Название: Die Hallig
Автор: Johann Christoph Biernatzki
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
isbn:
isbn:
Bei diesem Aufenthalt und dieser alle Sinne in Anspruch nehmenden Thätigkeit war es nicht leicht, die rechte Richtung nach dem kleinen Fleck Landes, von dessen Auffinden ihre einzige Hoffnung abhing, wieder zu gewinnen. Nur Godber, dem die Lage der Häuser auf der nahen Hallig genau bekannt war, und der während des Tages fast keinen Blick von der lieben Heimat gewandt hatte, vermochte in der trüben Finsterniß, die Alles einhüllte, an einzelnen ihm allein bemerkbaren, dunkleren Flecken sich zu vergewissern, welche Richtung einzuschlagen sei. Ein gegenseitiges: Lebewohl! und: Behüt’ euch Gott! riefen sich die Abfahrenden und Zurückbleibenden noch zu, und bald hatte sie die dunkle Nacht und die wogende See so weit von einander geschieden, daß kein Zusammentreffen, wenn es auch versucht worden wäre, mehr möglich war. Mander saß mit Oswald und Idalia platt auf dem Boden des Bootes, und diese drei schreckten nur dann und wann in die Höhe, wenn eine aufbrandende Woge ihren Schaumwall über das Boot hinschleuderte und es in die Tiefe hinunterzuschwemmen drohte. Die Matrosen ruderten, obwohl hoffnungslos, doch mit ruhiger, gleichmäßiger Anstrengung, als ob keine Todesgefahr sie umgebe. Godber führte mit kraftvollem Arm das Steuer, in künstlichen Wendungen dem Abbruch der niederstürzenden Flutmassen auslenkend, und den am wenigsten gefährlichen Weg durch die wogenden Thäler und auf den schwankenden Höhen mit dem Scharfsinn und der Erfahrung eines auf den Wellen großgewiegten Seemanns für sein schwaches Fahrzeug suchend. Dabei beachtete er mit durchdringenden Augen sorgsam die Ferne, wenn eine Welle, die das Boot emportrug, eine weitere Aussicht als von Woge zu Woge möglich machte. Aber die Finsterniß lagerte sich immer dichter und undurchdringlicher über das tobende Meer hin, und nur an dem kürzeren Schlag der Wellen unterschied er nach zwei Stunden der angestrengtesten Arbeit seiner Ruderer und der ungeduldigsten Aufmerksamkeit von seiner Seite, daß das Boot auf das überschwemmte Land der Hallig gekommen sei. Ein unter dem Wasser verborgener Pfahl oder Ueberrest einer alten Werfte konnte jetzt den Nachen kentern und Allen Verderben bringen. Mit dem gespanntesten Blick forschte Godber daher nach beiden Seiten hin, ob nicht ein Streif hohler gehender Wogen ihm einen schmalen Seearm bezeichne, von dem er wußte, daß er sich an dieser Seite des Landes weit in dasselbe hinstrecke. Gott schärfte seinen Blick und leitete sein Steuer. Er fand jene Einfahrt, wo dem minder Kundigen Alles ein Wogenschwall zu sein schien. Nun forderte er den jungen Mander auf, das Steuer zu nehmen. Dieser aber war gänzlich von Todesangst erstarrt und aller Kraft des Handelns völlig beraubt, daß er bei dem Anruf regungslos sitzen blieb. Williger fand Godber den Vater, der wenigstens halb bewußtlos sich zum Steuer hinsetzte, aber auch wohl ohne Nachhülfe der Matrosen, die mit ihren Rudern zur Lenkung der Jolle beitrugen, wenig geleistet haben würde, die schnell auf einander folgenden Befehle Godber’s, der sich auf das Vorderende des Nachens mit einem langen Handstock gestellt hatte, rasch in’s Werk zu setzen. Da Niemand auf dem Boote Kunde hatte von der Einfahrt, in welcher es sich nun fortbewegte, sondern Alle meinten, noch die tiefe See um sich zu haben, so verstand auch Keiner den Zweck der Anordnungen Godber’s, seiner bald rechts bald links gebietenden Befehle; aber der alte Mander gehorchte wie ein Sklave, der sich kein eigenes Denken und Wollen erlauben darf, die Matrosen als Leute, die gewohnt sind, ihr eigenes Urteil ganz dem strengsten Gehorsam unterzuordnen. Auf diese Weise ging es bald mit dem Winde, bald hart an dem Winde noch anderthalb Stunden fort, ohne daß sie darum eine bedeutende Strecke vorwärts gekommen wären, denn die oft so plötzlichen Wendungen brachten immer einige störende Verwirrung in den Gang des Bootes, und die Kräfte der Ruderer waren beinahe erschöpft. Da führte eine neue kurze Wendung das Fahrzeug wieder in eine andere Richtung, und als ob sie plötzlich fast ganz aus dem Bereich des Windes herausgekommen wären, hörten sie nur noch sein Sausen, fühlten es aber nicht mehr, und die Wogen, deren Rauschen noch beinahe lauter als vorher an ihr Ohr schlug, spielten doch viel ruhiger um den Nachen. An dieser Stelle konnte der kleine Anker wohl halten, den sie auf Godber’s Befehl sogleich auswarfen und die Ruder einlegten.
Staunend über die rätselhafte Veränderung ihrer Lage, blickten die seeerfahrenen Matrosen und der alte Mander, während seine Kinder sich erst allmälig aus ihrer starren Angst erhoben, in die Nacht hinaus; aber Alles um sie her war so schwarz verhüllt, daß sie kaum sich einander, viel weniger irgend Etwas außerhalb des Bootes erkennen konnten, und fragend wandten sich Alle an Godber. Er allein, der sie so wunderbar geführt, mußte Auskunft geben können. „Wir sind zur Stelle!“ rief dieser, sprang auf Idalia zu, löste das Seil, mit dem sie noch immer umgürtet war, von ihren Schultern, schlang das eine Ende um seinen Leib, band das andere Ende in einem Ring der Jolle fest, lehnte seine Stange schräge aus von dem Boot und sprang mit einem mächtigen Satz in die Finsternis und in die Wogen hinein. Ein Schrei des Entsetzens entfuhr Allen. Dann standen sie einige Minuten lang in stummer Erwartung, wie dies ihnen ganz zwecklos dünkende Wagestück Godber’s enden werde. Schon gaben sie ihn verloren, und damit sank wieder jede Hoffnung, aus dem Schrecken dieser Nacht gerettet zu werden. Plötzlich schallte ein lautes Halloh! Halloh! wie aus den Wolken her über sie hin. Die Matrosen antworteten unwillkürlich dem ihnen gewohnten Ruf, obwohl sie nicht begreifen konnten, woher die Stimme so nahe, und doch wieder so hoch von oben her, als ob ein Riese neben ihnen stände. Vergebens strengten sie ihre Blicke an; ihr sonst so scharfes Auge für alle Gegenstände auf dem Meere sah Nichts, als die undurchdringlichste Nacht. Wieder gingen einige Minuten der gespanntesten Erwartung vorüber. Siehe, da glänzte plötzlich ein freundliches Licht durch die Fenster einer friedlichen Wohnung dicht über ihnen auf sie herab, und nach dem ersten regungslosen Erstaunen begrüßten die Matrosen dessen Erscheinen mit einem jubelnden Hurrah! während die Andern mit Thränen der Freude einander in die Arme sanken. Die ganze Lage der Dinge war jetzt klar. Der Nachen ankerte neben einer bis zur halben Höhe von den Fluten bedeckten Werfte und ward durch dieselbe und die darauf stehende Wohnung vor dem Winde geschützt, während noch rings umher der Sturm in gleicher Stärke auf den Wellen tobte und scheinbar noch wilder brauste, indem die an der Werfte vorbei brandenden Wogen eine kleine Strecke hinter dem Boote gegen einander aufwirbelten. Das eine Ende des Seils, das Godber mit hinaufgenommen, hatte er СКАЧАТЬ