Название: Tot im Wohnwagen
Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750253230
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„Wahrscheinlich denkt er, das arme mutterlose Kind braucht besonders viel Liebe.“
„Richtig. Aber keine Grenzen setzen – das ist doch keine Liebe, sondern Weicheiverhalten!“
„Ganz genau. Wir haben doch auch nicht alles gedurft, oder? Hat uns gar nichts geschadet. Huch – hab ich das jetzt eben wirklich gesagt? Ich werde alt!“
Sonja kicherte. „Was glaubst du, wie oft ich schon Elternsprech abgesondert habe. Ab dreißig ist das unvermeidlich.“
2
Gegen fünf war sie für heute fertig und schaukelte gemütlich im Bus Richtung Birkenried, wobei sie über die Ratschläge nachdachte, die sie Jenny Meusel und noch zwei weiteren mäßig verschuldeten jungen Frauen erteilt hatte. Beziehungsweise diese Verhaltensweisen mehr oder weniger aus ihnen herausgekitzelt hatte. Doch, das funktionierte – wenn sie es verinnerlichten. Sie selbst hatte doch in dieser Woche auch erst – naja – zwölf Euro oder so ausgegeben – wozu auch mehr? Sie brauchte nichts, zu essen war noch genug im Haus, Wasser kam aus dem Hahn, den guten grünen Tee hatte sie auch noch – und ihre angenehm kleine Wohnung verhinderte doch ohnehin, dass sie zuviel Krempel ansammelte. Am schlimmsten waren sogenannte Deko-Artikel! Ab und zu schlenderte sie zum Spaß durch ein Möbelhaus, das sehr günstig im Nordwesten von Birkenried lag und wohl immer noch hauptsächlich von den neu Zuziehenden lebte. Was es da an Dekokram gab! Goldene Buddhas, geschnitzte Kästlein, Vasen, Kunstblumen, glitzernde Kissen, Püppchen, die auf den Regalkanten sitzen sollten – von Oster- und Weihnachtskram ganz zu schweigen. Furchtbares Zeug, das sah doch nur überladen und unordentlich aus!
Ihr kam solcher Tinnef jedenfalls nicht ins Haus. Ob Jenny Meusel sich an ihre ersten Schritte hielt? Der Versuchung widerstehen konnte? So einfach war es eben nicht, eingefahrene Verhaltensweisen zu ändern… die übrigen „Klienten“ heute waren vergleichsweise harmlos oder wenigstens unproblematisch – mit der Bank bereits im Reinen, bei der Familienberatung angemeldet, fest entschlossen, das Jobangebot von der Arbeitsagentur anzunehmen… na, auch bei denen konnte noch alles Mögliche schief gehen.
Aber oft klappte es ja auch, und das machte diesen Beruf so erfreulich. Wenn man nur einmal pro Monat jemanden aus einer Krise herausholen konnte, hatte man doch schon etwas Vernünftiges erreicht? Der Bus schnurrte über die Rabenbrücke (warum hieß die eigentlich nicht Zollinger oder Birkenrieder Brücke?) und Nele lächelte selbstzufrieden vor sich hin. Dann nahm sie sich wieder zusammen, denn eine Heilige war sie schließlich nicht und Malte mit seiner Fahrradwerkstatt war ein mindestens genauso nützlicher Bürger. Merle eines Tages, wenn sie mit dem Studium fertig war, bestimmt auch. Immerhin schien ja ihr grässlicher Pseudoschwiegervater aufgehört zu haben, ihr auf die Nerven zu fallen. Als ob Merle nicht imstande sei, Klein-Emma aufzuziehen! Mama half ihr, Nele selbst sprang auch gelegentlich ein, und Emma entwickelte sich prächtig, sie konnte mit ihren neun Monaten schon beinahe laufen und brabbelte (zugegeben noch unverständlich) vor sich hin. Vier Zähnchen hatte sie auch schon, was hatte der alte Huther also eigentlich zu meckern gehabt? Immerhin schien er sich mittlerweile beruhigt zu habe; vielleicht hatte ihm seine Frau auch endlich den Mund verboten. Angela Huther war wirklich ganz vernünftig.
Fontaneallee.
Nach einigen Schritten schnupperte sie angewidert: Dieser gammelige Geruch war tatsächlich noch stärker geworden, da musste jemand in einem dieser Schrottwohnwagen vor Wochen mindestens ein Kilo Hackfleisch – ungekühlt – vergessen haben. Ekelhaft. Sie sollte wirklich das Ordnungsamt informieren – oder wer auch immer für sowas zuständig war. Sich nur ärgern nutzte schließlich auch nichts!
Das tat sie auch als erstes, als sie nach Hause kam. Gut, nach dem zufriedenen Blick über die karge Ordentlichkeit allenthalben – wer wenig besaß, konnte eben leicht Ordnung halten!
Im Ordnungsamt zeigten sie wenig Interesse – sie solle eben die Polizei anrufen, wenn sie ein Verbrechen vermute. Geduldig wiederholte sie, dass es nicht um ein Verbrechen, sondern nur um einen unglaublichen Gestank gehe, vielleicht sei das sogar gesundheitsschädlich: Wer sei denn dann zuständig?
Der Typ am anderen Ende der Leitung schnaufte belästigt und riet zur Feuerwehr.
Nele schnaufte auch. „Wetten, die sagen, dafür ist das Ordnungsamt zuständig? Arbeitet in dieser Stadt eigentlich überhaupt jemand etwas?“
Natürlich wurde daraufhin der Hörer aufgeknallt.
„Blöder Arsch“, murmelte Nele und versuchte es bei der Feuerwehr, nicht ohne zu erzählen, dass dieser Tipp von einem stinkfaulen Mitarbeiter im Ordnungsamt stamme.
„Das kennen wir schon“, wurde sie beruhigt. „Wir schauen da mal vorbei, versprochen.“
Nele gab Namen und Adresse an und bedankte sich recht herzlich. Vielleicht ging ja jetzt bald einmal etwas voran, man konnte an diesen Schrottmobilen kaum noch vorbeigehen, ohne ohnmächtig werden!
Und jetzt?
Sie kochte sich ihr Lieblingsessen, Vollkornspaghetti mit Gemüsesauce (Tomatenmark, Gewürze, Olivenöl, Paprikaschnipsel in grün und rot, rote Bohnen und ein bisschen Mais). Etwas gehobelten Parmesan darüber… sie setzte sich an ihren kleinen Tisch und speiste zufrieden; hinterher gab es noch einen wunderbar sauren grünen Apfel. Sie trug Geschirr und Apfelbutzen zur Küchenzeile, rülpste satt und spülte schnell ab, dann warf sie sich mit dem Handy aufs Bettsofa und rief ihre Schwester an.
Merle freute sich, sie zu hören, und erwähnte umgehend eine dringend zu schreibende Seminararbeit und eine sehr unruhige Emma. Das funktionierte auch sofort: „Soll ich vorbeikommen und ein bisschen auf Emma aufpassen?“
„Das wäre toll! Mama ist auch beschäftigt – und Papa ist mit Emma immer ein bisschen ungeschickt.“
Also machte Nele sich wieder auf, noch einmal zurück über die Leiß, jetzt aber in das etwas bürgerlichere Mönchberg! In Selling musste sie dazu in einen anderen Bus umsteigen, aber unterwegs konnte sie ja immerhin ein bisschen lesen… außerdem wurde sie unterwegs gleich dreimal angerufen – eine Umfrage, die sie gleich wegdrückte, Papa, der morgen grillen wollte: ob Nele kommen und vielleicht einen Tomatensalat mitbringen könne? Nele sagte zu, das konnte ja vielleicht ganz lustig werden. Der dritte Anruf kam von einem Callcenter: Ob sie Interesse an lukrativen Geldanlagen hätte?
„Das heißt im Klartext, ob ich mich gerne ausnehmen lassen möchte? Nein, danke. Übrigens machen Sie sich strafbar, wenn Sie Leute ohne deren Einverständnis belästigen, wissen Sie das nicht?“
„Wieso belästigen?“
„Leute, die mir gegen meinen Willen Geld aus der Tasche ziehen wollen, egal wofür, belästigen mich. Oder haben Sie auch noch eine Einverständniserklärung gefälscht? Ohne ist es doch nicht umsonst verboten, Sie blöder Möchtegern-Krimineller!“
Der Anrufer legte abrupt auf und Nele grinste: Heute war sie gut, schon zwei Leute beleidigt!
Sie sah auf und registrierte das breite Grinsen des Mannes gegenüber. „Toll, wie Sie mit denen umspringen. Diese Telefonwerbung ist wirklich eine Pest!“
Nele bedankte sich heiter für das Lob und erhob sich, um auszusteigen.
Merle freute sich, als sie das große Zimmer im ersten Stock des leicht verwohnten СКАЧАТЬ