Название: Insolvenzstrafrecht
Автор: Gerhard Dannecker
Издательство: Bookwire
Серия: Praxis der Strafverteidigung
isbn: 9783811440494
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Einige Autoren[49] lehnen hier ein überindividuelles Rechtsgut als reinen Schutzreflex ab, der sich aus der Struktur der als abstrakte Gefährdungsdelikte ausgeformten Insolvenzstraftaten ergebe. Der herrschenden Ansicht wird kritisch entgegengehalten, sie verwechsle das geschützte Gut eines Tatbestandes mit dem Anlass seiner Schaffung.[50] Zudem seien Rechtsgutsformulierungen auf einem derart hohen Abstraktionsniveau zur Erfassung der empirischen Relation zwischen deliktischer Handlung und Rechtsgutsbeeinträchtigung ungeeignet. Dadurch werde nicht klärend zur Interpretation des jeweiligen Tatbestandes beigetragen, was jedoch primäre Aufgabe einer Rechtsgutsbestimmung sei.[51] Der Rückschluss von dem durch Insolvenzen verursachten hohen volkswirtschaftlichen Schaden auf das Bedürfnis nach einem überindividuellen Rechtsgut sei schon aus dem Grund nicht valide, weil Quantität nicht in Qualität umschlagen könne. Genauso wenig könne der Schluss von der Schädlichkeit einer Ketten- und Fernwirkung von Insolvenzen für abhängige Unternehmen auf ein überindividuelles Schutzgut überzeugen, denn hier liege nur eine Addition von Einzelschäden vor, bei denen der schuldrelevante Bezug zum Täter unklar sei.[52] Die angeführte Sog- und Spiralwirkung verwechsle außerdem den schädlichen Effekt, den die Nichtbefolgung (irgend)einer Norm hervorrufe, mit dem Schaden, den diese Norm durch Befolgung vermeiden solle. Dadurch setze man die Generalprävention und den Schutzzweck der Norm unzulässiger Weise gleich.[53] Das Argument des verletzten Vertrauens in die Wirtschaft sei schließlich kein spezielles Problem der Insolvenzdelikte, sondern verallgemeinerungsfähig und trage somit nichts zum spezifischen Normverständnis der Insolvenzstraftaten bei.[54]
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Ob neben den gegenwärtigen auch potentielle (zukünftige) Gläubiger als Träger schutzwürdiger Vermögensinteressen auftreten können[55], ist umstritten.[56] Von der herrschenden Meinung[57] wird mit Blick auf die verfassungsrechtliche Legitimation[58] auch ein überindividuelles Interesse am Schutz des gesamtwirtschaftlichen Systems bejaht. Dafür spricht, dass die Insolvenz infolge der starken wirtschaftlichen Verflechtung der Gläubiger untereinander typischerweise einen Dominoeffekt zu Lasten weiterer Wirtschaftssubjekte weit über den Kreis der eigentlichen (aktuellen) Gläubiger hinaus auslöst.[59] Die Tatsache, dass die §§ 283 ff. StGB – anders als reine Vermögensdelikte – ein bloß abstrakt gefährliches Verhalten schon bei einfacher Fahrlässigkeit als strafrechtswidrig einstufen (vgl. etwa § 283b Abs. 2 StGB), ließe sich zudem ansonsten nicht rechtfertigen.[60] Weiter wird zu Recht auf die hohen Schäden und auf die Sog- und Spiralwirkung hingewiesen, die von Insolvenzdelikten verursacht werden bzw. von ihnen ausgehen.[61] Schließlich werde das Vertrauen in das Wirtschaftssystem insgesamt – zumindest aber sektoral – durch solche Delikte verletzt, was dieses in seiner Bestandskraft beeinträchtige und allein schon aus diesem Grund eine erhöhte Schutzwürdigkeit aufweise.[62] Zusammengefasst rekurrieren die angeführten Argumente zum einen auf die mögliche gesamtwirtschaftliche Bedeutung einer einzelnen Insolvenz, zum anderen auf das gestörte Vertrauen in den Kredit als ein notwendiges Instrumentarium einer modernen Wirtschaftsordnung.[63] Hierbei kommt es nicht auf das individuelle Vertrauen der Marktteilnehmer, sondern auf das institutionalisierte Vertrauen an.[64]
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Ob daneben speziell die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft geschützt werden soll, ist umstritten.[65] Der Bundesgerichtshof[66] tendiert dazu, diese Frage zu bejahen. Allerdings ist unklar, welche konkrete Gestalt die Kreditwirtschaft als eigenständiges Schutzgut haben soll. So ist zu bedenken, dass die §§ 283 ff. StGB als echte Sonderdelikte[67] für den tauglichen Täter die Stellung eines Schuldners vorschreiben, der jedoch nur seinen Gläubigern und nicht der Allgemeinheit oder der Kreditwirtschaft gegenüber in einer besonderen Weise verpflichtet ist.[68]
3. Bedeutung der Rechtsgutsdiskussion für die strafrechtliche Praxis
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Die besondere Bedeutung der strafrechtlich geschützten Rechtsgüter über den Bereich der teleologischen Auslegung hinaus ist unbestritten.[69] Trotz einer lebhaften Auseinandersetzung mit diesem Problemfeld in der Literatur blieb bisher ungeklärt, nach welchen Kriterien sich die Bestimmung der jeweiligen Rechtsgüter der Straftatbestände richtet. Teilweise kann auf ein Werturteil der positiven Rechtsordnung abgestellt werden. Dieser Anhaltspunkt hilft mit Blick auf den Regierungsentwurf des 1. WiKG für die Rechtsgutsbestimmung bei den §§ 283 ff. StGB jedoch nicht weiter, da dort die Frage nach weiteren strafrechtlich geschützten Rechtsgütern unbeantwortet geblieben ist.
Den Insolvenzdelikten sind negative überindividuelle Auswirkungen auf das Umfeld des Täters nicht nur immanent, sondern sie sind geradezu typisch für sie. Häufig handelt es sich um Fälle starker Fremdfinanzierung. Eignen sich die Folgen eines Deliktsfeldes generell zur Beeinträchtigung bestimmter Interessen, so verdienen sie – vorbehaltlich des positiven Kontrollmaßstabes normativ zu bestimmender Wertverwirklichung[70] – einen besonderen rechtlichen Schutz. So besteht ein Allgemeininteresse an einer Verhütung übergreifender Gefahren für die moderne Wirtschaft.
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › C. Geschützte Rechtsgüter und Systematik des Insolvenzstrafrechts › II. Systematik der Insolvenzdelikte
II. Systematik der Insolvenzdelikte
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Hinsichtlich des Gegenstands und des Zwecks der Regelung der §§ 283 ff. StGB kann unterschieden werden zwischen den bestandsbezogenen Bankrotthandlungen, durch die eine Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder Verringerung des Vermögensbestands, der im Falle einer Insolvenz zur Insolvenzmasse zählt, herbeigeführt wird, und den informationsbezogenen Bankrottdelikten, durch die der Täter unrichtige Informationen über seinen Vermögensbestand gibt oder die ihm obliegende Darstellung seines Vermögensbestands unrichtig oder überhaupt nicht ausführt.
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › C. Geschützte Rechtsgüter und Systematik des Insolvenzstrafrechts › III. Sonderdelikte
1. Schuldner
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Dem Gesetzeswortlaut könnte man wegen der Verwendung des Wortes „wer“ entnehmen, dass als Täter jedermann in Frage kommt. In Wirklichkeit ist aber – mit Ausnahme des § 283d StGB – der Täterkreis rechtlich auf Schuldner beschränkt, d. h. auf Personen, die für die Erfüllung einer Verbindlichkeit haften[71] und die Zwangsvollstreckung zu dulden haben.[72] Die Schuldnereigenschaft muss zum Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht mehr bei Eintritt der objektiven Strafbarkeitsbedingung gegeben sein. Schuldner kann jedermann sein: nicht nur Kaufleute, sondern auch Privatpersonen kommen in Betracht.[73] Die Tätereigenschaft kann sich daraus ergeben, dass der Handelnde als Schuldner tätig wird. Täter kann ferner sein, wer für den Schuldner handelt. Die Schuldnereigenschaft ist dabei besonderes persönliches СКАЧАТЬ