Название: Kartellrechtliche Schadensersatzklagen
Автор: Fabian Stancke
Издательство: Bookwire
Серия: Recht Wirtschaft Steuern - Handbuch
isbn: 9783800593392
isbn:
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Vorab eine Übersicht, der – vorbehaltlich einer vorrangigen Gerichtsstands- oder Schiedsvereinbarung – bei grenzüberschreitenden Kartellen eröffneten Zuständigkeiten nach der EuGVVO:
Ort | Normen (EuGVVO) | Kognitionsbefugnis | Anmerkungen | Relevanz | Randnummer |
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Sitz des Beklagten | Art. 4 I, Art. 63 I | Unbeschränkt | Heimatgericht des Beklagten, Zuständigkeit stets gegeben. | *** | 13ff. |
Sitz eines Beklagten als Ankerbeklagter | Art. 8 Nr. 1 | Unbeschränkt | Geklagt werden kann gegen alle Kartellbeteiligten, auch in Regressklagen. Grundlegend: CDC. Seit Skanska Erstreckung zumindest auf Konzernmütter als Ankerbeklagte. | *** | 27ff. |
Sitz des Geschädigten | Art. 7 Nr. 2 (Erfolgsort) | Unbeschränkt | Grundlegend CDC. Geht bei Abtretung nicht über; durch flyLAL und Tibor-Trans etwas unklar geworden. | ** | 70ff. |
Betroffener Markt (Marktort) und Ort des Schadenseintritts | Art. 7 Nr. 2 (Erfolgsort) | Unbeschränkt | Ähnlichkeit zu Art. 6 Abs. 3 Rom II. Fraglich, ob Marktort und Ort des Schadenseintritts kumulativ vorliegen müssen. Entscheidungen: flyLAL, Tibor-Trans | ** | 77ff. |
„Definitiver“ Gründungsort des Kartells | Art. 7 Nr. 2 (Handlungsort) | Unbeschränkt | Wird es in komplexen Fällen selten geben. Entscheidungen: CDC, flyLAL | * | 66f. |
Ort spezifischer Einzelabsprache | Art. 7 Nr. 2 (Handlungsort) | Beschränkt auf Schäden, die durch diese Absprache bewirkt wurden | Grundlegend: CDC | * | 68f. |
Ort der Durchführung einer Kartellabrede unter Verstoß gegen das Marktmissbrauchsverbot (Art. 102 AEUV) | Art. 7 Nr. 2 (Handlungsort) | Unbeschränkt | Ggf. bei einheitlicher Wettbewerbsstrategie – Rücktritt gegenüber dem Gründungsort des Kartells. Entscheidung: flyLAL | * | 75ff. |
a) Anwendbarkeit der EuGVVO
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Die EuGVVO ist auf kartellrechtliche Schadensersatzklagen sachlich anwendbar, weil es sich um „Zivil- und Handelssachen“ i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO handelt.21 Das gilt auch dann, wenn ein Träger von Hoheitsgewalt aufgrund der Entrichtung mutmaßlich kartellbedingt überhöhter Preise eine kartellrechtliche Schadensersatzklage anstrengt22 oder wenn kehrseitig ein solches Verfahren gegen einen (unternehmerisch tätigen) Träger von Hoheitsgewalt eingeleitet wird. Ausgeschlossen werden lediglich Rechtsstreitigkeiten, die im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse stehen.23 Vom Anwendungsbereich ausgenommen sind damit alle Verfahren, in denen es um die öffentlich-rechtliche Durchsetzung des Kartellrechts geht, vor allem also Rechtsmittel gegen behördliche Bußgeld- oder Verwaltungsentscheidungen.
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Sachlich nicht anwendbar ist die EuGVVO auf außergerichtliche Vergleichsverfahren und Insolvenzverfahren (Art. 1 Abs. 2 lit. b EuGVVO) sowie auf Verfahren der Schiedsgerichtsbarkeit (Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVVO).
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Bei einer Regressklage zwischen Gesamtschuldnern ist zu differenzieren. Bei einem Gesamtschuldnerinnenausgleich nach einem behördlich verhängten Bußgeld soll die EuGVVO nicht anwendbar sein, weil der Innenausgleich unter den Kartellbeteiligten seinen Ursprung im hoheitlichen Handeln einer Behörde habe.24 Im Fall eines Innenausgleichs zwischen Gesamtschuldnern, die sich einer Schadensersatzklage von Kartellgeschädigten ausgesetzt sehen, handelt es sich hingegen um eine Zivil- und Handelssache i.S.d. Art. 1 Abs. 1 EuGVVO.25
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Persönlich ist die EuGVVO auf Parteien anwendbar, die ihren Wohnsitz und damit einen allgemeinen Gerichtsstand innerhalb des Hoheitsbereichs der EuGVVO haben.26 Art. 63 EuGVVO bestimmt, dass Gesellschaften und juristische Personen ihren Wohnsitz an dem Ort haben, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Dabei reicht es, dass der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat. Es steht der Anwendbarkeit der EuGVVO nicht entgegen, dass der Kläger aus einem Drittstaat kommt.27 Für Dänemark gilt die EuGVVO nicht unmittelbar, ihre Regelungen werden aber durch einen gesonderten Vertrag überwiegend auch auf Dänemark für anwendbar erklärt.28 Die Zuständigkeit für Beklagte aus sog. „Drittstaaten“29 richtet sich gemäß Art. 6 Abs. 1 EuGVVO mit Ausnahme der dort abschließend aufgezählten ausschließlichen Zuständigkeiten nach den Bestimmungen des nationalen Rechts. Wichtigste ausschließliche Zuständigkeit ist die Parteivereinbarung über die Zuständigkeit nach Art. 25 EuGVVO (Prorogation).
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Weitere Voraussetzung für die Anwendung der EuGVVO ist, dass das Verfahren einen Auslandsbezug aufweist.30 Reine Inlandssachverhalte, bei denen alle Parteien ihren Sitz in dem betreffenden Staat haben und der Rechtsstreit auch keinen sonstigen grenzüberschreitenden Anknüpfungspunkt besitzt, scheiden aus.31 Ein grenzüberschreitender Anknüpfungspunkt soll allerdings schon dann vorliegen, wenn eine nichtdeutsche Partei an dem Rechtsstreit beteiligt ist. Auch sonst wird diese Anwendungsvoraussetzung wenig restriktiv gehandhabt.32 Infolge der wirtschaftlichen Verflechtungen im EU-Binnenmarkt wird der notwendige Drittstaatsbezug jedenfalls bei Klagen aufgrund von Verstößen gegen die Art. 101ff. AEUV, die ihrerseits nur auf Verstöße anwendbar sind, die zu einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels führen können, kaum jemals fehlen.33 So hat das LG München I den Anwendungsbereich der EuGVVO eröffnet, obwohl sowohl die Klägerin, als auch sämtliche Beklagte ihren Sitz im Inland hatten. Das Argument für den Auslandsbezug lautete, dass die Klägerin auch Forderungen ausländischer Zedenten geltend machte und damit der Ort des schädigenden Ereignisses möglicherweise im Ausland am Sitz des Zedenten lag.34
b) Allgemeiner Gerichtsstand
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Eine Klage kann gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVVO stets am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten („Heimatgericht“) erhoben werden. Zugleich hat eine Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten den Vorteil für den Kläger, dass er dort unzweifelhaft seinen Gesamtschaden einklagen kann.35
aa) Maßstabbildung
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Art. 4 Abs. 1 EuGVVO liegen dieselben Erwägungen zugrunde, die auch im deutschen Zivilverfahren zur allgemeinen Zuständigkeit des Gerichts am Sitz des Beklagten führen (§§ 12, 17 ZPO). Derjenige, der als Kläger den rechtlichen status quo ändern möchte, muss sich hierfür zum Beklagten begeben (actor sequitor forum rei). Dem Vorteil des Klägers, der nicht nur das Ob, sondern auch den Zeitpunkt und die Art des Klageangriffs bestimmt, entspricht die Vergünstigung des Beklagten, sich an seinem Heimatgerichtsstand zu verteidigen (favor defensionis).36
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Diese Wertentscheidung kann auf europäischer Ebene zusätzliche Relevanz erlangen. Hier geht es nicht mehr nur um den geografischen Vorteil des Heimatgerichts. Vielmehr gewährleistet der Grundsatz, dass der Beklagte sich vor einer ihm vertrauten Gerichtsbarkeit unter Geltung einer ihm bekannten Verfahrensordnung (lex fori) in einer ihm bekannten Sprache verteidigen kann. Kein Beklagter soll ohne Weiteres in einen Prozess auf unbekanntem Terrain nach unbekannten prozessualen Regeln gezogen werden. Auch vor diesem Hintergrund hat der EuGH die Bedeutung der Grundregel wiederholt hervorgehoben.37
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In kartellrechtlichen Schadensersatzfällen ist die Grundregel von der Klage am Heimatgericht durch eine Reihe von zusätzlichen besonderen Gerichtsständen (siehe sogleich) indes stark modifiziert. Dies erscheint auch richtig, denn bei Kartellfällen ist zu berücksichtigen, dass die Beklagten regelmäßig Unternehmen sind, die sich durchaus in vielen Rechtsordnungen versiert zu bewegen СКАЧАТЬ