Wenn Wolken Wandern. Carsten Freytag
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Название: Wenn Wolken Wandern

Автор: Carsten Freytag

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783750214187

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СКАЧАТЬ kämmte mir ausgiebig und lustvoll mein langes Haar, das so wunderschön glänzte und auf das ich so stolz war, das nun nach unten fiel, während ich meinen Kopf nach vorne beugte. Vielleicht würde mir ein Dutt gutstehen. Monika und Ute hatten in der Schule immer ihr Haar aufgesteckt. Mit der linken Hand mein langes Haar am Kopf festhaltend, ergriff ich mit der Rechten das Haarband auf meinem Tisch, richtete mich wieder auf und wickelte mit zwei Umdrehungen das Haarband um mein Haar. Ich befestigte das nun aufrechtstehende Haar mit einer Haarnadel und betrachtete das Ergebnis meines ersten Versuchs im Spiegel. Es konnte sich sehen lassen. Ich hatte den Eindruck, älter auszusehen. Reifer. Erfahrener. Erwachsen. Mit dem Makeup, das ich nun gleichmäßig in meinem Gesicht verrieb, fühlte ich mich wie achtzehn, mit den falschen Wimpern und dem Lidschatten, den ich vorsichtig auftrug, wie zwanzig, mit einer Parfümwolke von L’ARISÈ 119 umgeben, hatte ich das Gefühl, das Alter erreicht zu haben, um endlich aus diesem Haus zu verschwinden. Wie Schocker, der die große Flatter versuchte. Raus aus der Siedlung. Mit Mario im LKW nach San Remo ans Mittelmeer. Sein Traum. Seine Sehnsucht. Sein Ziel, ein neues Leben zu beginnen. Leider gescheitert. Und ich? Ich träumte davon, mein neues Leben in Deutschland mit einem neuen Leben auf den Philippinen eintauschen zu können. Weit weg von meiner Mama, von dem Mann im Haus und von seinen Kindern. So weit weg, dass sie mich nie mehr finden würden. Weit weg von der Schule, die ich nicht vermissen würde. Ich würde Schmuck stehlen wie Richy und den Schmuck für viel, viel Geld auf den Philippinen verkaufen. Für so viel Geld, dass ich mir ein Haus wie die Zuckerbarone in Bacolod kaufen könnte. Mit richtigen Fenstern, Zimmern mit Tapeten, ein Badezimmer mit Fliesen so wie hier bei meiner Mama und ein Swimmingpool. Oma Ocampo könnte darin schwimmen und Noel, aber nicht Jeffrey, der mir immer Angst bereitet hatte.

      Doch das Klopfen an der Tür verriet mir, dass der Traum noch lange nicht in Erfüllung gehen würde. Das Klopfen an der Tür wies zu meiner Erleichterung zudem darauf hin, dass nicht Mama vor meiner Tür stehen konnte. Ein erneutes Klopfen an der Tür zwang mich dazu, mein Schneckenhaus zu öffnen.

      „Ja?“

      „Geraldine, kann ich reinkommen?“

      Der Mann im Haus verlangte nach mir.

      „Ja.“

      Der Mann im Haus öffnete vorsichtig die Tür, schaute irritiert in mein Zimmer hinein, da er eine reife Frau auf dem Stuhl vor dem Spiegel sitzen sah.

      „Ehm, kommst du runter zum Abendessen, Geraldine. Deine Mutter hat Chicken Adobo gekocht.“

      Ich spürte seine Unsicherheit in seiner Stimme. Ich spürte sein Verlangen, etwas zu sagen, etwas zu ergänzen, vielleicht ein Wort bezüglich meiner Transformation, doch

      er unterdrückte seinen Impuls und schluckte die gedachten Worte hinunter.

      „Kann ich hier in meinem Zimmer essen?“

      „Du weißt, Geraldine, dass deine Mutter dich lieber unten am Tisch sitzen sieht“.

      „Bitte. Ich möchte lieber hier oben essen.“

      Der Mann im Haus überlegte kurz. Ich spürte, soweit hatte ich ihn schon durchschaut, wie er überlegte, ob seine Entscheidung, mich hier oben in meinem Zimmer allein essen zu lassen, einen Konflikt mit Mama hervorrufen würde.

      „Nun gut, ich werde dir etwas in dein Zimmer bringen.“

      „Ich danke dir, Hans-Jürgen.“

      Wie ein Luftzug im heißen Sommerwind bei geöffneten Fenstern wehten die Worte gehaucht in sein Ohr.

      „Du bist so nett zu mir.“

      Einen letzten Blick auf mich werfend, schloss er die Tür leise und seine Schritte verloren sich im Korridor.

      Meine Mama hatte es nicht gerne, wenn ich in meinem Zimmer die Speisen zu mir nahm. In der Regel erwartete sie, dass ich nach unten ins Esszimmer kam. Dabei ging es ihr nicht so sehr um die Sorge meines seelischen Wohlergehens, das sie vielleicht durch meinen Rückzug in mein Schneckenhaus hätte gefährdet sehen können, nein, ihr ging es mehr um die Effizienz ihrer Hausarbeit. Unordnung im Haus war verpönt. Und das Essen in meinem Zimmer bedeutete eventuell mehr Unordnung und somit mehr Putzarbeit. Nach der Erholung von einem Ocampo-Anfall, der ihr jeglichen Antrieb, bestenfalls für Stunden, schlimmstenfalls für Tage raubte, verlagerte sich der Arbeitsantrieb meiner Mama exakt in das Gegenteil. Dann wurde geschrubbt, gebohnert, gesaugt, gewischt und gefegt, dass keiner mehr im Haus Ruhe fand. Dabei ihre Lieder singend, betonte sie ein jedes Mal ihre Vorliebe für Sauberkeit und Ordnung im Haus, die ihre Arbeitgeber in Manila, eine reiche Kaufmannsfamilie, zu schätzen gelernt hatten. Nur wunderte ich mich ein jedes Mal, wenn sie diese Tatsache hervorhob, ob sie den Kindern der reichen Kaufmannsfamilie auch eine geballert hatte, wenn sie vergessen hatten, so wie ich manchmal, das benutzte Geschirr in die Spülmaschine zu stellen. Und so gesehen konnte die Entscheidung des Mannes im Haus, mein Abendessen in meinem Zimmer einnehmen zu dürfen, durchaus einen Konflikt mit meiner Mama provozieren.

      „Geraldine! Gaba ka agad !

      Die Entscheidung war getroffen. Natürlich gegen den Mann im Haus. Der herrische Ton meiner Mama forderte mich auf, sofort nach unten zu kommen, um am Essenstisch Platz zu nehmen. Schlechtgelaunt verließ ich mein Schneckenhaus und schlurfte mürrisch die Treppe zum Wohnzimmer hinunter.

      „Wie sieht denn Geraldine aus“, rief Jakob zum Erstaunen aller aus, als ich mich an den Tisch setzte.

      „Geraldine, wie siehst du denn aus!“, rief meine geliebte Mama, „du siehst ja aus wie eine Nutte.“

      Ihre Worte trafen mich so hart wie ihre Schläge in meinem Gesicht. Einen inneren Impuls unterdrückend, einfach mit einem heftigen Ruck aufzustehen und den Ort der Demütigung zu verlassen, schaute ich starr auf den Boden, beinah wie Mama, wenn sie ihren Anfall hatte, und versuchte, die entglittene Kontrolle zurückzugewinnen.

      „Nun lass doch Geraldine endlich einmal in Ruhe“, verteidigte Hans-Jürgen meine Verwandlung in eine reife Frau; eine Verteidigung, die wohl darauf abzielte, es seiner Frau heimzuzahlen, die sich über seine Entscheidung, mir zu erlauben, das Abendessen in meinem Zimmer zu verzehren, hinweggesetzt hatte.

      Vielleicht war der Grund, warum ich mich lieber in mein Schneckenhaus zurückzog, nicht nur die Angst vor meiner Mama und ihrer Unberechenbarkeit, sondern auch Zeuge eines ständigen Machtkampfes zwischen meiner Mama und dem Mann im Haus zu sein. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass der Mann im Haus nicht der Mann im Haus war, weil meine Mama den Ton angab.

      „Geraldine, geh nach oben und wisch die die Schminke aus dem Gesicht, bevor wir essen!“

      „Ich möchte aber nicht. Mir gefällt es so.“

      „Geraldine, ein letztes Mal. Geh nach oben oder du wirst mich kennen lernen.“

      Die Worte kamen so laut gebrüllt wie auf einem Kasernenhof. So laut, dass nicht nur die Nachbarn in der Reihenhaussiedlung den Befehl mithören konnten, sondern so scharf im Ton, dass der kleine Jakob zu weinen anfing.

      „Komm, Geraldine, tu, was deine Mama sagt“, flüsterte Hans-Jürgen, der sich nun eingestehen musste, seinen Kampf gegen seine Frau wieder einmal verloren zu haben. In Erinnerung der letzten Schläge war die Drohung meiner Mama, sie kennen zu lernen, eigentlich völlig überflüssig, aber dennoch erneut ernst zu nehmen, so dass ich mich ohne Worte von meinem Stuhl erhob und die Treppe zu meinem Zimmer hinaufflog, wo ich mich auf das Bett fallen ließ und meine Gefühle mich überwältigten. Auch das Klopfen an der Tür konnte mein Weinen nicht unterdrücken, als Hans-Jürgen СКАЧАТЬ