Der Eindringling. Hermann Christen
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Название: Der Eindringling

Автор: Hermann Christen

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742750112

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СКАЧАТЬ Abend brach herein. Im Gemeindehaus ging im Büro des Gemeindepräsidenten das Licht an. Die Versammlung auf dem Platz murrte und schimpfte jetzt nicht nur über den Bären, sondern auch über den Gemeindepräsidenten. Beide, Bär und Gemeindepräsident, benahmen sich wie Elefanten im Porzellanladen und der einzige Unterschied zwischen den beiden war, dass Koller einen Computer bedienen konnte – oder dies zumindest vorgab.

      Zuerst verließen nur einzelne, dann kleine Gruppen und dann ganze Scharen den Platz. Sie kannten ihren Gemeindepräsidenten. Vor morgen würde er keinen Entscheid mitteilen. Einzig der Wirt des 'zerzausten Löwen' hatte seine helle Freude, denn sein Lokal war seit Stunden gerammelt voll. Der Wirt wünschte sich, dass der Bär noch lange Gesprächsthema bliebe und hoffte, dass Koller den Entscheid bedächtig reifen ließe.

      Mittlerweile waren der Tierarzt und eine ältere, ruhig wirkende Frau aus der Stadt angekommen und zusammen mit Amman in der Amtsstube von Koller verschwunden. Das würde eine lange Nacht werden, freute sich der Wirt. Er kannte die Politik: je mehr Leute zusammen ein Problem besprachen, desto länger dauerte die Besprechung und umso geringer war die Wahrscheinlichkeit, dass eine Lösung gefunden wurde. Von ihm aus hätten noch mehr Gesprächspartner in der Amtsstube des Gemeindepräsidenten sein können.

      "Ich glaube, hier passiert nichts mehr", vermutete Eichhörnchen.

      Merlin, der sich aufgeplustert hatte und vor sich hindöste, schrak hoch und nickte.

      "Ich geh jetzt", sagte Eichhörnchen.

      Es beneidete Merlin um dessen wärmendes Gefieder. Es selber war klatschnass und sein buschiger Schwanz, auf den es so stolz war, sah aus wie eine Zahnbürste, die schon viel zu lange im Gebrauch war.

      "Du hast recht", stimmte Merlin zu.

      Merlin schüttelte sich. Der Tag hatte ihn mitgenommen. Das Beste daran war, dass das Problem jetzt bei den Menschen lag und dass sie im Wald zur Normalität zurückkehren konnten.

      "Nacht", nuschelte er.

      Eichhörnchen ärgerte sich, weil Merlin nach dem knappen Gruß in die Dämmerung flog.

      'Hätte mich wenigstens nach Hause begleiten können', ärgerte es sich.

      Es eilte auf dem Feldweg zum Wald zurück. Der Nieselregen machte Pause und ein blasser Halbmond guckte verwundert zwischen den ziehenden Wolken hindurch. Der Feldweg lag leer und verlassen da. Keine Biker mit verzerrten Gesichtern und überhöhter, von überspanntem Ehrgeiz gepeitschter Geschwindigkeit oder fröhliche, halb blinde Rentner auf E-Bikes. Biker und Rentner waren eine Art Nahtoderfahrung für unvorsichtige Kleintiere!

      Der Weg führte über den kleinen Hügel vor dem Dorf, an der Kapelle vorbei und dann in gewundenen Kurven in den Wald hinein. Auf halber Höhe vernahm es ein Geräusch, als ob starker Herbstwind durch einen Holzstapel fegte. Ein hohes, nerviges Summen, das wie eine Welle lauter und leiser wurde. Eichhörnchen stoppte seinen Lauf.

      'Seltsam, es ist doch windstill.'

      Lauschend verharrte es. Jetzt war es wieder ruhig und Eichhörnchen setzte sich erneut in Bewegung. Es erreichte den Hügel und sah den Wald, der in seiner stummen Dunkelheit Sicherheit und Ruhe versprach. Einige Wolken, die es sehr eilig hatten, schoben sich vor den Mond und tiefe Dunkelheit breitete sich über der Landschaft aus. Eichhörnchen hatte keine Lust, in die regennassen Gräser zu geraten und ging vorsichtig weiter, bemüht auf dem einigermaßen trockenen Feldweg zu bleiben. Ein Schatten strebte neben ihm in die Höhe.

      "Schon bei der Kapelle', dachte Eichhörnchen erleichtert, 'ist nicht mehr weit.'

      Es war bereits an der Kapelle vorbei, als das Geräusch wiedereinsetzte. Es war, als ob die Erde wimmerte. Eichhörnchen fürchtete sich nicht vor Geräuschen! Trotzdem kauerte es sich dicht an den Boden und spitzte die Ohren. Das Geräusch kam nicht aus dem Boden, sondern aus der Kapelle. Jetzt rasselte es, als ob eiserne Ketten aneinandergeschlagen würden.

      'Alex' Stimme!'

      Eichhörnchen kannte die Gerüchte über die Kapelle. Es wusste, dass irgend so ein Kerl hier eingesperrt war, bis man ihn hängte. Alex hieß er. Und man erzählte, dass seine Seele im Verlies unter der Kapelle herumgeisterte und jammerte, weil er in der Hölle schmoren musste. Eichhörnchen schüttelte trotzig den Kopf.

      "Menschengeschwätz. So etwas wie Geister gibt es nicht!"

      Plötzlich fiel ihm ein, dass der Bär hier eingesperrt war.

      'Kann ein Bär, so ein riesiges Ding, solch jämmerliche Töne von sich geben? Oder wird er von Alex gequält? Der soll ja ziemlich handgreiflich gewesen sein, wie man so sagt.'

      Der Mond hatte wieder eine Lücke zwischen den Wolken erobert und beleuchtete das alte Bauwerk. Eichhörnchen erkannte den Turm und das verwitterte Dach der Kapelle. Vorsichtig näherte es sich. Das Jammern kam aus dem vergitterten Loch, das seitlich an der Mauer zu sehen war. Es wirkte wie ein schwarzer, gieriger Schlund.

      'Dürfte wohl der Lichtschacht der Krypta sein.'

      Das Wimmern kam ohne Zweifel aus dem Schacht. Argwöhnisch spähte es in die Dunkelheit hinab. Wenn da ein Geist wäre, dann würde es ihn sehen. Geister, so wusste es, sahen aus wie leuchtender Nebel. Aber da war kein Nebel und erst recht kein Leuchtender. Es war stockdunkel. Eichhörnchen hielt sich am Gitter fest und beugte sich in die Schwärze. Lange starrte es in die Dunkelheit, bis es im fahlen Licht des Mondes eine Bewegung unter sich erkannte. Der große, wimmernde Schatten war der Bär. Eichhörnchen hatte genug gesehen und kletterte zurück. Langsam machte es sich auf den Weg nach Hause. Der Mitleid erregende Zustand des Großen da unten machte ihm trotz allem zu schaffen. Es lachte grob auf: 'Jetzt weiß ich, was "er-Bär-mlich" bedeutet: es hockt da unten in der Krypta.'

      Sein Lächeln gefror im Gesicht. Es war falsch, Witze über die verzweifelte Gestalt da unten im Loch zu reißen. Verzweifelt - und einsam.

      Die sanfte Morgensonne drang durch den Luftschacht und warf einen hellen, scharfen Fleck an die Wand. Das Licht gab ihm die Zuversicht zurück. Er musste irgendwie hier rauskommen. Er schluchzte noch ein paar Mal auf und erkundete den Raum erneut. Vielleicht war ihm am Vorabend etwas entgangen. Ein Riss, eine Geheimtür oder sonst etwas in der Art. Er tastete die Wände ab, drückte mal hier, mal dort, rüttelte am Gitter. Er fand keinen Weg aus dem Gefängnis. Der einzige Weg nach draußen führte durch das eiserne Tor und über die Treppe. Sein Magen verlangte knurrend nach einem Frühstück. Wo war sein Rucksack? Da waren zwei Kräcker drin und er konnte sich mit seinem Fotoalbum trösten. Achtmal durchschritt er mit scharfem Blick den Kellerraum. Der Rucksack war nicht da. Nur Müll: Plastikflaschen, Papierfetzen, Zigarettenstummel – aber kein Rucksack.

      'Wäre ich ein Mülleimer, ich hätte genug zu futtern…'

      Verbittert hockte er sich in die Ecke und starrte auf den Durchgang. Er ordnete den letzten Tag in seinem Kopf. Irgendwann würde sicher jemand vorbeikommen. Das hoffte er wenigstens.

      Eichhörnchen hatte schlecht geschlafen. Ob vor Aufregung oder weil ihm der verzweifelte Bär nicht aus dem Kopf ging, wusste es nicht. Müde grübelnd knabberte es ein paar Nüsse. Der Himmel war immer noch düster, aber es regnete nicht mehr. Unschlüssig zwinkerte es in den Himmel. Der Bär – die Menschenmenge gestern Abend – Merlin – der Bär – immer wieder der Bär. Eichhörnchen war fasziniert von der kraftstrotzenden Gestalt des Riesen. Da steckte nicht nur ein Bäume killender Rabauke drin. Da war es sich sicher. Unvermittelt war es auf dem Weg zur alten Kapelle

      Völlig СКАЧАТЬ