Название: Halbtier
Автор: Böhlau Helene
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
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Sie hatte ihren Kopf an Isoldes Wange gelehnt.
Da gewahrte sie, daß Isolde heiße Thränen weinte.
„Na, was denn?“
„Sammtaff, lieber,“ bat Isolde, „laß ihn mir! Es geschieht dir ja nichts. Er thut ja nichts – und mich freut’s so.“
„Wie kann denn dich das freuen,“ fragte Marie ganz betreten.
Isolde aber weinte so wild und schluchzend. „Ich möcht nur wissen, was man vom Leben hat – so was Fad’s! Bei uns is man so wie so geschlenkt. Es könnte ganz anders sein. – Weißt du was ich glaub? – Mama is dumm!“
Isolde schluchzte herzzerreißend. „Ide, Mama ist ein Engel! – thu keine Sünd.“
„Ja, eben ein Engel. Wer sagt dir denn, daß ein Engel net dumm ist! Weißt du, es ist komisch, aber manchmal kommt es so: da möcht ich den Leuten ins Gesicht schlagen.
Alle kriechen sie – alle – wenn man’s auch gar nicht merkt. Keins sagt und thut was es will!
Wir bilden uns nur ein, daß die Leut’ auf zwei Beinen gehn. Auf vieren gehen sie, – sie kriechen alle.
Mama liegt glatt auf dem Leib – überhaupt fast alle Frauenzimmer – du auch – du erst recht! Und die Männer erst! O Gott! – und wie!
Und was sie im Grund genommen für philiströse, heuchlerische Institutsvorsteher sind, wenigstens uns gegenüber.
Dann möcht ich noch auf jeden blank gewichsten Cylinder spucken, mitten darauf, wenn unter den Fenstern so einer vorübergeht – mitten auf die kleine, blankgebürstete Sonne, die oben spiegelt. So eine dumme, steife, kleinliche Sonne.
Ach, wie mich das alles aufbringt.
Und das Häßliche, mit dem man sich umgiebt!
Und das nennt man Leben!
Schau her, so ein Gelump wie da herumsteht!
Alles zum Fenster naus! Zum Kämmen ein widerlich riechender Kautschukkamm. – Ah! – die riechen alle und machen elektrische Funken! Pfui! – Gold muß es sein oder Elfenbein – dann!
Aber was ist das hier – von allem das Geringste, das Schäbigste. Talmi und unechte Spitzen!
So gemein! – so gemein! so gemein!“
Sie schluchzte.
„Was ich anfasse, soll schön sein, eine Freude – ein Glück!
Ich will Hemden mit echten Spitzen – echte Spitzen – reines Gold! Elfenbein! – auch Perlmutter!
Das ist’s! Das sind Dinge, die man in die Hand nehmen darf – nichts Andres!
Ach, wie man lebt, wie ein Schwein!“
Sie schluchzt und schluchzt.
„Nackt müßte man gehen dürfen und es müßte keine Schande sein.
Nackte, schöne Menschen. Gold, Elfenbein und Perlmutter! – das wär’ eine Welt! – Und dann – immer Seelenräusche.
So, wie meine Seelenräusche! So herrlich! – und eine Liebe dazu.
Seelenräusche und ganz wenig Sachen; aber alles schön zum anfassen, edel bis in den Kern.
Etwa keine japanische Holzpuderbüchse!
Aber wir leben im Schmutz.
Unter ekelhaften Lumpen kriecht das alles wie Gewürm, wie Mehlwürmer in der Kleie —
Und alle riechen mufflich – und sind mufflich durch und durch!
Oder, wenn man all das Herrliche, das, was sein müßte, nicht haben kann – dann gar nichts – aber auch gar nichts!
Die Haare mit den Fingern kämmen, ein Strohsack – eine wollene Decke – ein grobes Hemd – einen Strick um den Leib – das ist auch eine Welt! —
Aber nicht so wie wir!
Pfui der Plunder!
So ein Nähtischchen, so ein Ferkel von einem Nähtischchen!
So ein Tier von einer Bettvorlage!
Pfui! Pfui! Pfui! Pfui!“
Sie war vollkommen außer sich.
Marie hatte die größte Not die heftige jüngere Schwester zu beruhigen.
Sie kroch zu ihr ins Bett und hielt Isolde an sich gedrückt und vergaß ganz, daß der Schädel grinsend auf sie beide herab blickte.
Isolde schlief in den weichen, süßen Armen ein, ohne in ihr Nachtkleid geschlüpft zu sein, Hals und Arme entblößt. —
Und Marie schlich leise und scheu mit klopfendem Herzen und einem Grausen über den ganzen Leib nach ihrem schneeweißen Bettchen.
Sie fühlte wie der Schädel ihr spöttisch nachsah und sie wagte nicht sich umzuschauen.
Lange konnte sie keinen Schlaf finden und als sie endlich schlief, träumten ihr häßliche Dinge.
Der Schädel lebte wirklich und hatte es immer auf sie abgesehn, so schauerlich zudringlich.
Sie wachte ein paar Mal vor lauter Angst und Schrecken auf, hielt atemlos die Arme auf die Brust gepreßt, lag wie eine Statue so still und ließ alles Grauen über sich hingehen, ohne sich zu wehren.Für sie war mit dem Schädel ein nie gekannter böser, banger Geist ins Haus gekommen.
2
Acht Tage war der Vater schon auswärts.
Die Zurückgebliebenen hatten in dieser Zeit auch eine Art Sommerfrische durchgemacht, wenigstens eine Änderung ihrer Lebensweise. Mit dem Vater zugleich schien allerhand verschwunden zu sein.
Der sogenannte Salon und des Vaters Arbeitszimmer waren sofort, nachdem beide Räume sich einer gründlichen unerbittlichen Reinigung hatten unterwerfen müssen, abgeschlossen worden, und machten jetzt den Eindruck von Kirchen, so still und fast feierlich war es darin, und man lebte in den Schlafstuben.
Das Mittag- und Abendessen hatten ihre Hauptbestandteile eingebüßt. Gerichte, die wenig kosteten und sich leicht herstellen ließen, waren an der Tagesordnung, Kartoffeln und Häring oder Reisbrei. Nur Karl erhielt seine Kotelette, die wurde aber der Einfachheit halber gleich fix und fertig aus dem Gasthaus gegenüber geholt, in dem Arbeiter und arme Studenten ihre billigen Mahlzeiten hielten.Am Abend gab es Rettig und Butterbrot und Karl bekam seine Wurst.Mama ging den ganzen Tag in der Nachtjacke. Sie saß mit Marie und Isolde die meiste Zeit über einem Riesenkorb mit zerrissener Wäsche gebeugt.Zwei Tage hatten sie auch die Schneiderin im Haus und holten zwei Koteletten.Mama wollte in dieser Zeit helle Sommerkleider für ihre jungen Mädchen aus dem Wirtschaftsgeld herauspressen und war wie ein Jäger auf die Pirsch ausgezogen, СКАЧАТЬ