Der Schrei des Maikäfers. Sigurd Marx
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Название: Der Schrei des Maikäfers

Автор: Sigurd Marx

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9783844238679

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СКАЧАТЬ kalt, besonders in der Nacht. Toiletten hatte ein offener Güterwaggon der Deutschen Reichsbahn natürlich nicht. Ob sie wollten oder nicht; Frauen, Kinder und alte Männer waren gezwungen, menschenunwürdig, ihre Notdurft in einer Ecke des Waggons zu verrichten, denn einen Aborteimer gab es nicht.

      Irgendwann am frühen Morgen, es war noch dunkel, fuhr der Güterzug in den Bahnhof der nach einem Bombenangriff noch brennenden Stadt Stralsund ein. Hier kamen wir nach allen überstandenen Strapazen für ein paar Wochen zu einer wohlverdienten Ruhe. Vielleicht kam hier erstmals unser allgemein gepflegtes Erscheinungsbild zur Geltung, vielleicht auch Mutters Silbernes und Goldenes Mutterkreuz, die sie sichtbar trug, denn ohne andere Flüchtlinge wurden nur wir Krögers in einer wunderschönen Villa in der Nähe des Stralsunder Hafens einquartiert.

      Die Hausherrin, eine Frau von Hela, lebte mit einem deportierten, zwangsverpflichteten polnischen Dienstmädchen ganz alleine in dieser großen Villa. Sie war Offizierswitwe und eine attraktive, feine, vornehme Dame, die sich rührend um uns Krögers kümmerte. Es gab Kakao mit feinstem Gebäck und für meine Mutter servierte sie echten Bohnenkaffee aus Bremen. Meine Mutter als »alte Kaffeetante« war hin und weg vor Freude und rief euphorisch: »Mein Gott, echter Bohnenkaffee aus Bremen, wo es doch in dieser Zeit an allem mangelt«. Und dann fragte sie sich, ob sie wohl jemals in ihrem Leben wohl noch einmal nach Bremen kommen würde?

      Allerdings glaubte Mutter vorerst fest daran, die in Hinterpommern eingedrungene russische Armee würde schnellstmöglich wieder nach Russland zurückgedrängt und wir könnten danach baldmöglichst wieder nach Massow zurückkehren.

      Aber ein altes Sprichwort traf seinerzeit auf alle Deutschen zu: »Hoffen und Harren, hält manchen zum Narren«. Denn die einen hofften auf die »Wunderwaffe« und die anderen hofften auf die Wendung des Krieges zum Guten.

      Beides traf nicht ein. Frau von Hela war über die damalige allgemeine Kriegslage sehr gut informiert. Sie bezog ihre Informationen aus ihren offensichtlich sehr guten Verbindungen nach Schweden und versuchte unsere Mutter bei Kaffee und Konfekt schonend auf das nahe Ende des (Tausendjährigen) Deutschen Reiches, die bedingungslose Kapitulation, und die folgende Not und das Elend, das über die überlebende Zivilbevölkerung hereinbrechen würde, den Verlust der Heimat und der deutschen Ostgebiete, vorzubereiten.

      Zwischen den beiden Frauen entspann sich während diesen Kaffeestunden immer wieder eine heiße Diskussion über die Frage, wer der Schuldige am zweiten Weltkrieg und dem früh erkennbaren Untergang Großdeutschlands sei. Mutter behauptete, mein Ehrenpate, der dilettantische Gefreite, Adolf Hitler und seine ihm opportunistisch ergebenen Offiziere hätten alles Leid sowie den Untergang des deutschen Reiches in Folge des zweiten Weltkriegs zu verantworten.

      Frau von Hela verwies auf die, ihrer Ansicht nach ebenfalls stets opportunistische, deutsche Beamtenschaft bei der Übernahme der Staatsgewalt durch die Nazis und betonte dann mit besonders erhobener Stimme: »zu der letztendlich, liebe Frau Kröger, auch ihr Ehemann als Justizbeamter gehört, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht«!

      Mutter war über diese bei Frau von Hela vorherrschenden Meinung, sehr erbost. Heute weiß der einst junge und jetzt alte Knabe, beide Frauen hatten auf ihre Weise Recht, denn die Schwäche der preußischen Offiziere resultierte auch aus der Schwäche und dem Ende der Weimarer Verfassung sowie die Entmündigung seiner Beamten durch das Hitlerregime.

      Wie ich später als erwachsener junger Mann während meines Studiums beim Verfassungsunterricht gelernt habe, war die erste demokratische Verfassung Deutschlands keine reine Neuschöpfung, sondern knüpfte in ihren Kerngedanken und in der Verteilung der Zuständigkeiten an die Traditionen früherer deutscher Verfassungen an. Ihr geistiger Urheber, Prof. Hugo Preuß und ihr endgültiger Schöpfer, die deutsche Nationalversammlung, fühlten sich als Vollender der in der deutschen Nationalversammlung von 1848/49 konzipierten Ideen der Freiheit und Gleichheit. Aber auch die Deutsche Nationalversammlung konnte sich leider nicht der Prägung durch den deutschen Obrigkeitsstaat entziehen.

      Und so spiegeln sich monarchische Elemente deutscher Verfassungsüberlieferung in der seinerzeit starken Stellung des Reichspräsidenten als Inhaber einer außerordentlichen, fast diktatorischen Regierungsform wider, die später Hitlers Regierungsform sehr entgegenkam.

      Abgesehen von aller weltanschaulichen Verschiedenheit mag in der Einschränkung letzter Eigenverantwortlichkeit ein Grund dafür liegen, dass die Parteien der Mitte bald auseinander drifteten. Behaftet mit dem Makel des angeblichen »Verrates und der Dolchstoßlegende«, beschwert mit der Bürde einen verlorenen Weltkrieg ausbaden zu müssen, hat die Weimarer Republik am Ende auch ihren Halt an ihrer Verfassung verloren – und wir, die »Weiße Generation« sollten aufpassen, dass wir vor lauter »Terrorismushysterie«, nicht auch den Halt an unserer Verfassung, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verlieren!

      Obwohl der Hitlerjunge Sigurd Adolf Kröger kein Historiker wurde, ist er sich heute ganz sicher, dass das Ende der Weimarer Republik auch in der nicht ausgelebten und unterdrückten November Revolution von 1918 gesehen werden muss. Angesichts der Massenbewegung Anfang November 1918 forderten die führenden Männer der SPD zwar die Abdankung des Kaisers, um den Kontakt zur Basis nicht ganz zu verlieren, nicht aber die Abschaffung der Monarchie mit ihrer monarchistischen Bürokratie und Justiz; ein schwerer politischer Sündenfall, wie sich noch zeigen sollte.

      Und Friedrich Ebert als richtungsweisender Mann innerhalb der SPD, soll gesagt haben, bevor ihm Max von Baden das Reichskanzleramt übertrug, er hasse die Revolution wie die Sünde – mein Gott; was wäre Deutschland, Europa und der Welt erspart geblieben, wenn dieser „richtungweisende Sozialdemokrat“ den Mut aufgebracht hätte, in Zusammenarbeit mit den Kommunisten, zur Revolution aufzurufen.

      Als der Sozialdemokrat Philip Scheidemann am 09. November 1918 die Republik ausrief, weil er meinte, mindestens dies müsse man den Hunderttausenden auf den Straßen Berlins anbieten, damit die Bürger nicht scharenweise zu den radikalen Linken überliefen, soll er von Ebert heftig kritisiert worden sein. Die Wiederherstellung von Ruhe und Ordnung war in dieser Situation für Ebert vorrangiges Ziel.

      Heute im 21. Jahrhundert; in der Weltwirtschaftskrise des Jahres 2009 heißt das vorrangige Ziel: Erhaltung des sozialen Friedens, damit das neue Prekariat, die verarmten Wähler, nicht in Scharen zur »Neuen Linken« überlaufen.

      Als machtbewusster und tonangebender Mann im Rat der Volksbeauftragten sorgte Ebert dafür, dass die Verwaltung und Justiz »im Namen des Volkes« ungehindert weiterarbeiten konnten. Denn Ebert baute auf die Macht des Militärs und der Verwaltung, um eine Ausbreitung der Revolution zu verhindern und möglichst rasch wieder zu geordneten Verhältnissen zu kommen. Dagegen strebte der Rätekongress die Entmachtung der alten Eliten, der Militärs und Junker, der Kohle- und Stahlbarone, der monarchistischen Bürokratie und Justiz, wie aber auch die Entscheidung für eine parlamentarische Regierungsform an. Wohl war Ebert für die parlamentarische Regierungsform, er versuchte jedoch nicht, die Macht der Eliten zu schmälern, auf deren Unterstützung er angewiesen zu sein glaubte. In der Linken machte sich Wut und Enttäuschung breit – damals so wie heute. Ende Dezember 1918 schieden die unabhängigen Sozialdemokraten aus. Gestützt auf bürgerliche Minister, regierten die Sozialdemokraten nun allein.

      Die Gegensätze wurden schärfer, die Unruhen nahmen zu, auch das Misstrauen vieler Arbeiter gegenüber der sozialdemokratisch geführten Regierung (damals so wie heute).

      Am 05. Januar 1919 folgten Hunderttausende von Berlinern einem Aufruf zur Demonstration. Überwältigt von diesem Erfolg beschlossen die Berliner oppositionellen Sozialisten, auf den Sturz der Regierung zu drängen. Spontan, aber auch reichlich dilettantisch, wurden Verlagsgebäude besetzt, aber nicht strategische wichtige Positionen. Noch heute ist in diesem Zusammenhang vom »Spartakusaufstand« die Rede. Es lag allerdings schon damals im Interesse der SPD-Regierung, die Aktionen als gefährlichen Umsturzversuch darzustellen und dafür den Spartakusbund verantwortlich СКАЧАТЬ