Auf Biegen oder Brechen. Thomas Hölscher
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Читать онлайн книгу Auf Biegen oder Brechen - Thomas Hölscher страница 8

Название: Auf Biegen oder Brechen

Автор: Thomas Hölscher

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783750218949

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      Manchmal sehnte er sich danach, endlich jemanden zu treffen, der ihn verstand, mit dem er über seine Probleme reden konnte. Aber dann fand er auch das wieder typisch für sich, fand es ekelhaft, dass er mit seinen Problemen nicht alleine fertig wurde, und dann unternahm er letztlich gar nichts, um einen Freund zu finden.

      Anstatt zu suchen fand er nur: Jeden Tag fand er einen anderen Mann toll, den er zufällig in der Stadt, im Büro, an der Uni oder sonst wo gesehen hatte. Natürlich konnte man diese Männer nicht kennenlernen. Nur maßlos bewundern. Meistens konnte man diesen Männern nur hinterher laufen, musste sich erniedrigen und dabei immer Angst haben, sich lächerlich zu machen.

      Aber was bewunderte er eigentlich, wenn er diese Männer sah? Da waren Gesichter, die lediglich einigermaßen akzeptabel sein mussten, wenn nur der Rest stimmte; da waren vor allem Ärsche, Oberschenkel, Hosen, in denen sich ein Schwanz als möglichst großes und fleischiges Etwas abzeichnen konnte. Und da war der Wunsch, sich diesen Ärschen, Oberschenkeln und Schwänzen bedingungslos auszuliefern, bis der eigene Arsch, die eigenen Oberschenkel, der eigene Schwanz nicht mehr da waren und der Hass anfing oder der Wunsch, sich selber einfach auszulöschen.

      Am späten Nachmittag, als er schon längst nicht mehr sagen konnte, was er den ganzen Tag über nun eigentlich gemacht hatte, nahm Börner den Lokalteil der Tageszeitung vom Samstag zur Hand. Er konnte abends in die Oper gehen, und für einen Augenblick holte ihn diese Vorstellung aus seinen trübsinnigen Grübeleien. Er wusste aber sehr bald, dass er es ohnehin nicht tun würde.

      Stattdessen saß er am Wohnzimmerfenster, stierte in den pausenlos fallenden Regen und bedauerte sich selbst.

      Diese Stadt war wirklich scheußlich.

      Noch vor 130 Jahren war hier ein Dorf mit ein paar hundert Einwohnern und sonst nichts. Und als es dann mit dem Bergbau losging, da war von Planung und Organisation nichts zu spüren. Wo man gerade auf Kohle stieß, da wurde eine Zeche hingestellt, und ringsum bauten die von überall her zugezogenen Menschen ihre Häuser, weil sie ja irgendwo wohnen mussten. Ein völlig planloses Durcheinander von Wohnflächen, Fabrikanlagen und Brachland war die Folge, und gerade ihrer sogar im Ruhrgebiet einzigartigen Hässlichkeit verdankte die Stadt ihren Ruf. Einen schlechten zwar, aber immerhin.

      Nur die Menschen fühlen sich hier wohl und wollen nirgendwo anders wohnen. Es regt sich hier niemand auf über wilde Gärten, ungepflegte Laubenkolonien, Zechenhäuser voller Taubenscheiße und Badeszenen im Rhein-Herne-Kanal. Man lebt und lässt leben, und doch lässt es sich nicht mehr verschleiern, dass diese Art zu leben und leben zu lassen langsam aber sicher ausstirbt.

      Bald würde er sich noch über jede Giftmülldeponie freuen, weil sie zumindest da ihre grässlichen Eigenheime nicht hinstellen konnten. Börner wohnte seit 1974 in Gelsenkirchen. Zuvor hatte er bei den Eltern in Gütersloh gewohnt, aber schon mit 16 war er nach der Mittleren Reife ausgezogen und hatte die Polizeischule in Bochum besucht. Mehr aus Langeweile denn mit festen Vorstellungen hatte er nach der Ausbildung das Abendgymnasium in Gelsenkirchen besucht und 1978 als Bester das Abitur bestanden.

      Auch den Kommissarslehrgang auf der Fachhochschule in Dortmund hatte er als Bester absolviert. Börner musste lachen: interessiert hatte ihn die ganze Sache da so gut wie gar nicht. Wirklich interessiert hatte ihn nur sein ehemaliger Kollege Milewski. Milewski war für ihn der Mann überhaupt.

      Dass er dann 1982 ausgerechnet mit Milewski zur Kripo nach Gelsenkirchen gekommen war, damit hatte er damals überhaupt nicht gerechnet. Aber seine berufliche Karriere beim 1.K. hatte dann ja nicht einmal 2 Jahre gedauert.

      Börner verdrängte diese Erinnerungen. Er wollte nicht mehr daran denken, sich vor allem nicht wieder fragen, ob er nun selber gekündigt hatte oder ohnehin geflogen, disziplinarisch belangt oder sonst was wäre. Auch an Milewski wollte er jetzt nicht denken.

      Missmutig sah er aus dem Fenster. Es war jetzt 18 Uhr, es regnete immer noch, und dieser verdammte Sonntag war wohl einfach nicht totzukriegen.

      Da war immer noch die Möglichkeit, in die Oper zu gehen. Gelsenkirchen ohne Oper war wie ein Fisch ohne Fahrrad; wenn die Leute hier Spaß haben wollten, gingen sie auf Schalke.

      Und damit stand für ihn endgültig fest, dass er auf keinen Fall in die Oper gehen würde.

      7

      Ob er Depressionen hatte oder nicht, wie er das Gefühl schlechter Laune ansonsten bezeichnen sollte, und woher es denn wohl kam, all das waren Fragen, mit denen Hauptwachtmeister Geilenberg nichts am Hut hatte. Er war fast einsneunzig, und seine aschblonden Haare auf dem Kopf und unter der Nase hatten ebenfalls Gardemaß. Sein Arsch und seine Oberschenkel hatten maßgeblichen Anteil an den 88 Kilogramm, die er auf die Waage brachte, und die Hosen, die er kaufte, saßen genau da, wo sie vor allem sitzen mussten: Wenn man einen attraktiven und um seine Attraktivität wissenden und sie ausnutzenden Mann eine Schnitte nennen will, dann war Hauptwachtmeister Geilenberg eine Schnitte. Er stand, wie man so sagt, mit beiden Beinen im Leben. Irgendwoanders zu stehen war ihm niemals eingefallen.

      Seinen Dienst tat er auf der Wache in der Oberhausener Innenstadt, wohnte jedoch im nördlichen Teil der Stadt, in Sterkrade, nur ein paar hundert Meter von der Stadtgrenze entfernt. Von seinem Haus aus konnte er das gelbe Ortsschild von Dinslaken sehen.

      Das kleine Einfamilienhaus lag in einer Siedlung gleich aussehender Einfamilienhäuser. Mit seinen 24 Jahren hätte Stefan Geilenberg kaum das Geld für dieses Haus selber ersparen können. Seine Frau, die als Sekretärin bei einer großen Oberhausener Stahlfirma gearbeitet hatte, hatte dieses Haus als Erbstück von einer ihr eigentlich kaum bekannten Großtante mit in die Ehe gebracht. Auch den kleinen Drahthaardackel Egon hatte die Frau mit in die Ehe gebracht. Und dann war da vor allem noch Beppo, ein Zwergesel. Beppo war den jungen Leuten zur Hochzeit und zu ihrem Entsetzen von einem in der gesamten Verwandtschaft als leicht überspannt geltendem Onkel geschenkt worden. Man konnte sich in den kleinen Einfamilienhäusern letztlich sogar mit Eseln arrangieren; was allerdings lästig blieb, waren die nicht seltenen Beschwerden von Nachbarn, die das beizeiten markdurchdringende Geschrei des seltenen Tieres nachdrücklich beanstandeten. In solchen Momenten war gerade die junge Frau völlig verzweifelt: Jetzt komme das dämliche Vieh aber endgültig weg, sagte sie jedes Mal, wenn eine Beschwerde oder gar eine Anzeige des Ordnungsamtes fällig war. Und jedes Mal wusste sie auch, dass sie das nur so sagte: Der Markt für Esel war nicht gerade groß, und die Bemerkung ihres Mannes, man könne Salami aus dem Biest machen lassen, hatte die junge Frau trotz allen Ärgers insgeheim endgültig Beppos Partei ergreifen lassen. Das Tier würde auf keinen Fall wegkommen, so überflüssig es auch war. Und wirklich stören tat es doch gar nicht.

      Sieht man von den Störaktionen gegen die Nachbarschaft einmal ab, so war das Tier überhaupt nur einmal in Erscheinung getreten: Es war auf einer Fete vor ein paar Wochen, Mitte April, gewesen; das für den ansonsten katastrophalen April unglaublich schöne Wetter jenes Samstagabends hatte die ganze Gesellschaft - in der Hauptsache Kollegen des Mannes - in den Garten gehen lassen. Ein Cousin der jungen Frau war es gewesen, der den schon leicht angeheiterten Hauptwachtmeister Geilenberg provoziert hatte, er wage nicht, auf den Esel zu steigen. Dieser hatte nichts Eiligeres zu tun gehabt, als dem Cousin das Gegenteil zu beweisen. Die junge Frau hatte es abgestoßen, wie der baumlange Kerl das kleine Tier gepiesackt hatte, bis es ihn am ganzen Körper zitternd zur Gaudi der Gäste durch den Garten getragen hatte. Und da hatte sie vor allen Gästen einen Ehekrach vom Zaun gebrochen; das war zwar peinlich, aber auch schon lange überfällig gewesen.

      Stefan Geilenberg war ein Macho und Pascha: Die junge Frau hatte in den zwei Ehejahren hinreichend Gelegenheit gehabt, das zu erkennen. Geheiratet hatte sie ihn, weil er blendend aussah und ihr völlig den Kopf verdreht hatte.

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