Название: Kartellrechtliche Schadensersatzklagen
Автор: Fabian Stancke
Издательство: Bookwire
Серия: Recht Wirtschaft Steuern - Handbuch
isbn: 9783800593392
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bb) Prozessuale Anforderungen
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Der allgemeine Gerichtsstand juristischer Personen – gegen die kartellrechtliche Schadensersatzklagen im Regelfall erhoben werden – wird durch Art. 63 Abs. 1 EuGVVO bestimmt. Demnach kann die Klage bei der sachlich und funktional zuständigen Gerichtsbarkeit des
a) satzungsmäßigen Sitzes,
b) des effektiven Hauptverwaltungssitzes oder
c) der Hauptniederlassung einer juristischen Person erhoben werden.
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Durch die autonome Bestimmung des Sitzes einer juristischen Person werden Konflikte über die Zuständigkeit vermieden.38 Der Kläger kann zwischen den drei genannten Gerichtsständen wählen.
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Der Wohnsitz einer natürlichen Person kann für einen Regressprozess gegen die für eine Kartellrechtsverletzung verantwortlichen Angestellten eines Unternehmens eine praktische Rolle spielen39 oder aber wenn eine verantwortliche natürliche Person direkt in Anspruch genommen wird. Seine Bestimmung richtet sich gemäß Art. 62 Abs. 1 EuGVVO nach der lex fori. Keine Rolle spielen demnach die Staatsangehörigkeit des Beklagten oder sein gewöhnlicher Aufenthalt.40 Die nach deutscher Rechtslage einschlägigen Regelungen sind in §§ 7ff. BGB zu finden.
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Am allgemeinen Gerichtsstand kann nur dann geklagt werden, wenn der Beklagte tatsächlich über einen zuständigkeitsbegründenden (Wohn-)Sitz im Sinne der Art. 62, 63 EuGVVO verfügt. Es handelt sich dabei um keine sog. „doppelrelevante Tatsache“, deren Vorliegen der Kläger lediglich schlüssig behaupten muss; vielmehr muss das Gericht das Bestehen eines (Wohn-)Sitzes positiv feststellen.41 Der Kläger trägt hierfür die Darlegungs- und Beweislast. Allerdings hat der EuGH das Fehlen von „beweiskräftigen Indizien“ für einen (Wohn-)Sitz des Beklagten außerhalb des Unionsgebiets genügen lassen.42
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Maßgeblich für die Beurteilung der Zuständigkeit ist der Zeitpunkt der Anhängigkeit der Klage; eine später erfolgte Veränderung des Wohnsitzes hat keinen Einfluss auf die Zulässigkeit einer einmal wirksam erhobenen Klage (perpetuatio fori).43 Umgekehrt ist ein im Moment der Klageerhebung unzulässiges Verfahren fortzusetzen, wenn ein Kläger noch vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung durch Wohnsitznahme die Jurisdiktion begründet.44 Hat ein (natürlicher) Beklagter nach der jeweiligen lex fori Wohnsitze in unterschiedlichen Jurisdiktionen, hat der Kläger ein Wahlrecht.45
c) Besondere Gerichtsstände
aa) Maßstabbildung
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Gemäß Art. 5 Abs. 1 EuGVVO kann von dem Grundsatz, dass eine Klage am Beklagtenwohnsitz zu erheben ist, in den von der EuGVVO abschließend geregelten Fällen abgewichen werden. Daraus wird teilweise gefolgert, dass die besonderen Gerichtsstände restriktiv auszulegen seien.46 Auch der EuGH hat wiederholt hervorgehoben,47 dass es sich bei den besonderen Gerichtsständen der EuGVVO um Ausnahmevorschriften handele, die eng auszulegen seien, um den Grundsatz der Klage am Beklagtenwohnsitz nicht auszuhöhlen, um Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit für den Beklagten zu gewährleisten und um einer Häufung der Gerichtsstände zu begegnen.
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In Kartellschadensersatzfällen – zumindest bei Follow-on-Klagen – hat der EuGH indes eine andere Lesart bevorzugt und besondere Gerichtsstände neben dem allgemeinen Gerichtsstand großzügig zugelassen. Insbesondere die Entscheidung Hydrogen Peroxide SA (CDC)48 eröffnet wichtige weitere Zuständigkeiten. Mit den Entscheidungen flyLAL und Tibor-Trans präzisierte der EuGH seine Rechtsprechung und rückte den Gedanken der Vorhersehbarkeit stärker in den Fokus.
bb) Prozessuale Anforderungen – Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen
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Es obliegt dem Kläger, der sich auf die Eröffnung eines bestimmten Gerichtsstandes berufen möchte, die hierfür maßgeblichen tatsächlichen Umstände darzulegen und zu beweisen. Das vom Kläger zu erfüllende Beweismaß richtet sich grundsätzlich nach nationalem Verfahrensrecht.49 Dabei kann ihm die im deutschen Prozessrecht vorherrschende „Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen“ zugutekommen. Doppelrelevant sind nach ständiger Rechtsprechung solche Tatsachen, die sowohl die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründen als auch notwendige Tatbestandsmerkmale des erhobenen Anspruchs sind.50 Für diese Tatsachen reicht zur Begründung der Zuständigkeit ein schlüssiger Vortrag aus – eine Beweiserhebung findet nicht statt, die vorgetragenen Tatsachen werden als wahr unterstellt.51 Ihr tatsächliches Vorliegen wird – bei Bestreiten – dann erst auf Ebene der Begründetheit festgestellt. Der EuGH hat ausdrücklich anerkannt, dass nationale Gerichte in der Lage sein müssen, über ihre Zuständigkeit zu entscheiden, ohne in eine nähere Sachprüfung einzusteigen.52 Danach soll es genügen, dass das Gericht seine Zuständigkeit auf einen Vortrag schlüssiger und erheblicher Umstände durch eine Partei stützen kann.53
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Die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen findet dort ihre Grenze, wo eine Tatsache für die Begründetheit des Anspruchs nicht relevant ist. Nur die notwendige Erheblichkeit einer Tatsache sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit – die Doppelrelevanz – löst die Privilegierung des Klägers aus. Denn im Gegenzug kommt die Beklagtenseite bei tatsächlichem Nichtvorliegen der schlüssig behaupteten Tatsache in den Genuss eines Sach- statt nur eines Prozessurteils.
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Umgekehrt ist das Gericht bei der Prüfung der internationalen Zuständigkeit auch nicht verpflichtet, einen Parteivortrag in Anwendung von § 138 Abs. 2 ZPO, § 288 ZPO oder § 331 ZPO als wahr zu unterstellen.54 Das Gericht kann die Aufklärung der weiteren Details aber dahinstehen lassen, wenn sich die internationale Zuständigkeit aus einer von mehreren Bestimmungen ergibt, deren Voraussetzungen zumindest alternativ erfüllt sind.55
d) Besonderer Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (Art. 8 Nr. 1 EuGVVO)
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Nach der Entscheidung CDC hat der Gerichtsstand des Sachzusammenhangs (auch: Gerichtsstand der Streitgenossenschaft) eine wichtige Bedeutung für die Führung kartellrechtlicher Schadensersatzklagen gegen mehrere Beklagte erlangt.
aa) Grundsatz und Anwendungsbereich
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Gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVVO kann eine Person mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates auch an dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem eine weitere verklagte Person ihren Wohnsitz hat (sog. „Ankerbeklagte“), wenn zwischen den Klagen eine so enge Beziehung besteht, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint. Zweck dieser dem deutschen Verfahrensrecht außerhalb von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO56 unbekannten Verfahrenskonzentration ist die Verhinderung sich widersprechender Entscheidungen. Maßgeblich hierfür ist das Kriterium des Sachzusammenhangs (auch: Konnexität), das aus zwei unterschiedlichen Entscheidungen, die СКАЧАТЬ