Rückkehr nach Strapen. Stefan Raile
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Название: Rückkehr nach Strapen

Автор: Stefan Raile

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783748560494

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СКАЧАТЬ umkrallte das Seilende. Wir zogen, langten nach. Eine Welle überrollte ihn. Dann noch eine. Endlich war er am Wall, wir halfen ihm hoch. Er hing schlaff in unsren Armen und rang nach Luft.

      „Zu den LKWs!“, befahl Doblin.

      Sie standen oben auf der Straße. Wir trugen Müller hin und legten ihn auf eine Sitzbank.

      Der Sanitäter fragte: „Schmerzen?“

      „Nein.“

      „Die anderen machen weiter“, entschied Mergelt.

      Wir gingen auf unsre Plätze. Erneut flogen die Sandsäcke von Mann zu Mann. Meine Arme wurden gefühllos, aber sie bewegten sich unablässig: fangen, werfen, fangen. Der Regen peitschte, das Wasser gurgelte und wogte. Es brandete gegen die verstärkten Pfeiler, prallte von ihnen ab und quirlte unter der Brücke hindurch.

      Wir arbeiteten lange. Das Scheinwerferlicht verblasste. Fahlgrau kroch der Morgen über die Hänge.

      Endlich rief Mergelt: „Pause!“ Der Wind fetzte ihm das Wort von den Lippen. Er formte die Hände wieder zum Trichter und schrie noch einmal: „P-a-u-s-e!“

      Wir tappten zu den LKWs. Müller hockte im Fahrerhaus und lächelte unsicher. „Ich konnte nicht mehr“, sagte er, „war fix und fertig.“

      Ich bin‘s auch, dachte ich. Schlafen müsste man, sich einfach hinhauen und schlafen. Ich merkte, wie mir langsam meine Lider über die Augen rutschten, als Mergelt sagte: „Ihr wart gut. Wenn wir noch eine Weile ranklotzen, wird der Wall halten. Aber jetzt wollen wir uns erst mal stärken.“ Er griff in seinen Brotbeutel und holte eine Schnapsflasche heraus. „Nur Gläser hab ich keine.“

      „Macht nichts“, meinte Dudky. „Wir leiden alle an der gleichen Krankheit.“

      „So? An welcher denn?“

      „Brand, Genosse Leutnant.“

      Mergelt lächelte, öffnete den Verschluss und reichte Müller die Flasche. Der nahm einen Schluck daraus und gab sie an Dudky weiter. Ich sah, wie der schon beim Trinken genüsslich sein Gesicht verzog und hörte dann, dass er mit der Zunge schnalzte. „Bei meiner Seele“, sagte er, „solch köstlicher Tropfen hat lange nicht meinen Gaumen gekitzelt.“

      Während die Flasche reihum ging, beobachtete ich die anderen. Der Alkohol wirkte bei allen, die abgespannten Gesichter belebten sich. Ich dachte: Woher hat er bloß den Schnaps?

      Auch ich spürte, wie mir wärmer wurde.

      Als Sigi die Flasche an den Mund führte, sagte jemand hinter uns: „Mir scheint, hier wird gezecht anstatt gearbeitet!“

      Ich drehte mich um und erkannte Sawade, den Kompaniechef, der auf dem B-Krad die Einsatzstellen abfuhr. Sigi ließ seine Hand sinken.

      „Genosse Hauptmann“, meldete Mergelt, „erster Zug bei einer kurzen Rast. Die Genossen müssen ein paar Minuten verschnaufen, sie haben geschuftet wie Berserker.“

      „Die Pause geht in Ordnung“, stimmte Sawade zu, „aber nicht der Alkohol. Sie sind im Dienst!“

      „Ich weiß“, erwiderte Mergelt. „Doch extreme Bedingungen rechtfertigen Ausnahmen, meine ich. Oder soll ich zusehen, wie die Genossen Soldaten aus den Stiefeln kippen?“

      2

      „Du bist so schweigsam“, sagt Mergelt. „Überlegst wohl?“

      „Ein bisschen.“

      „Ihr Schriftsteller seid verrückte Menschen: Könnt ihr mal kein Blatt bekritzeln, müsst ihr wenigstens meditieren.“

      „So schlimm ist‘s nicht“, widerspreche ich. „Aber manchmal findet man wirklich keine Ruhe. Dann kommt einem alles Mögliche in den Sinn. Sogar Geschehnisse, die längst vergessen schienen.“

      „Was ist dir denn eingefallen?“

      „Der Einsatz an der Brücke. Erinnerst du dich?“

      „Natürlich“, entgegnet er. „Sogar sehr gut. Für mich gab es nämlich noch ein Nachspiel. Sawade hat mir gehörig die Leviten gelesen und von einer Bestrafung wohl nur mit Rücksicht auf unsere Leistung beim erfolgreichen Hochwassereinsatz an der Gottleuba Abstand genommen.“

      „Er hatte sich schon vor Ort tüchtig erregt“, sage ich. „Warum eigentlich?“

      „Bei Alkohol sah er immer rot“, erklärt Mergelt. „Er lebte völlig abstinent und glaubte, dass gleich die Kampfkraft der gesamten Kompanie untergraben würde, wenn mal jemand einen übern Durst trank. Sonst war er ein Vorgesetzter, wie man ihn sich wünscht: klug, konsequent, gerecht. In vielen Bereichen auch tolerant. Bloß bei Alkohol verstand er keinen Spaß. Und gegen Frauen hatte er was. Aber das lag an seiner Vergangenheit, vermute ich. Er hatte zwei Jahre im Maquis gekämpft. Da man ihn zu Hause für tot hielt, heiratete seine Verlobte einen anderen. Er kam wohl nie richtig darüber hinweg und blieb deshalb Junggeselle. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er diesen Status von allen Offizieren verlangt.“

      „Ich finde, er war zu rigoros“, erwidere ich. „Allerdings hatte er Erfolg damit. Du bist anders vorgegangen. Doch deine Erfolge waren nicht geringer, eher größer. Nun frage ich mich: Müssen Vorgesetzte unnachgiebig sein oder nicht?“

      Mergelt biegt in einen sandigen Weg ab. Links und rechts wachsen Büsche. Sie haben kleine, staubige Blätter. „Es kommt auf die Umstände an“, entgegnet er. „Und auf die Soldaten. Man muss wissen, wieviel man ihnen zumuten darf. Ebenso, was unter bestimmten Umständen gut für sie ist. Selbst dann, wenn einen keine Dienstvorschrift deckt.“

      „Also stehst du zu deinem Verhalten an der Brücke?“

      „Ja“, bestätigt er. „Ich habe nie zu denen gehört, die alles nach Schema F machen wollen. Es muss eine Spanne für die Individualität bleiben, meine ich. Damals hast auch du es gefordert. Siehst du‘s inzwischen anders?“

      „Nein“, antworte ich. „Nur ist es komplizierter, als ich es mir vorgestellt hatte.“

      „Bei der Armee ist‘s nie einfach“, sagt er. „Schon deshalb nicht, weil viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Das schafft immer Probleme. Als Offizier ist man dafür verantwortlich, dass sie gelöst werden. Oft ist das recht schwierig. Sicher, man kann Befehle erteilen; doch es müssen die richtigen sein. Deshalb braucht man Übersicht und Erfahrung. Auch Fingerspitzengefühl. Die Situationen sind nie gleich.“

      Damals hatte ich es nicht so gesehen. Man urteilt aus dem eigenen Blickwinkel und kann sich schwer in eine fremde Haltung versetzen. Fredi gelang es besser. Das wurde mir bewusst, als wir uns während des Einweisungslehrgangs trafen. Er war mit seiner Verlobten auf der Durchreise. „Ich fasse es kaum“, sagte er am Bahnhof von Wehlen. „Du in Uniform! Als ich deinen ersten Brief aus der Kaserne erhielt, wollte ich es fast nicht glauben.“

      „Weshalb nicht?“, fragte ich. „Man empfindet nicht immer genauso, wie es scheint. Manchmal fehlt für einen Entschluss nur der letzte Anstoß. Und den habe ich auf der Landeskrone bekommen.“

      Wir stiegen zur Elbe hinab. Die Verlobte ging zwischen uns. An der Uferpromenade setzten wir uns auf eine Bank. СКАЧАТЬ