Der Schrei des Maikäfers. Sigurd Marx
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Название: Der Schrei des Maikäfers

Автор: Sigurd Marx

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783844238679

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СКАЧАТЬ der drei Tigerpanzer zurückgeschlagen werden konnte. Unsere kleine pommersche Stadt wurde zur Festung erklärt.

      Früh am Morgen kam der Befehl, alle Einwohner haben sofort die Stadt zu verlassen und die restlichen Soldaten ihre vorgegebenen Stellungen einzunehmen. Danach war die ganze Stadt in Aufruhr.

      2

       Im Amtsgericht spielten sich an diesem Morgen der Räumung der Stadt dramatische Szenen ab. Viele Mütter standen mit ihren Kindern zu Fuß zur Flucht bereit und wussten nicht wohin mit sich und den Kindern. Meine Schwester Hilde behielt die Nerven und verhandelte geschickt mit dem Vorgesetzten der im Amtsgericht noch anwesenden Stabssoldaten, dass zumindest die kleineren Kinder mit den Kraftfahrzeugen der abziehenden Soldaten mitfahren dürfen, um wenigstens sie vor den zu erwartenden Fronteinwirkungen zu retten.

      Glücklicherweise gab der Kommandeur sodann Befehl, die restlichen im Amtsgericht noch anwesenden Frauen und Kinder auf die noch verbliebenen Fahrzeuge zu verladen und sofort die militärisch nicht zu haltende Stadt zu verlassen. Bei Vollzugsmeldung der Verlegungsbereitschaft der Einheit an den Kommandeur wurde ihm gemeldet, dass zwei meiner älteren Brüder, Gerhard und Otto, fehlten. Gerhard 15 Jahre alt und strammer Pimpf, Otto bereits 17, aber nicht wehrdiensttauglich. Höchstwahrscheinlich hatten sie sich entgegen der Weisung unserer Mutter auf die Straße begeben und wurden dort von Feldgendarmen, die im Volksmund auch die »Kettenhunde« genannt wurden, aufgegriffen und zum Volkssturm eingeteilt, um die Stadt vor den einfallenden Russen zu verteidigen.

      Mutter drehte regelrecht durch und bekam einen Nervenzusammenbruch, denn sie wollte verständlicher Weise ohne die beiden nicht aus Massow abreisen. Ich weiß es heute noch wie damals: Es war der Stabsoffizier Hans Rabauer, der meine Mutter, mit welchen Worten auch immer, beruhigte und sie in den PKW des Kommandeurs komplimentierte und der Konvoi sich endlich stadtauswärts in Bewegung setzen konnte.

      Schon nach kurzer Zeit musste der Konvoi auf der verstopften und durch Panzersperren verengten Straßenkreuzung in Fahrtrichtung Naugard halten. Plötzlich wurde die Tür des Fahrzeuges, in dem ich mit weiteren Geschwistern saß, aufgerissen und mein Bruder Gerhard sprang atemlos und keuchend in das Auto. »Mensch Junge, wo kommst du denn her«? fragte ihn einer der Soldaten. Wie bereits vermutet wurde, sollten meine Brüder mit anderen jungen Pimpfen und alten Volkssturmmännern auf Weisung der Feldjäger unsere Stadt mit einem Arm voll Panzerfäusten und eingesammelten Jagdgewehren vor den anstürmenden Russen verteidigen. Ältere Volkssturmmänner hatten den Pimpfen jedoch geraten: »Jungens, nehmt eure Beine in die Hand und haut ab, bevor die Russen euch massakrieren«.

      Bruder Gerhard befolgte diesen Rat und konnte sich im letzten Augenblick zu uns flüchten und so sein Leben retten. Andere sowie mein Bruder Otto leider nicht. Dreizehn Pimpfe aus Massow haben an diesem Tage ihr junges Leben für Führer, Volk und Vaterland gelassen, wie wir Jahre später von unserem Frisör, Kalli Weidemann, erfahren haben. Sie fanden Ihre letzte Ruhe im kühlen Wiesengrunde hinter dem Mühlenrad der Massower Mühle direkt gegenüber dem Massower See; heute polnisch Maszewo.

      Er und seine Familie haben die Flucht aus Massow 1945 vor den anstürmenden russischen Soldaten nicht mehr geschafft. Sie haben bei den Kämpfen um unsere Stadt und nach ihrer Besetzung durch die Russen Grauenhaftes erlebt und gesehen, worüber seine liebe Mutter verrückt geworden ist.

      Kalli Weidemann berichtete meinen Eltern auch, er habe versucht, die jungen Mädchen und Frauen von Massow vor der russischen Soldateska dadurch zu schützen, indem er ihnen einen Herrenhaarschnitt frisierte und sie sich sodann wie Jungen kleideten. Aber einige Tage später wussten die Russen, von wem auch immer, welche »Jungen« sie sich greifen mussten, um ihre sexuellen Gelüste an diesen gewaltsam auszuleben. Und die Gewaltorgien der russischen Soldateska wirken bis heute nach wie man von einem missbrauchten, zwischenzeitlich dreiundsiebzigjährigen »weißhaarigen Mädchen« anlässlich der TV-Diskussion bei Reinhard Beckmann am 18. Mai 2009 erfahren hat; missbrauchte Kriegskinder bleiben traumatisiert.

      Die Familie Weidemann sowie alle restlichen Einwohner von Massow, die im Frühjahr 1945 von der russischen Front überrollt und in Massow das Kriegsende erlebt hatten, wurden 1946 von den neuen Machthabern, den Polen vertrieben.

      Mein Bruder Otto wird seit unserer Flucht und ein weiterer meiner Brüder, Alfred, er meldete sich 1944 freiwillig zur Front, werden bis heute vermisst. Ein Schicksal, das hunderttausende deutscher Männer und Frauen während und nach den Kriegswirren getroffen hat. Tausende Frauen, Mädchen und Jungen wurden von der russischen Siegermacht nach der Kapitulation 1945 nach Sibirien deportiert.

      Die Flucht ging weiter und es klingt verrückt, aber der Militärkonvoi fuhr mit uns auf Schleichwegen direkt durch die Hauptkampflinie in Richtung Naugard, Stettin, Berlin. Ringsherum brennende Dörfer und fliehende Menschen. Das reinste Inferno.

      Abends erreichten wir ein brennendes Dorf, in dem wir in einem der wenigen unbeschädigten Häuser übernachteten. Mit dem ersten Tageslicht setzte sich der Fahrzeugkonvoi wieder in Richtung Stettin/Berlin in Bewegung. Irgendwann erreichte der Militärkonvoi im Laufe des frühen Vormittags die Autobahn auf der sich an diesem Tage noch grausame Dramen abspielen sollten, die bis heute unauslöschlich in meinem Gedächtnis geblieben sind. Auf der rechten Fahrbahnspur, so weit das Auge sehen konnte, ein langer Flüchtlingstreck, der kurz vor Eintreffen unseres Militärkonvois von russischen Tieffliegern mit Bomben beworfen und danach im Tiefflug zusammengeschossen worden war.

      Aus dem Auto heraus sah ich Entsetzliches: Zerstörte, brennende Planwagen, verletzte, vor Schmerzen schreiende Menschen und wimmernde Kinder, die ihre Mütter suchten. Verletzte, wiehernde Pferde mit aufgerissenen Bäuchen, die sich wild windend aus ihrem Geschirr zu befreien versuchten und andere Pferde, die wild und irr über die Autobahn galoppierten, teilweise noch das restliche Pferdegespann hinter sich herziehend und alles niedertretend, was ihnen im Wege war. Ein höllisches, grauenhaftes Inferno.

      Damals waren die Autobahnen noch nicht durch Leitplanken geteilt und von Autos kaum frequentiert. Der Militärkonvoi wich auf die verkehrsfreie Gegenfahrbahn aus und fuhr dort in Richtung Berlin weiter. Beim nächsten Halt des Konvois ereilte uns alle ein fürchterlicher Schock. Der PKW des Kommandeurs, in dem auch Mutter saß, war bei dem Ausweichmanöver im Autobahninferno irgendwo auf der Autobahn liegen geblieben, ohne das jemand der anderen Fahrzeugführer das Zurückbleiben bemerkt hatte. Hinter uns und links von der Autobahn auf den freien Feldern sah man bereits die aufmarschierenden russischen Soldaten. Was konnte man tun? Eine dramatische Situation. Es war Stabsoffizier Hans Rabauer, der die Übersicht behielt und sich anbot, mit einem anderen Fahrzeug und zusätzlich mit einem bewaffneten MG-Schützen auf der Autobahn zurückzufahren, um nach den Vermissten zu suchen.

      Sollten sie wider Erwarten nicht innerhalb einer Stunde zurück sein, möge der ganze Tross ohne sie und den vermissten Kommandeur weiter fahren. Der wartende Konvoi fuhr von der Autobahn seitwärts in die Deckung eines Kiefernwaldes. Höchste militärische Sicherung nach allen Seiten der Deckung sowie banges ängstliches Warten. Würden wir Mutter und die vermissten Soldaten jemals wiedersehen?

      Nach einer von allen empfundenen Zeit der Ewigkeit kam Stabssoldat Rabauer mit meiner lieben Mutter, dem vermissten Kommandeur und seinem defekten PKW im Schlepptau zurück. Der Fahrzeugkonvoi fuhr aus der Deckung des Waldes heraus, weiter auf der Autobahn mit neuem Aufmarschziel: Oderbruch, Seelower Berge.

      Irgendwann im Laufe des Tages war für uns der Schutz und die Fürsorge durch die Kurlandsoldaten für immer zu Ende. Die Soldaten verfrachteten uns in Eberswalde auf einen dort abfahrbereiten offenen Güterzug, der von dort nach Stralsund fahren sollte. Es folgte ein tränenreicher Dank und Abschied von den uns so lieb gewonnenen Kurland-Soldaten, die sich in dieser Gegend den russischen Soldaten zum letzten Kampf stellen mussten.

      Den ganzen Tag und die folgende Nacht fuhren wir in einem offenen Waggon eines Güterzugs kreuz und quer СКАЧАТЬ