Professor Dr. Schmelzle, der uns den Jakobs erklärt, hat nämlich die befremdliche Angewohnheit, eine mangelhafte Leistung durch Degradation zu bestrafen. Kaum habe ich meinen Mund geöffnet, um den ersten Aor. Ind. Act. von βλέπω mit »ich wurde gesehen« zu verdeutschen, so ertönt schon das verhängnisvolle »Setz' Dich zu unterst!« Beim Repetieren wie beim Extemporieren, beim Hersagen der Paradigmen wie beim Abfragen des Wörterverzeichnisses – überall und jedesmal ernte ich dieses ungebührliche »Setz' Dich zu unterst!«, sobald ich auch nur zwei Silben über die Lippen gebracht habe. Es ist dies, wie Sie in Anbetracht meines sonstigen Bildungsgrades leicht ermessen werden, eine sogenannte Tücke des Schicksals, eine μοῖρα, ein fatum, das auf gewöhnlichem Wege nicht zu ändern ist. Wenn ich, der gehorsamst Unterzeichnete, gleichwohl ein Mittel fand, das anscheinend so unnahbare Ziel des ersten Platzes unter Zweiundzwanzigen zu erreichen, so danke ich dies lediglich meinem diplomatischen Scharfsinn, der allerdings in unserer Familie schon seit mehreren Generationen heimisch ist, wie denn mein Onkel mütterlicherseits, der bekannte Papierfabrikant Heinerle, die Schreibmaterialien in das Reichskanzleramt liefert, während mein Großvater vor der Schlacht bei Königgrätz die Äußerung getan haben soll: »Wenn das Schlachtenglück sich auf die Seite der Preußen neigt, so glaube ich der österreichischen Armee eine ernstliche Niederlage prophezeien zu dürfen!« Habeat sibi! wie Professor Gordon zu sagen pflegt, wenn ich im Bilden eines lateinischen Partizipialsatzes nicht von der Stelle komme. Sie selbst sollen entscheiden, ob ich zu viel behaupte.

      Professor Schmelzle – so viel wird Ihnen seit Beginn dieses Briefes klar sein – stellt an die Leistungsfähigkeit seiner Quartaner höhere Anforderungen, als er, streng genommen, vor dem Richterstuhle der Humanität verantworten könnte. Es fehlt ihm für die Beurteilung unserer Kenntnisse jeglicher Maßstab. Diese Tatsache fühlt er selbst, daher er denn von Zeit zu Zeit gewissermaßen an unser eigenes Urteil appelliert und am Schluß der Lehrstunde die bedeutsamen Worte spricht: »So, hm, hm! Fürs nächste Mal mögt Ihr Euch die Klassenaufgabe einmal selber auswählen. Schlagt mir, hm, hm! ein paar Themata vor, ich werde dann endgültig resolvieren!« Da ruft dann der eine: »Ach, Herr Professor, lassen Sie uns bei dem ganzen Pensum von heute das Perfektum ins Präsens verwandeln.« … »Nein, nein,« ruft der zweite, »lassen Sie uns die Erzählung vom Diogenes auswendig lernen!« Kurz, vier, fünf der hervorragendsten Schüler beantragen ihre meist sehr unverfänglichen Aufgaben, und der Herr Professor entscheidet dann. Leider bin ich, wie bereits angedeutet, infolge häuslicher Umstände selbst diesen leichteren Aufgaben nicht gewachsen, und wenn am folgenden Tage die Aufforderung des Lehrers mich trifft, so heißt es immer wieder unfehlbar: »Zu unterst!«

      Nun muß ich bemerken, daß Professor Schmelzle ein Dichter ist. Von Zeit zu Zeit veröffentlicht er im städtischen Anzeiger ein Kind seiner Muse, – sei es nun ein Hymnus auf die Rückkehr des Herzogs, ein Frühlingslied oder ein Festgesang beim Antritt des neuen Jahres.

      Es war nun am 10. Januar, als Professor Schmelzle uns wiederum die Wahl der Aufgabe für den folgenden Mittwoch freigab. In der Neujahrsnummer des städtischen Anzeigers hatte just eine Ode unseres allverehrten Lehrers gestanden, ein »Rückblick« von zwanzig Strophen, der die Ereignisse des verflossenen Jahres in tiefsinniger, ja, ich möchte fast sagen, unverständlicher Weise behandelte. Poeten sind eitel, und Professor Dr. Schmelzle ist, was diesen Punkt betrifft, ein Poet ersten Ranges. Als er daher am Schluß der Lehrstunde vom 10. Januar zu Vorschlägen aufforderte, erhob ich mich selbstbewußt und sagte mit Stentorstimme: »Herr Professor, lassen Sie uns das schöne Gedicht ›Rückblick‹, das Sie in der Neujahrsnummer unseres städtischen Anzeigers zu veröffentlichen die Güte hatten, ins Griechische übersetzen!«

      Sie stutzen, geehrter Herr Redakteur! In der Tat war das eine Aufgabe, an der selbst die Gewandtheit eines Primaners unausbleiblich gescheitert wäre. Aber gerade das wollte ich. Ich wollte diesen fünf, sechs Auserlesenen, die stets die Note »Vortrefflich« einheimsten, auch einmal zeigen, was es heißt, ein Problem lösen zu sollen, das unsere Kraft übersteigt. Aber noch mehr. Ich selbst wollte mich durch dieses glorreiche Strategem an die Spitze der Quarta schwingen und meinen Mitschülern dartun, daß ein offener Kopf praktisch mehr bedeutet als ein Wust von Optativen, die sich schließlich endigen mögen, wie sie wollen, – mir soll's egal sein.

      Der Professor war im ersten Moment über meine Kühnheit verblüfft, aber gleich darauf spielte um seine Lippen jenes eigentümliche Dichterlächeln, das mir den Sieg gewährleistete. Der Gedanke, daß dreiunddreißig mehr oder minder geistvolle Knaben sich stunden- und tagelang mit dem »Rückblick« beschäftigen, daß sie ihn analysieren und gewissermaßen in seine Einzelschönheiten aufdröseln sollten, – dieser Gedanke hatte für Professor Schmelzle etwas Verführerisches. Die Autoren-Eitelkeit überwog alle Bedenken, und die idealistische Auffassung bezüglich unseres Wissens machte ihn ja so wie so geneigt, uns allerlei Sisyphusarbeiten zuzumuten.

      »Gut,« sagte er schmunzelnd, »übersetzt mir den ›Rückblick‹ ins Griechische. Die Sache wird Euch zwar Mühe machen, aber ein deutsch-griechisches Lexikon tut das übrige. Notabene, selbstverständlich braucht Ihr Euch nicht an das Metrum zu halten.«

      Mit diesen Worten verließ er das Schulzimmer, während ich von meinen Kommilitonen mit drohenden Vorwürfen überhäuft wurde, die ich stoisch lächelnd zurückwies.

      Der entscheidende Mittwoch kam unter den mannigfachsten Qualen der gepeinigten Quarta heran.

      »Nun,« sagte der Herr Professor, indem er sich behaglich über das rundliche Kinn strich, »wer will mir denn einmal zuerst den griechischen ›Rückblick‹ vorlesen oder aufsagen?«

      Nicht ein einziger meiner Mitschüler meldete sich, denn alle fühlten die entsetzliche Unzulänglichkeit ihrer Arbeit; ich aber fuhr stolz in die Höhe und sagte mit fester, gemessener Stimme:

      »Ich, Herr Professor.«

      »Du, Holzheimer?« fragte der Professor erstaunt; »nun, da bin ich denn doch in der Tat begierig.«

      Ich hob mein Heft und begann. Kaum aber hatte ich zwei Zeilen meiner unglückseligen Übersetzung vorgetragen, als schon СКАЧАТЬ