Die Hallig. Johann Christoph Biernatzki
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Название: Die Hallig

Автор: Johann Christoph Biernatzki

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ diesen Tag war Idalia vollauf beschäftigt, um, so weit es die Umstände erlaubten und die empfangenen Sachen es zuließen, Alles auf das Zierlichste und Freundlichste einzurichten. Wol zehnmal mußte hier ein Stuhl anders angesetzt, dort ein Tisch anderswohin gerückt werden, und es gehörte der ganze geduldige Gehorsam einer Halligbewohnerin dazu, um ihrer Gefährtin bei diesen derselben ganz zwecklos scheinenden Veränderungen nicht den übernommenen Dienst zu verleiden. Godber lächelte innig vergnügt über diese Geschäftigkeit, und putzte nach Idalia’s einander drängenden Anordnungen an der Reinigung und Ausschmückung der Stuben mit, als gelte es, die Kajüte des Kapitäns für den Empfang vornehmer Gäste zu bereiten. Mander selbst freute sich über dieses früher nie bemerkte Wolgefallen seiner Tochter an solchem Treiben. Nur Oswald bemerkte spottend, wie gut es sei, daß der Mittagstisch heute vom Pastorate aus bestellt würde, und verglich seine Schwester mit dem Vetter Fritz, der, als man ihm bei einem Diesput vorwarf: „Sie werden ja immer confuser!“ rasch antwortete: „Nein, ich ordne nur meine Gedanken!“

      Es möchte hier Zeit sein, einen nähern Blick auf des jungen Mander’s Charakter zu werfen. Zeigte er sich bisher nur als einen jener faden und ärmlichen Menschen, auf die allein die sinnliche Seite des Lebens Einfluß hat, und die der Erhebung über die Welt des Genusses nicht fähig sind, so hat er sich damit nicht so ganz dargestellt, daß unser Urteil über ihn nun als ausgemachte Wahrheit feststände. Vielmehr, obwol beinahe zwei Jahre jünger als seine dreiundzwanzigjährige Schwester, war doch auch sein Benehmen nicht mehr der offene Spiegel seines Herzens, sondern wie sie Berechnung und Gefühl also verschmolz, daß auch der erfahrenste Menschenkenner oft schwer hätte unterscheiden können, wodurch ihr Betragen bestimmt und geleitet wurde, gleichwie ihr selbst jene Unterscheidung nicht leicht möglich gewesen wäre, so vereinte sich bei ihm ein Herz, fähig der wärmsten Empfindung für alles wahrhaft Große und Schöne, mit der fast ausschließlichen Richtung seines Lebens auf das sinnliche Gefallen und körperliche Behagen. Es war nicht etwa eine blose Maske, die er vornahm, wenn er sich so aussprach und so handelte, als ob er nichts Höheres kenne über des Leibes Wolsein und der Sinne Ergötzung hinaus; nein, er gehörte zu dem Schwarm junger Großstädter, die es Lebensphilosophie nennen, alle ernster anschlagenden Saiten des Herzens in den frivolen Ton einer Brust umzustimmen, in welcher nur Gedanken an Theater, Schmausereien, Trinkgelage, Bälle und Liebschaften Raum haben. Er war noch zu jung, als daß jene Philosophie, die Ausgeburt eines gefallenen Geistes, der das Gemälde seiner Erniedrigung übertünchen und die Stimme des Gewissens übertäuben wollte, dadurch, daß er für seine Tierheit den Namen System mißbrauchte, in ihm so feste Wurzel gefaßt haben sollte, um alle Keime des wahren Lebens zu überwuchern und zu ersticken. Er war aber doch ein zu gelehriger Jünger zu den Füßen dieser Seelenverkäuferin gewesen, um sich nicht selbst zu überreden, daß er ganz das sei, wofür er sich gab, um wenigstens nicht vor Andern das Ansehen behaupten zu können, ein Meister in der Kunst der Erbärmlichkeit zu sein. Natürlich mußten Stunden im Leben, wie die auf der stürmenden See, ihm seine Blöße zeigen; aber eben darum bemühte er sich nur desto mehr, sie aus seinem Gedächtnis zu tilgen und den Eindruck, den in solchen Momenten die traurige Gestalt seiner sogenannten Weltansicht auf ihn und Andere gemacht haben könnte, durch eine schnelle Rückkehr in das alte Geleis zu verwischen, so sehr auch die mahnende Stimme des gewaltsam erweckten besseren Sinnes gegen ein solches Benehmen sprach. Daher war auch sein Lachen und Scherzen gleich nach der Errettung aus dem drohendsten Untergang mehr eine widernatürliche Anspannung seiner Kräfte gegen sich selbst, als, wie er sich und Andere überreden mochte, ein Zeugnis seines leichten Sinnes.

      Es gehört die Stimme eines Propheten dazu, um die Nachtwandler zu wecken, die auf dem Pfade fortgehen, den Oswald betreten, diese Damen und Herren, denen im Besitz und Genuß aller Güter des Lebens nur Eines fehlt, das Leben selber. Aber nirgends deutlicher als an ihnen zeigt sich die Wahrheit des Wortes Christi: „wer nicht glaubet, ist schon gerichtet!“ Die ganze fade Armseligkeit ihres Daseins mitten in der Fülle ist ihr Gericht. Gleich einer Verwünschung wirkt schon die Zeichnung eines ihrer „himmlischen“ Tage auf das Gemüt. Diese stundenlange Toilette mit allen ihren jämmerlichen Künsten und dabei das Entzücken über eine wolgelungene Schleife, über die Zier eines neumodischen Kleides, dieser letzte triumphierende Blick in den Spiegel, dieser Wonnegedanke, so Bewunderung zu ernten. Nur ein paar Besuche gegeben oder angenommen, Gespräche in nichtsmeinenden und nichtssagenden Formeln sich bewegend, oder an der ersten Melone, an der neuesten Oper, an dem letzten Ball mit einer Zähigkeit haftend, als ob man sich es bewußt wäre, daß darüber hinaus aller Gedankenvorrat erschöpft sei. Glücklich, wenn eine Stadtneuigkeit, ein eben herausgekommener Roman, oder ein Körnchen Medisance, das schnell auf fruchtbarem Boden fortwuchert, von der Verstandesmarter, unterhaltend zu sein, erlösen und das Lob eines interessanten Gesprächs auf die Sprecher zurückspiegeln. Nun die Tafel mit ihren Leckerbissen und feinen Weinen. Eine gute Gelegenheit, von zarter Constitution, Krieg und Frieden, Hungersnot und Cholera, Volksaufständen und Militärparaden in demselben Gemenge zu reden, in welchem die Kunst des Koches vorliegt. Dann das Concert, wo die schmelzendsten Töne den Weg nicht zum Herzen, sondern nur zu der zahlenden und klatschenden Hand suchen, oder das Theater, wo Thekla auf die Geisterstimme des Souffleurs lauscht und der ermordete Wallenstein auf die Danksagung gegen das hervorrufende Publikum denkt, während dieses allvergessend von Loge zu Loge kokettirt. Oder der Ball, der, den Staub einer schwindsüchtigen Gallopade aufwirbelnd, noch das letzte Fünkchen Leidenschaft in der hohlen Brust anfacht, um das künstlich erregte Blut mit dem künstlichen Eise wieder zu dämpfen. Und dieses Leben, dessen schmutzige Orgien, so wol sie sich mit der feinen Glätte und Zierlichkeit jener Menschen vertragen, wir nicht aufdecken wollen, sollte nicht mitleidenswert sein? Sollte nicht in seiner Flachheit und Fadheit eine Jammergestalt darstellen, gegen die der frechste und roheste Uebertreter aller göttlichen und menschlichen Gesetze noch ein Mensch ist? Er ist doch noch ein Wesen, das Etwas ist, und darum kann er auch noch inne werden den Richter der Lebendigen und der Toten und umkehren von seinem Wege. Auf jener Flachheit gefriert aber der Thau vom Himmel wie auf dem Spiegel des Eises. In jener Fadheit wird jedes Mannakorn aus den Wolken zu geschmackloser Spreu. Wo eine Kraft wirken soll, da muß auch eine Kraft sein, auf die sie wirken kann, sonst geht ihre Wirkung in leere Winde. Wie soll man aber jene mit Dunst erfüllten Totengerippe fassen? Sie thun den Mund auf und nennen ihre Dunstblasen feine Bildung; sie gehen ihren Weg hin und atmen sich ihre Leichengerüche zu als Nahrung für Geist und Herz. Tritt ihnen das Leben entgegen, so wenden sie sich verächtlich ab, als hätten sie Moder und Verwesung gesehen. Ihre Armseligkeit ist ihnen Reichtum, ihre Erniedrigung Hoheit, ihr Unsinn Weisheit, ihre Verdammnis Seligkeit.

      So sind sie, wenn auch für den nur obenhin Schauenden mit lieblicher Schale doch durch und durch eine faule Frucht, die, abgefallen vom Baume des Lebens, im Staube liegt, und sich freuet dieses Staubes, ohne Sehnsucht wieder hinauf zu der grünen, frischen Krone.

      Hold mochte, als er später den jungen Mander näher kennen lernte und sich die eigenen in großstädtischen Kreisen gemachten Erfahrungen vergegenwärtigte, manches dem hier Ausgesprochenen Aehnliche gedacht haben. Denn wir finden in einer Handschrift von ihm, der er den etwas auffallenden Titel: „Gesichte“ gegeben hat, und woraus wir vielleicht noch einige Mitteilungen vorlegen werden, aus jener Zeit unter Anderem auch folgendes Gesicht:

      Ich sah ein kleines Mädchen mit allen Zügen des Hungers auf den bleichen eingefallenen Wangen und mit der Blöße der tiefsten Armut angetan, am Wege sitzen. Ihr Alter mochte zehn bis zwölf Jahre sein, aber ihr Körper war klein und schlaff, wie das kränkelnde Gewächs eines Treibhauses. – Und ein Weib, reinlich aber ärmlich gekleidet, am Busen einen lächelnden Säugling und an der Hand einen hüpfenden Knaben. Ein Korb hing an ihrem Arm. Ihr eilender Schritt stockte an der Seite des Mädchens am Wege; sie ließ die Hand des Knaben fahren und blickte auf ihren Korb. Aber sie ging vorüber und schritt über einen Steg auf das Feld zu einem arbeitenden Manne. Der wischte sich mit dem nervigen Arm den Schweiß von der Stirne und nahm das schwarze Brod aus dem Korbe, während der Knabe für ihn die Flasche aus der nahen Quelle füllte. Da sah das Mädchen am Wege hinüber nach dem Brote, und der Mann brach es in zwei Hälften und trat hin und gab der Hungrigen die eine Hälfte. Sie dankte ihm mit der Begierde, mit welcher sie die Gabe an ihren Mund brachte. Da glitt der Blick des Mannes noch einmal über die ganze СКАЧАТЬ