Als der Fluss zu Staub zerfiel. Sabine Walther
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Название: Als der Fluss zu Staub zerfiel

Автор: Sabine Walther

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783742772602

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СКАЧАТЬ Ach herrje, wer hat denn das Foto gemacht?“

      „Na ich, weißt du nicht mehr?“

      „Stimmt, du warst ja daaa …“

      Warum zog sie die Vokale so in die Länge.

      „Selbst schon Frau Doktor, während ich gerade mit Ach und Krach den Magister schaffe, tss.“

      „Ach Jenny, fang nicht wieder damit an. Ich hatte es einfach leichter.“

      „Nein“, sagte Jenny traurig, „du hattest es nicht leichter. Du warst besser. Und bist einfach abgehauen. Mit dir zusammen hätte ich es geschafft.“

      Saletta antwortete nicht. Sie hatte ja recht. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie aufs Internat gekommen, aber wann immer sie konnte, war sie bei Jenny und ihrer Familie zu Gast. Erst als sie zu studieren begannen, trennten sich ihre Wege; Jenny besuchte eine staatliche Universität, studierte Literaturwissenschaft und brachte sich mit vielen Gelegenheitsjobs über die Runden; Salettas Weg führte auf eben jene Elite-Hochschule, an der ihre Eltern ihr bereits einen Platz gesichert hatten und an der sie für 20.000 Euro im Jahr Geschichte und Mediävistik studierte.

      Alles war für sie vorbereitet, nicht einmal selbst bewerben musste sie sich. Die Hochschule trat von sich aus an sie heran. Saletta hatte sich nie darüber gewundert, es erschien ihr selbstverständlich. Ihre Eltern waren immer Meister darin gewesen, sie wegzuorganisieren, wie sie es nannte. Und da sie sowohl reich als auch von besonderem Ruf waren, wurden sie in ihrer Welt stets mit offenen Armen empfangen.

      Ihr selbst erging es nicht anders. Wohin sie auch kam, ihr Name provozierte die übliche Frage: „Sind Sie etwa die Tochter von …“ Auch dies änderte sich endlich, nachdem sie Sascha geheiratet und seinen Namen angenommen hatte. Aber bis dahin empfand sie ihre ewige Bevorzugung als so ungerecht, dass sie sich Jenny gegenüber schämte. Andererseits war sie es ihren Eltern schuldig, zumindest ein gutes Studium abzuleisten. Denn trotz aller Härte und Kälte, trotz der großen Wut, die sie ihnen gegenüber verspürte, hatte sie es sich selbst nie vergeben, dass sie im Streit auseinandergegangen waren.

      Später war Jenny dann in Kreise geraten, die Saletta äußerst suspekt schienen, traf sie sich mit Studenten, die sich als aufsteigende Sterne am Dichterhimmel betrachteten und nach langen Zügen an kreisenden Joints zu der überragenden Erkenntnis gelangten, dass es an der Zeit sei, jegliche Form zu überwinden, um zum Kern der Dichtung vorzustoßen. Ein Kern, der unsagbar sei, also gleichsam der Tod des Dichters.

      Was wiederum dazu führte, dass man die Ansicht verkündete, der beste Dichter sei der, der gar nicht schreibe, weil er sich selbst überwinde und damit auch die Form, den Zwang, die Diktatur des leeren Blattes, die zu Fehlinterpretationen führende Rezeption des Lesers. Oder einer, der früh Selbstmord beging. Was ungefähr der Hälfte der Mitglieder der Verbindung dann nach und nach auch gelang, indem sie sich zu Tode soffen oder spritzten.

      Jenny hatte sie des Öfteren zu ihren Treffen eingeladen, aber Saletta konnte ihren Abscheu vor dieser Art, sich aus dem Leben zu drücken, nie überwinden. Am meisten widerten sie die Kerle aus den gutbürgerlichen Elternhäusern an, für die das alles nur eine spätpubertäre Episode war, ein Alibi, das Zeugnis, einmal gelebt zu haben, bevor man zurückkehrte und die Ansprüche der Eltern sittsam erfüllte.

      Die meisten, die starben, hatten ein solches Zurück allerdings nie gekannt, hatten niemanden, der sie rausboxte, konnten nicht in ihr Zimmer im Elternhaus zurück, sich die Wäsche reinwaschen, sich das zweite oder dritte Studium finanzieren lassen. Sie waren wie Jenny ohne Unterstützung durch den elterlichen Geldbeutel und ohne Beziehungen innerhalb der akademischen Welt auf sich allein gestellt. Saletta hatte Jenny angefleht, auf sich achtzugeben, aber rausgeholt hatte sie die Freundin nicht.

      „Sanna?“

      Saletta hatte fast vergessen, dass Jenny ihr noch gegenübersaß. So ging es ihr häufig in letzter Zeit, seit sie Abend für Abend am PC hockte, nicht mehr ins Institut ging, keine Verabredungen mehr traf; sie fiel einfach in ihre Gedanken und vergaß, dass sie gerade einen Topf mit Milch auf den Herd gestellt hatte oder warum sie die Gießkanne in der Hand hielt. Jenny stand auf und setzte sich neben sie auf das alte bordeauxfarbene Kanapee.

      „Sanna“, sie berührte sanft ihr Haar, „bitte sprich doch mit mir.“

      Saletta goss Rotwein nach, fasste sich.

      „Schon gut“, sagte sie. „Ich lebe noch. Ich funktioniere. Ich habe nicht vor, vom Dach zu springen.“

      „Sondern?“, fragte Jenny mit lauernder Stimme. „Was hast du dann vor?“

      Saletta deutete auf den schweren Schreibtisch, den Sascha ihr zum 25. Geburtstag geschenkt hatte. Sie hatten einander gerade kennengelernt und er hatte den Schreibtisch für sie auf einer Auktion ersteigert und ihn persönlich in den fünften Stock getragen, in ihre kleine Singlewohnung, in der sie so glücklich miteinander gewesen waren. Nur ein Jahr später war dann Mascha zur Welt gekommen und sie hatten beschlossen, zu heiraten. Und auch im neuen Heim hatte der Schreibtisch natürlich nicht fehlen dürfen.

      Der Laptop war eingeschaltet, drum herum lagen Papiere, Notizen, Kritzeleien, mit Fragezeichen verzierte Aussagen. Neben dem Schreibtisch die Manuskripte, die für das Institut zu bearbeiten waren.

      „Arbeit“, sagte sie, „es gibt viel zu tun.“

      „Und woran arbeitest du gerade?“

      „Boccaccio.“

      „Ist nicht wahr.“

      „Doch.“

      „Aber du wolltest doch nie …“

      „Nicht, was du denkst. Mit meinen Eltern hat das nichts zu tun. Reiner Zufall. Das Institut hat mich beauftragt. Nur eine Einleitung zu den neu gefundenen Handschriften vom Dekameron.“

      „Ach so.“

      Jenny schien unzufrieden.

      „Ich dachte schon, du hättest den Auftrag deiner Eltern nun doch noch angenommen“.

      Sie grinste.

      „Ich liebte deine Eltern, weißt du?“

      „Ja, sicher. Vielleicht hätten sie dir den Auftrag erteilen sollen.“

      Jenny wurde ernst.

      „Nein, du bist die Auserwählte“, sie sah die Freundin an und lächelte. „Das habe ich früh akzeptiert.“

      „Ja“, sagte die bitter, „ich bin die glückliche Auserwählte.“

      Wieder schwiegen sie. Jenny zündete sich eine weitere Zigarette an.

      „Was ist aus deinem Dichter-Freund geworden?“, fragte Saletta.

      „David hieß er, oder? Seid ihr noch zusammen?“

      „Er ist tot“, antwortete Jenny und ergriff mit der rechten die linke Hand, als wolle sie sich selbst trösten.

      „Verzeih ...“

      „Ist doch nicht deine Schuld. Er liebte das Meer. Er wollte es beschreiben und konnte es nicht. Wollte Erfahrungen sammeln.“

      „Und СКАЧАТЬ