Als Erich H. die Schule schwänzte. Hans-Georg Schumann
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Название: Als Erich H. die Schule schwänzte

Автор: Hans-Georg Schumann

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783742773463

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      »Ich bin gerade dabei«, wollte er sagen, aber er schwieg erneut und ließ sie weiterreden. »Wieso geht ein Lehrer nicht zum Unterricht, obwohl es sein Job ist, obwohl er dafür bezahlt wird?«

      Nun konnte er sich nicht mehr zurückhalten. »Wieso dürfen Arbeiter blau machen, wieso dürfen Schüler schwänzen«, fragte er, »und warum Lehrer nicht?«

      »Da ist was anderes: Schüler müssen in die Schule. Und keiner fragt, ob sie es auch wollen, es gibt ja Schulpflicht. Sie kriegen nichts dafür außer der Drohung, dass sie sonst später keinen Job bekommen. Aber wenn sie dann endlich wieder draußen sind, sehen sie, dass die Drohung gar nicht stimmt. Sie kriegen auch dann nur vielleicht einen Job. Und wenn, dann meistens einen schlechteren als den, von dem sie geträumt haben.«

      »Die Schule«, versuchte Erich dagegen zu halten, »kann nichts dafür, wenn du nach deinem Abschluss nicht den Beruf erwischst, den du gern möchtest. Die Schule kann nur versuchen, dir möglichst viel Grundwissen zu vermitteln, damit du bessere Karten ...«

      Hülya unterbrach ihn und er ließ es zu.

      »Ich wollte nie in die Schule. Na gut, eine Zeit lang wollte ich. Aber dann wurde es immer öder und langweiliger. Es war immer weniger zum Aushalten. Da fing ich an zu schwänzen. Erst mal nur ganz selten. Keiner hat was gemerkt. Damals nahm es mein Klassenlehrer nicht so genau mit dem Fehlen, er kontrollierte die Entschuldigungen nicht oft. Und inzwischen ist es eben eine ganze Menge Zeit geworden, die ich schwänze.«

      Erich hatte keine Lust, Hülya von irgendetwas zu überzeugen. Er kannte den Spruch »Man lernt nicht für die Schule, sondern für das Leben« und wusste, dass genau das Gegenteil der Fall war.

      Als Mitglied der Gruppe, die dafür zuständig war, dass Schüler möglichst viel aus der Schule fürs Leben mitnahmen, wusste er sich nicht zu verteidigen. Und so machte er einfach nur »Hm.«

      »Ich weiß, warum ich schwänze«, fuhr Hülya inzwischen fort, »Weil es für mich Zeitverschwendung geworden ist, in die Schule zu gehen. Andererseits: Ich gehe eigentlich gern in die Schule. Irgendwie ist es da schön. Ich treffe Menschen, mit denen ich was anfangen kann, reden, Probleme klären, Spaß haben. Ich gehe in die Schule wegen den Schülern und einigen Lehrern, nicht wegen dem Unterricht.«

      Hilflos ließ Erich zu, wie Hülya ihm ein Armutszeugnis ausstellte. Er kam sich plötzlich wie ein begossener Pudel vor. Jahrzehnte hatte er unterrichtet. Und dann kam eine Schülerin und erzählte ihm, dass sie auf den ganzen Unterricht verzichten könne.

      Das Schlimme war, dass sie nicht die einzige war, die so dachte. Sie gab nur eine Meinung wieder, die sich unter Schülern weit verbreitet hatte. Das Schlimme war, das er es die ganzen vielen Jahre über wusste.

      »Da war also mein ganzer Unterricht überflüssig«, versuchte er zu witzeln. Doch obwohl er die folgende Antwort erwartet hatte, musste er doch kräftig schlucken, als er sie wahrnahm. Sie war sehr kurz: Hülya nickte nur, aber mehrmals.

      Doch dann milderte sie ihre Antwort ab: »Nicht alles, aber vieles«, sagte sie und schaute ihn an. »Zu viel«, erwiderte Erich niedergeschlagen.

      Hülya schien seine Stimmung zu bemerken und war nun sichtlich bemüht, irgendetwas Tröstendes zu sagen.

      »Ich meine, der meiste Unterricht ist nutzlos, aber nicht die Lehrer. Nicht alle, besonders Sie nicht. Ich gehe in die Schule auch wegen einigen Lehrern, also auch wegen Ihnen.«

      Sie schwieg einen kurzen Moment, dann fuhr sie fort: »In der Schule ist Leben, es ist sogar oft schöner als das da draußen. Ich glaube, dass viele Schüler gern länger in der Schule bleiben würden. Auch wenn sie nach ihrem Abschluss so tun, als wären sie froh, endlich draußen zu sein.«

      Erich war da nicht so sicher. »Meinst du?«, fragte er nachdenklich. Bisher hatte er eher das Gefühl, die Schüler wären froh, mit ihrer Schulausbildung fertig zu sein, um sich ins echte Leben zu stürzen – was immer das war. Jedenfalls hatte er in Elterngesprächen weder einen Vater noch eine Mutter gehört, die sich nach ihrer Schulzeit zurücksehnten.

      »Ist doch klar«, sprach Hülya weiter, »was kann einem in der Schule schlimmstenfalls passieren? Man kriegt eine Fünf, oder sogar eine Sechs. Oder gleich ein paar von jeder Sorte. Man bleibt sitzen, muss ein Schuljahr in einer anderen Klasse wiederholen. Und? Im wirklichen Leben kann man seinen Job verlieren, muss dort wahrscheinlich ganz schön schuften. Und vielleicht hat man bei der Arbeit sogar mal einen schweren Unfall.«

      »Da malst du das wirkliche Leben aber schwarz«, hielt Erich jetzt dagegen, »Denn die meisten Menschen sind nicht in der Schule, und viele von ihnen kommen eigentlich da draußen, im wirkliche Leben, ganz gut zurecht. Ich als Lehrer möchte mit keinem Schüler tauschen.«

      Hülya zuckte mit den Schultern, schwieg aber.

      »Und was ist mit Geld?«, sprach Erich weiter, »Immer nur Schüler bleiben heißt auch, kein eigenes Einkommen haben. Irgendwann muss man das Gelernte ja mal einsetzen. Und dabei kann man eine Menge Geld verdienen. Als Schüler jedoch ist man auf das Geld seiner Eltern angewiesen.«

      Hülya schwieg noch immer. Irgendwie verunsicherte sie das, was Hoofeller sagte. Dazu fiel ihr auf, dass sie die Schule als Lebensraum verteidigte und gleichzeitig häufig schwänzte.

      »Was ist?«, fragte Erich, dem ihr nachdenkliches Schweigen auffiel. »Ich muss mir da einiges durch den Kopf gehen lassen«, sagte sie langsam und stand auf. »Außerdem muss ich jetzt gehen.«

      »Du kannst gern wiederkommen«, meinte Erich. »Wenn du willst«, fügte er dann eilig hinzu.

      Hülya nickte. Erich begleitete sie zur Tür und half ihr in die Jacke. »Auf Wiedersehen, Und gute Besserung«, meinte sie augenzwinkernd, sodass Erich schmunzeln musste. »Komm gut nach Hause!«, sagte er.

      09

      Darüber hatte Erich noch nie nachgedacht: Eine Schule nicht als Ort des Lernens, sondern nur als ein Treffpunkt, vielleicht ein Ort der Kommunikation. In einer solchen Schule könnten es Schüler und Schülerinnen wie Hülya zum Aushalten finden. Lediglich der Unterricht ist und bleibt mehr oder weniger überflüssig.

      »Aber wäre dies denn wirklich schlecht?«, sagte er plötzlich laut. Und erschrak zugleich, weil er damit seinen Beruf infrage stellte.

      Man trifft sich, kommuniziert miteinander, mischt Ernst und Spaß. Schule als Ort zum Spielen und Lernen. »Dann wären die Lehrer doch nicht überflüssig.« Immerhin hatte Hülya gesagt, sie sei gern in der Schule – auch wegen einiger Lehrer. Und hatte ausdrücklich ihn dazu gezählt.

      Die Idee einer Schule, die ganz anders ist als die Pflichtschulen, in die unzählige Schüler tagein tagaus gingen, gab es schon lange. Doch während vor allem jüngere Kollegen zum Teil über völlig neue Systeme diskutierten, für die aktuelle Schulen dichtgemacht werden müssten, hatte Hülya offenbar eine viel einfachere Lösung parat.

      »Wenn man das als Basis nimmt«, sagte Erich auf dem Weg zur Espressomaschine, »dass Schüler sich in der Schule geborgen fühlen, nicht als Institution, sondern als Aufenthaltsort, könnte man darauf etwas Neues aufbauen.«

      Er schaltete die Maschine an. Deutlich hörbar begann die zu rumoren und sich auf ihre kommende Arbeit vorzubereiten.

      »Bloß, welche Rolle spielen dabei die СКАЧАТЬ