Название: Mara und der Feuerbringer
Автор: Tommy Krappweis
Издательство: Автор
isbn: 9783964260420
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Maras Mutter löste sich von ihrer Tochter und blickte sie an. »Willst du mir denn gar nicht erzählen, was du erlebt hast, Maraschatz?«
Was mach ich denn jetzt, was mach ich denn jetzt, raste es durch Maras Hirn, während ihre Mutter sie erwartungsvoll ansah.
Da kam ihr ausnahmsweise mal der Zufall zu Hilfe, denn nun wachte der Professor auf und machte dabei ein Geräusch, als hätte er gerade ohne Sauerstoffflasche nach Perlen getaucht.
»Houuuahhh…«, machte er und riss dabei den Kopf so ruckartig hoch, dass er mit dem Hinterkopf gegen die Wand prallte und mit dem Ellbogen eine Vase auf dem Fensterbrett bedrohlich ins Wanken brachte.
»Au, ja varreck!«, stieß Professor Weissinger überraschend bayerisch hervor, während er unbeholfen versuchte, die Vase zu stabilisieren. Es gelang ihm zwar, das Gefäß aufzufangen, aber nicht die Blumen und das Wasser.
Die Damen links und rechts neben ihm quittierten es mit einem Quietschen und der Professor hielt sich mit einer Hand den Kopf, während er mit der anderen die Blumen aufsammelte und mit recht wenig Kompositionswillen zurück in die Vase stopfte.
»Wollen Sie vielleicht Ihre Erfahrungen als Erster mit uns teilen?«, rief Dr. Thurisaz dem Professor fröhlich zu. »Offensichtlich hat das Ganze ja einigen Eindruck hinterlassen, wenn Sie nun nicht mal mehr wissen, wo bei Blumen oben und unten ist.«
Die Wiccas kicherten, der Professor nicht. Stattdessen zog er betont spitzfingerig die Blumen wieder aus der Vase, die er mit dem Stängel nach oben drapiert hatte. Dabei musterte er Thurisaz mit einem seltsamen Blick, den Mara an ihm noch nie gesehen hatte. Doch schließlich sagte er etwas und Mara verstand mal wieder kein Wort. »Ahmad ibn Fadlān ibn al-‘Abbās ibn Rāschid ibn Hammād.«
Dr. Thurisaz war anzusehen, dass er ebenso wenig wusste, wovon der Professor sprach, wie alle anderen. Aber Professor Weissinger ließ sie nicht lange warten. »Ich war Ibn Fadlān, Gesandter des Kalifen al-Muqtadir im Jahr 921 nach Christus und Verfasser des berühmten Reiseberichts zu den Wolgabulgaren und warägischen Rus. Wie auch immer Sie das gemacht haben, ich danke Ihnen für diese Erfahrung und würde jetzt gerne mein Zimmer aufsuchen, um über das Erlebte nachzudenken. Bis morgen.«
Und mit diesen Worten verließ Professor Weissinger doch glatt die Gaststube. Im Vorbeigehen warf er Mara einen kurzen Blick zu, der nichts anderes hieß als »Wir müssen reden!«.
Mara hatte sich natürlich nicht einfach so verabschieden können, wie es der Professor getan hatte. Sie musste erst einmal alle Schilderungen der Wiccas abwarten. Im Gegensatz zu den bisherigen Seminaren war es aber diesmal sogar richtig spannend zuzuhören. Eine der Wiccas musste mit den Tränen kämpfen, als sie schilderte, was sie durch die Augen eines Mädchens in Maras Alter mit ansehen musste: Man schleppte ihre Mutter – eine Wäscherin mit dem Namen Ursula Gatter – fort, um ihr den Hexenprozess zu machen.
Walburga war angeblich in eine alte, gütige Frau geschlüpft, die den Menschen mit ihrer Weisheit half, wo sie nur konnte. Sie erzählte begeistert, wie sie mit einem Häuschen auf riesigen Hühnerbeinen hinter einer jungen Frau hergerannt war, um diese zu beruhigen. Mara war zwar nicht klar, wie man jemanden beruhigen wollte, indem man ihn mit einem Haus auf Hühnerbeinen durch den Wald jagte, aber andererseits war es ihr auch ein ganz kleines bisschen egal.
Allerdings waren alle inklusive Mara sehr überrascht, als Dr. Thurisaz zu den Schilderungen nichts weiter beizutragen hatte als: »Na, dann wünsche ich Ihnen allen einen schönen Nachmittag, vielleicht gehen Sie ja noch ein bisschen spazieren, denn hier ist es wirklich ganz wunderhübsch.« Dann packte er seine Zeitung und das Pausenbrötchen in die Tasche. »Direkt am Starnberger See gibt es ein tolles Fischrestaurant. Fragen Sie doch mal vorne an der Rezeption – ich hab den Namen leider vergessen. Irgendwas mit Starnberg, See und Fisch. Bis morgen!«
»Aber, aber …«, stammelte Walburga. »Was ist denn mit der Nachbereitung?«
»Welche Nachbereitung? Davon steht nichts im Seminarprogramm, meine Liebe«, lachte Thurisaz und ließ die Verschlüsse seiner Ledertasche lautstark einschnappen.
Vor allem Maras Mutter war sichtlich enttäuscht. »Soll das heißen, Sie wollen uns nicht helfen, die Erfahrungen zu deuten?«
»Wie könnte ich«, erwiderte Dr. Thurisaz, während er in seine Jacke schlüpfte. »Ich bin hier nur das Reisebüro. Sie fahren in den Urlaub und nicht ich. Und was Sie da erleben, geht mich nichts an. Abgesehen davon habe ich, ehrlich gesagt, auch keinen blassen Schimmer, was das alles bedeutet, denn ich bin kein Geschichtsprofessor, haha! Aber ist doch schön, dass es so gut klappt. Wir sehen uns morgen wieder, bis dann!« Und weg war er.
Zurück blieb eine völlig verdutzte Wicca-Gruppe. Leise war eine hörbar enttäuschte Stimme aus der hinteren Reihe zu vernehmen. »Er hat uns nicht mal was verkauft …«
Mara war mit ihren Gedanken natürlich ganz woanders und sie war auch froh, dass Mama sie jetzt nicht löcherte, was sie denn erlebt hatte. Stattdessen führte sie ihr Weg direkt vor die Tür von Professor Weissinger. Sie klopfte und es dauerte einen Moment, bis er die Tür öffnete. Sie blickte in zwei Dinge: erstens in ein sehr nachdenkliches Gesicht und zweitens in ein sehr unordentliches Zimmer.
»Wow, wie haben Sie das denn so schnell geschafft?«, fragte Mara und suchte nach einer freien Stelle am Bettrand, auf die sie sich setzen konnte. Sie fand keine.
»Was meinst du?«, murmelte Professor Weissinger abwesend.
Er stapfte zurück zu einem Sessel, den er ans Fenster geschoben hatte, und setzte sich. Dann platzierte er den eingeschalteten Laptop wieder auf seinem Schoß.
»Na, dieses … all diese … egal, was googeln Sie denn?«, lenkte Mara mehr oder weniger geschickt ab und hatte auch noch Erfolg damit.
»Ich google nicht, Mara, ich recherchiere. Und ehrlich gesagt, lassen meine Erkenntnisse keinen anderen Schluss zu, als dass ich tatsächlich im Körper von Ibn Fadlān steckte und nun auch weiß, warum sein Reisebericht nicht vollständig ist. Ich hatte ja mit vielem gerechnet … aber das …«
Mara wartete, bis der Professor weitersprach. Er nahm die Brille ab und kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in den Nasenrücken. »Es kostet mich sehr viel Überwindung, dir jetzt nicht einen ellenlangen Vortrag über Ibn Fadlān zu halten, Mara Lorbeer, und ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«
Mara nickte nur.
»Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, bitte erinnere mich daran, wenn wir das alles durchgestanden haben, ja? Im Moment ist nur wichtig, dass wir nun wissen, dass dieser Dr. Riese keiner der üblichen Scharlatane ist. Wenngleich das natürlich keine Rückführung war – ich maße mir nicht an, mich für die Reinkarnation eines berühmten orientalischen Reiseschriftstellers zu halten. Trotzdem muss ich gestehen, dass dieser Thurisaz wohl wirklich was draufhat.«
Da war Mara allerdings anderer Meinung. »Aber was hat er denn schon groß gemacht? Wir haben doch nur den Vers gelesen und der Rest ist einfach passiert.«
»Aber Mara, woher willst du wissen, dass er nicht das Gleiche gemacht hat wie du auch, als du mich mit in deine Götterwelt genommen hast?«
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