Название: Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten
Автор: Holger Dahl
Издательство: Bookwire
Серия: Betriebs Berater-Schriftenreihe/ Arbeitsrecht
isbn: 9783800593781
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Ob letztlich bei einer Umstrukturierung eine interessenausgleichs- und sozialplanpflichtige Betriebsänderung vorliegt, wird in der Praxis jedoch selten gerichtlich abschließend geklärt. Für die Einsetzung einer Einigungsstelle genügt es nach § 100 ArbGG ja, dass diese nicht offensichtlich unzuständig ist. Wenn also eine Betriebsänderung nicht auszuschließen ist, ist eine Einigungsstelle einzusetzen. Die Einigungsstelle hat dann selbst ihre endgültige Zuständigkeit zu prüfen, was sie wiederum in der Regel im Rahmen einer Endentscheidung in der Sache macht. Das wiederum führt dazu, dass Rechtsmittel gegen die Entscheidung der Einigungsstelle statistisch gesehen eher selten sind.
II. Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG
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§ 111 Satz 1 spricht von „Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können“, und Satz 3 davon, dass „als Betriebsänderungen im Sinne des Satzes 1“ die dort aufgeführten Fälle „gelten“. Dies spricht dafür, dass der allgemeine Begriff der Betriebsänderung hier im Satz 1 vorausgesetzt wird und sich nicht allein aus § 111 BetrVG bzw. dem dortigen Satz 3 alleine ergibt.2 Das ist nicht unumstritten, soll weiter unten vertieft werden.
1. Unternehmensgröße von in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern als Grundvoraussetzung der Anwendung von § 111 BetrVG
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Das Gesetz fordert als Grundvoraussetzung für die Anwendung von § 111 BetrVG seit 2001, dass ein „Unternehmen mit in der Regel mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern“ vorliegt. Zuvor war eine entsprechende Betriebsgröße als Voraussetzung normiert gewesen. Auf den Begriff der Betriebsänderung selbst hat das aber keine Auswirkung.3 Hintergrund der Schwelle hier ist der Wille des Gesetzgebers, die wirtschaftliche Belastung kleinerer Unternehmen gering zu halten. Daher wurde folgerichtig hier die Betriebsgröße durch Unternehmensgröße ersetzt.
a) Unternehmen
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Das Unternehmen ist (zunächst) gleichzusetzen mit dem Arbeitgeber im rechtlichen Sinne.4 Das ist in vielen Fällen einfach und schnell zu klären.
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Es gibt aber auch Sonderfälle. Gleichzusetzen mit dem einfachen Grundfall sind auch Fälle, in denen ein Unternehmen an sich die Grenze nicht erreicht, aber an einem Gemeinschaftsbetrieb beteiligt ist, der insgesamt die 21-Personen-Grenze erreicht. Zur Gesetzeslage vor 2001 hatte das BAG dies bereits entschieden. Der jetzige Unternehmensbezug sollte als Verbesserung für die Arbeitnehmerseite dienen, sodass dies auch unter der neuen Rechtslage weiter gelten muss.5 Dies wird auch durch die Auffassung der Rechtsprechung bei § 106 BetrVG (Wirtschaftsausschuss) und § 99 BetrVG (Versetzung) gestützt.6 Falsch hingegen wäre der Umkehrschluss, dass bei zu kleinem Gemeinschaftsbetrieb trotz hinreichender Unternehmensgröße die Anwendung von §§ 111ff. entfallen würde.7 Dies wäre eine Einschränkung entgegen dem Schutzzweck und auch dem Gesetzeswortlaut.
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Im eher seltenen Fall einer unternehmensübergreifenden Vertretungsstruktur nach § 3 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG kann die Vertretungseinheit herangezogen werden.8 Nach hiesiger Auffassung kann dies aber nur hilfsweise erfolgen, wenn die Unternehmensgröße nicht bereits genügt. Es geht ja um eine vom Zweck der Norm her erfolgende Ausweitung der Anwendung über den Wortlaut hinaus (teleologische Traduktion oder analoge Anwendung). Wenn also bereits nach dem Wortlaut die Mindestanforderung erfüllt ist, kann die weitere Prüfung unterbleiben.
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Da die Anwendungsschwelle den Sinn hat, die Belastung von Kleinunternehmen zu vermeiden, wäre es nur logisch, auch den Konzern zu berücksichtigen, wenn er insgesamt hinreichend groß ist, aber eben auch Kleinstgesellschaften hat.9
b) Wahlberechtigte Arbeitnehmer
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Die Frage, wer als wahlberechtigter Arbeitnehmer zu zählen ist, ist nach den normalen Regeln des BetrVG zu prüfen, also den §§ 5 und 7 BetrVG. Wie bei der Betriebsratswahl gehören leitende Angestellte nach Abs. 3 und Personen nach § 5 Abs. 2 (z.B. Geschäftsführer, Vorstände) nicht zu den Wahlberechtigten. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Mutterschutz oder Elternzeit10 sind zu zählen, ebenso wie Aushilfen und Leiharbeitnehmer.11 Im Ausland beschäftigte Mitarbeiter des Unternehmens, die nur vorübergehend außerhalb des inländischen Betriebs beschäftigt werden, sowie diejenigen Arbeitnehmer, die außerhalb der eigentlichen Betriebsstätte auch im Ausland einen dem arbeitstechnischen Zweck des inländischen Betriebs untergeordneten Hilfszweck verfolgen, sind ebenfalls zu zählen (Stichwort Ausstrahlung12). Bei diesem Prüfungsschritt kommt es nicht darauf an, ob und wer von der Betriebsänderung letztlich betroffen ist. Das sieht man insbesondere bei den Leiharbeitnehmern, bei denen man trefflich streiten kann, ob bzw. in welchem Umfang sie im Interessenausgleich und/oder Sozialplan zu berücksichtigen sind.
c) Regelgröße
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Die Zahl der Wahlberechtigten ist nicht an einem bestimmten Stichtag zu zählen, sondern es ist die Regelgröße, also die, die „für das Unternehmen im Allgemeinen kennzeichnend“13 ist, maßgebend. Spitzen und Täler bleiben außer Acht. Bei nur zeitweiliger Beschäftigung kommt es für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob diese normalerweise während des größten Teils eines Jahres, d.h. länger als sechs Monate erfolgt.14 Vorübergehende Vertretungen für abwesende, aber zu zählende Arbeitnehmer werden jedoch herausgerechnet. Das ist insbesondere bei Mutterschutz und Elternzeit relevant.15
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Erfolgt ein Personalabbau in einer Krisensituation schrittweise, dann bleibt § 111 BetrVG auch anwendbar, wenn bei Schritt zwei oder drei isoliert betrachtet die Mindestschwelle unterschritten wäre.16 Das gilt auch, wenn die Schritte nicht von vorneherein geplant sind. Erst wenn sich die Belegschaftsstärke konsolidiert, also verstetigt, ist die neue (im Fall von Personalabbau) niedrigere Zahl zugrunde zu legen. Wenn aber z.B. einer Betriebsstilllegung ein kontinuierlicher Abbau der Belegschaft in kurz aufeinander folgenden Schritten unmittelbar vorangegangen ist, kann dieser zwischenzeitliche Personalabbau für den Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke unbeachtlich sein.17
d) Rechtzeitige Existenz eines Betriebsrats
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Weitere Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 111 BetrVG ist natürlich die Existenz eines Betriebsrats bzw. bei originärer Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG von diesem. Das klingt auf den ersten Blick banal, muss jedoch genauer betrachtet werden, wenn die Betriebsänderung in die Gründungsphase des Betriebsrats fällt.
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Nach noch verbreiteter Auffassung hat die Konstituierung des Betriebsrats erfolgt zu sein, bevor der abschließende Entschluss zur Betriebsänderung durch den Arbeitgeber gefasst wurde.18 In einem Urteil vom 18.11.200319 stellt das Bundesarbeitsgericht (BAG) trotz Bezug auf die vorgenannte Rechtsprechung nur mehr auf den Beginn der Betriebsänderung ab. Das wäre zumindest schon einmal handhabbarer, als auf einen Entschluss abzustellen, der für Außenstehende nie zeitlich prüfbar ist. Beiden Varianten ist jedoch entgegenzuhalten, dass das, СКАЧАТЬ