Название: Benno Stehkragen
Автор: Ettlinger Karl
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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»Es is noch nicht Zwölf, meine Herrschaften!« rief Wittmann täglich gereizt.
Und erhielt täglich prompt die Antwort: »Ihne Ihr Uhr geht nach! Uff maaner is es schon drei Minute driwwer!«
Benno beobachtete, wie Martha die Schreibärmel herunterzog, sie glatt strich und in der Pultschublade verwahrte.
Von Samt und Seide sollten se sein, dachte er, und nicht von schundigem Leinen! – Und lauter rote Herzchen sollten drauf gestickt sein! – Und ganz oben das oberste Herzchen, wo die Sicherheitsnadel durchgeht, wenn se sich die Schreibärmel feststeckt – das wär’ dem Benno Stehkragen sein Herz – und tät’ jeden Morgen und jeden Nachmittag sagen: »Autsch, Se tun merr weh, Fräulein Reseda!« – Und es tät’ ein kleiner Blutstropfen herausquellen und den Schreibärmel hinunterlaufen – wo jetzt die schwarzen Tintenklexe hinunterlaufen – bis zuletzt der ganze Schreibärmel rot wär’! – Und dann tät’ se ihn wegwerfen und dem buckligen Benno Stehkragen sein Herz dazu …
»Mahlzeit, Herr Stehkragen!« sagte Martha und wandte sich zum Gehen.
»Mahlzeit!« sagte Benno und machte sich langsam fertig.
Am Portal der Bank aber holte er sie wieder ein und lief neben ihr her, die Kaiserstraße hinunter, vom Bahnhofsplatz bis zum Uhrtürmchen, ohne ein Wort zu sprechen.
Wie ein Hündchen lief er neben ihr her. Und seine Gedanken liefen dabei die konfusesten Pfade, die alle von dem Wegweiser »Wenn« abzweigten.
Diese Begleitung war Martha etwas lästig.
Aber sie wollte den spaßhaften Bureaugenossen nicht kränken, und so ließ sie ihn gewähren. Bis zum Uhrtürmchen. Dort nickte sie ihm zu, sagte »Adjö!« und stieg in die Elektrische.
Benno bog in die Promenade ein, ging durch die Große Gallusgasse, über den Roßmarkt, nach dem koscheren Restaurant, in dem er seit Jahren zu Mittag speiste.
Und Marthas »Adjö« begleitete ihn auf seinem Weg und leuchtete ihm voraus wie der Stern den heiligen drei Königen.
Dieses »Adjö« schwamm als Markklößchen in der Suppe, kicherte ihn an aus den Preißelbeeren und lachte ihm als Rosine aus dem Schalet entgegen.
Und die kleinen Bläschen, die im Selterswasser aufstiegen, das waren lauter kleine, goldhelle »Adjös«, und die Serviette, mit der er sich zum Schluß den Mund abwischte, das war einer von ihren Schreibärmeln, und der Mundwischer war ein scheuer, andächtiger Kuß.
Benno Stehkragen erwachte erst erschrocken aus seinen Träumen, wenn der Oberkellner, der stoppelbärtige Josef, der ebenso zum Inventar des koscheren Restaurants gehörte wie Benno zum Inventar der Industriebank, unaufgefordert an seinen Tisch trat und diskret frug: »Hawwe Se net gerufe, Herr Stehkrage’? Unn ich wollt’ Ihne aach sage, Ihne Ihr Abonnementskaart is abgelaafe! Ich habb’ Ihne gleich e neu’ ausgestellt!«
Er überreichte auch sofort die neue Abonnementskarte, indem er dabei mit der Serviette wedelte wie eine fliegengeplagte Kuh mit dem Schwanz und wußte: Jetzt gab es eine Mark Trinkgeld.
Das war die seit vielen Jahren zwischen ihm und diesem Stammgast übliche Taxe, die als Trinkgeld ausreichte für die zwölf Mahlzeiten, über die die Karte lautete.
Hätte ihm Benno einmal versehentlich nur neunzig Pfennig gegeben, so würde der stoppelbärtige Josef mit ruhigem Gewissen gesagt haben: »Se hawwe Ihne geerrt, Herr Stehkrage’!«
Und hätte ihm Benno mehr gegeben, so würde er den Betrag zwar eingesteckt, aber dabei sich gedacht haben: Er is meschugge wor’n! No ja, halb war er’s schonn immer!
Zum vierten Male sah Benno nach Martha mittags um ein Viertel über Zwei.
Dann erst traf sie im Bureau ein, wie es denn überhaupt die Angestellten nachmittags mit der Pünktlichkeit nicht allzu genau nahmen.
Denn um zwei Uhr waren die meisten Bureauchefs und Prokuristen, die die Börse besuchten, noch beim Mittagessen. Die Junggesellen unter ihnen leisteten sich sogar noch ein Verdauungsviertelstündchen im Kaffeehaus.
Die Nachmittagsunpünktlichkeit und die darauffolgende halbe Stunde süßen Nichtstuns, das sich freilich unter dem Schein eifrigster Arbeit verbarg, war übrigens den Beamten wohl zu gönnen. Denn gegen dreiviertel drei Uhr trafen die Ausgeher mit den Auftragsbüchern, Notizheften, Telegrammen von der Börse ein und brachten eine Unmenge Arbeitsstoff, der unter allen Umständen bis sechs Uhr abends bewältigt sein mußte.
Von Bureau zu Bureau wanderten diese Auftragsbücher und Notizhefte – jedes wollte sie zuerst haben – jedes fand, daß man sie in den anderen Bureaus über Gebühr lang zurückhielt. Streit und Schimpfen begannen als würdige Einleitung zu der Arbeitshetze, die nun alltäglich einsetzte.
Da gab es Stöße von Fakturen auszuschreiben, zu berechnen, nachzurechnen, Wertpapiere aus den Schränken und Gewölben zu entnehmen, vielseitige Nummerverzeichnisse anzufertigen, Couponbogen und Coupons auf ihre Richtigkeit zu prüfen, Wechsel zu girieren, endlose Einträge in dicke Bücher vorzunehmen, Briefe, Briefe, Briefe zu schreiben.
Da gab es Dutzende von Unklarheiten, Mißverständnissen, Fehlern, ewig wiederkehrenden Dummheiten.
Telephone und Haustelephone läuteten ununterbrochen, gellende Klingelzeichen riefen Angestellte in die Direktion und zu den Prokuristen, Türen wurden heftig zugeschlagen.
Jedermann befand sich in gereizter, überhitzter, aggressiver Stimmung, die sich bei der geringsten Kleinigkeit in Grobheiten und Wutausbrüchen entlud.
»Zum Donnerwetter, was legen Sie da für einen Wisch auf meinen Platz?«
»Das ist nicht meine Arbeit! Das geht mich gar nichts an!«
»Fragen Sie nicht so albern! Woher soll ich das wissen?«
»Es gibt doch nichts Dümmeres auf der Welt als ein Weib! Wenn wir nur keine Weiber mehr im Geschäft hätten!«
»Sie sehen doch, daß ich jetzt keine Zeit hab’! Scheren Sie sich zum Kuckuck!«
»Ach was, beschweren Sie sich bei der Direktion, wenn’s Ihnen nicht paßt!«
Mitunter wurden sogar Ohrfeigen angeboten, und manchmal kam es um ein Haar zu Tätlichkeiten.
Nur ein Beamter ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, das war der dicke Rehle. Rauchend und schnupfend behauptete er seinen Schalterplatz im Wechselbureau, mit unerschütterlichem Humor gefeit gegen alle Anstürme.
»Fräulein Scheckel, komm emal ’ebei! Schleich dich emal zu merr, mei Herzche! Was hast de dann da widder for’n Stiwwel zesammegerechent?«
Und nachdem das Fräulein »Scheckel« zerknirscht seinen Fehler eingesehen hatte:
»Da hast de mei Radiermesser! Geh hin unn besser’ dich! Sonst kriehst de dei Lebdag kaan Mann unn sterbst als ahl Jungfer, mit eme Mops unn zwaaundreißig falsche Zähn’!«
Es wäre freilich praktischer gewesen, das Fräulein hätte gleich ein Loch in die falsche Nota radiert. Denn die Rasur entging nicht dem geschärften Auge Rittershausens, dem alle Schriftstücke, ehe sie das Bureau verließen, vorgelegt СКАЧАТЬ