Название: Der Schrei des Maikäfers
Автор: Sigurd Marx
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783844238679
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Während die Nationalversammlung sich an die Ausarbeitung einer Verfassung machte, regierte nun eine nach parlamentarischen Grundsätzen gewählte Regierung aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und katholischem Zentrum, eine Regierung der linken Mitte. Gleichzeitig kristallisierte sich heraus, dass aus den angestrebten Reformen wohl nichts werden würde, denn die alten Eliten des Kaiserreichs blieben weiter an der Macht. Jedoch die Arbeiter in den industriellen Kerngebieten waren nicht mehr bereit, dies hinzunehmen. Es kam zu großen Streiks an der Ruhr, in Sachsen und Berlin. In Bremen und München entstanden kurzlebige Räterepubliken.
Wieder setzte die Regierung Freikorpsverbände gegen die Aufständischen ein. Wieder gab es zahlreiche Tote. Im Mai waren schließlich alle revolutionären Unruhen mit Waffengewalt niedergeschlagen. Somit war auch die zweite Phase der Revolution gescheitert, in der es, radikaler als zuvor, vor allem auch um ökonomische Fragen gegangen war.
Ein positives Verhältnis zur Revolution von 1918/19 hat die SPD während der Weimarer Republik nicht gewonnen - genau so wenig wie nach dem Mauerfall 1989. Das hat sich schon vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten klar abgezeichnet und später bitter gerächt. Denn Eberts Aversion gegen Streik, insbesondere den politischen, war für die Nazis von großem Nutzen und endete für die SPD, ihre Mitglieder und Sympathisanten sowie anderen demokratischen Parteien in Verboten und Verfolgung. Von lebendiger, revolutionärer Tradition konnte keine Rede sein. Die Weimarer Demokratische Republik gründete ihr Selbstverständnis nicht auf die Revolution, sondern allenfalls auf deren Überwindung.
Aber nicht die Verfassungskonstruktion war Schuld daran sondern vor allem diejenigen, die nicht zu ihrer Republik standen und sie bekämpften. Eher den Eigennutz als den Gemeinwillen verwirklichten und die in der Weimarer Verfassung vorausgesetzte Kompromissbereitschaft und Achtung Andersdenkender in ein klein kariertes Freund/Feind - Verhältnis auflösten - damals so wie heute.
Zu optimistisch hatten die Verfassungsgeber geglaubt, mit dem Wechsel von der Monarchie zur Demokratie seien auch die Bürger und ihre Vertretungen befreit von obrigkeitsstaatlicher Bevormundung, mündig und reif, die eigene Souveränität anzunehmen und auszuüben.
Spätesten am 24. März 1933 stellte sich diese Hoffnung als fatal heraus als zwei Drittel der Parlamentarier des Deutschen Reichstages zu »Nickeseln« mutierten und sich selbst entmachteten! Einer dieser Nickesel wurde sodann im ersten Nachkriegsparlament 1949 unser erster Bundespräsident; Theodor Heuß.
An diesem Tag hat das vom neu gewählten Reichstag beschlossene »Ermächtigungsgesetz« die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt und die Weimarer Republik zerstört. Die Folge dieser Zerstörung war der Aufstieg und spätere Fall von Adolf Hitler und damit einhergehend der Zweite Weltkrieg, die Zerstörung großer Teile von Europa und die totale Zerstörung von Großdeutschland.
Aber bis zum Tode meines »Ehrenpaten Adolf« verbrachten wir noch eine friedliche Zeit in dieser schönen hanseatischen Villa in Stralsund mit ihrem imposanten Marmortreppenaufgang, den großen, hohen und lichtdurchfluteten Zimmern mit den wunderschönen Stuckornamenten an der Decke, der Frau von Hela in Stralsund. Und aus jeder Deckenecke lächelte huldvoll ein pausbäckiges Puttengesicht auf den stets verträumten Knaben Sigurd Adolf hinab, der sich nach Hause, nach seinem Freund Eberhard Pommerenke und seiner heimlichen Liebe Inge Losigkeit sehnte.
In dieser Villa hat der Knabe erstmals in seinem jungen Leben nicht nur konspirativen Gesprächen zuhören dürfen, was zu damaliger Zeit bei bekanntwerden die Todesstrafe zur Folge gehabt hätte sondern erstmalig auch in einem mit Marmor gekachelten Bad in einer weißen Badewanne gebadet. Zu Hause fand diese Art der wöchentlichen Waschzeremonie immer nur in einem großen Holzzuber in der Waschküche des Amtsgerichts statt.
Auch Stralsund war im März 1945 mit Flüchtlingen überfüllt. Verpflegt wurden wir mit vielen anderen Flüchtlingen in einer Gemeinschaftsküche. Zum Schulunterricht brauchten sich die Schüler seinerzeit auch nicht mehr einzufinden, weil natürlich die noch wenigen intakten Schulgebäude als Notunterkünfte für Flüchtlinge benutzt wurden.
Für uns Schüler begann eine abenteuerliche Zeit. Ich machte die Bekanntschaft weiterer Flüchtlingskameraden. Wir spielten im Hafen und in zerbombten Häuserruinen, die noch nach Brand rochen. Krochen in die Keller der Ruinen und suchten in den Trümmern unter anderem auch nach Bombensplittern und nicht gezündeten Brandbomben. Gott sei Dank, haben wir nie eine Brandbombe gefunden. Denn was hätte uns in unserem jugendlichen Leichtsinn mit so einem gefährlichen Fund nicht alles passieren können? Sehr viele Kinder sind nach dem Kriege beim Spielen und Hantieren mit herumliegender Munition durch Explosionen schwer verletzt, viele sogar getötet worden.
Frau von Hela sollte Recht behalten, denn auch Stralsund blieb vom Vormarsch der russischen Armee nicht verschont. Die Russen rückten auf breiter Front näher und Frau von Hela war schon Tage vorher, ohne uns Adieu zu sagen, verschwunden.
Es war in der Karfreitagwoche 1945, als unsere Mutter aufgefordert wurde sofort mit uns Kindern und nur mit dem nötigsten Handgepäck Stralsund mit dem nächsten Zug zu verlassen.
Auf dem Bahnhof herrschte das reinste Chaos. Fast jede der zu evakuierenden Familien glaubte für sich und ihrem mitgenommen Gepäck ein Anrecht auf ein eigenes Abteil zu haben. In Anbetracht der massenhaft zu evakuierenden Flüchtlinge ein absolutes Unding. Polizei und Feldgendarmerie mussten energisch durchgreifen und die größeren Gepäckstücke mit Brachialgewalt aus den Abteilen entfernen. Das überflüssige Gepäck wurde durch die geöffneten Fenster auf die Gleise und den Bahnsteig geworfen, umso weiteren Flüchtlingen Mitfahrgelegenheit nach Westen zu verschaffen.
Die Feldgendarmerie kontrollierte bis zur Abfahrt des Zuges ständig sämtliche Abteile, um ältere wehrfähige Männer und junge Pimpfe herauszuholen und diese sodann zum letzten Kriegseinsatz zu verpflichten, um in Stralsund für Führer, Volk und Vaterland bis zur letzten Patrone zu kämpfen - ihr Ende ist hinreichend bekannt, denn die Russen kannten kein Erbarmen mit den so genannten jungen »Wehrwölfen«.
Dieser mit Flüchtlingen überfüllte Eisenbahnzug fuhr sodann eine Woche lang kreuz und quer, hin und her, immer nach einem offenen Schienenweg in den Westen Deutschlands suchend.
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Mein Ehrenpate, der größte »Führer aller Zeiten«, Adolf Hitler, wurde am 20. April 1889 in Braunau am Inn in Österreich als Sohn eines kleinen österreichischen Zollbeamten geboren.
Bestimmend für die Vorstellungswelt des Autodidakten und Dilettanten, der 1905 den Realschulbesuch in Linz abgebrochen hatte, wurde sein Aufenthalt in Wien (1907—1913), der mit dem zweimaligen vergeblichen Versuch der Aufnahme in die Kunstakademie begann und sich seit 1909 zunehmend im Männerheim abspielte. Mein Ehrenpate, Führer und Reichskanzler, ein Fantast und Einzelgänger, der nach seinem Schulabbruch vom Verkauf gemalter Postkarten lebte, nahm begierig das im gärenden Nationalitätenstaat der Habsburger besonders virulente nationalistisch-völkische und antisemitische Gedankengut auf. 1913 siedelte er orientierungslos nach München über. Der Staatenlose und Stellungslose fand erst als Kriegsfreiwilliger 1914 seine Selbstbestätigung. Mehrfach verwundet und wegen Tapferkeit ausgezeichnet, kam er nach dem Zusammenbruch 1918 in die Politik, als er, von der Reichswehr in München als politischer »Bildungsoffizier« verwandt, die Zugkraft seiner völkisch-antisemitischen Agitation entdeckte und 1919 in die Deutsche Arbeiterpartei eintrat.
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