Название: Drei Musketiere - Eine verlorene Jugend im Krieg, Band 20
Автор: Frank Hille
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783750247659
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Der Mann gab ein Geräusch von sich, dass sich wie eine Mischung aus einem erstickten Lachen und einem unterdrückten Brüllen anhörte.
„Entschuldigung“ sagte der Oberstleutnant „ein kleines Zurückbleibsel von der Ostfront 1943. Acht Stunden verschüttet in einem Unterstand, und dazu noch mit einem Balken auf der Rübe. Der hat möglicherweise etwas Durcheinander in meinem Kopf angerichtet. Jedenfalls hat man nach meinem Lazarettaufenthalt entschieden, dass ich dem Vaterland noch in der Verwaltung dienen kann. Das tue ich hier und frage mich gerade, was wohl im Kopf des Führers so vorgeht.“
Der Mann machte eine Redepause, Haberkorn schwieg.
„Wenn ich mir die Lage so ansehe muss derjenige, der auf unserer Seite die Befehle gibt, ein ziemlicher Idiot sein. Jede Stunde wird der Feind stärker, und wir? Wir tun nichts, setzen nicht einmal Reserven in Marsch, um den Gegner tatsächlich wieder ins Meer zu werfen. Aber eine Million Mann wirft man nicht so einfach wieder ins Meer. Tja, so geht das aus, wenn nur eine Person entscheidet, die sich selbst für unfehlbar hält.“
Der Oberstleutnant hustete, dann sagte er zu Haberkorn:
„Morgen ist jeglicher zivile Zugverkehr eingestellt. Sie kommen also aus diesem lieblichen Ort vorerst nicht weg. Man sollte es nicht glauben, aber hier leben immerhin knapp 7.000 Leute. Man sieht sie bloß nicht. Irgendwie gespenstisch.“
„Und mit einem Fahrzeug?“
„Einem Fahrzeug? Nun da habe ich einen Opel Blitz zu bieten, leider mit einem Achsbruch. Wir warten schon 3 Monate auf das Ersatzteil. Dann gibt es noch einen Kübelwagen, aber den benötige ich selbst. Ich werde Sie im Hotel „Au Poulet“ einquartieren. Geht so. Die Zimmer sind zwar nicht unbedingt Extraklasse, dafür ist das Essen gut. Weber, der Kerl mit dem Aschenbecher, bringt Sie dann mal rüber. Und Herr Oberleutnant, bitte keine Eigenmächtigkeiten, wie mal auf eigene Faust probieren ob man von hier weiterkommt. Die Posten haben allen Schiss, dass der Tommie vor ihnen auftaucht, und die Abzugsfinger sitzen locker. Es gibt strikten Schießbefehl.“
Der Mann ging zur Tür, riss sie auf und brüllte:
„Gefreiter Weber!“
Der Soldat war sofort zur Stelle.
„Herr Oberstleutnant?“
„Machen Sie für den Oberleutnant mal n Quartierschein für gegenüber fertig, Sie wissen schon.“
Der Soldat verschwand grinsend.
Martin Haberkorn wusste, dass es keinen Sinn hatte, gegen die Festlegungen des Standortkommandanten zu handeln. Einen oder zwei Tage Reiseverzug musste er also einrechnen und er würde dann in der Schreibstube noch ein Telegramm nach Hamburg absetzen lassen, dass er sich verspäten würde. Wenn er daran dachte, wie lange er schon im Krieg war, kam es auf zwei Tage nicht an. Außerdem war gar nicht klar, ob die Zulieferer der Sektionen für den U-Boot-Bau ihre Aufgaben termingerecht erfüllt hatten und überhaupt montagefähige Schüsse vorhanden wären. Haberkorn beschloss also, sich für zwei Tage in Geduld zu üben und abzuschalten.
Der Gefreite hatte ihn in das Hotel gebracht und Haberkorn war über den Zustand seines Zimmers nicht überrascht gewesen, der übliche billige und abgewohnte Standard. Nachdem er eine Weile vollkommen gedankenleer auf dem Bett gelegen hatte, hatte er auf seine Uhr gesehen: 15 Uhr. Es war viel zu zeitig, um hinunter ins Restaurant zu gehen. Er beschloss, sich im Ort etwas umzusehen und vielleicht doch irgendwo etwas zu trinken. Das Ritterkreuz ließ er im Zimmer, dann ging er los. Lamballe war ein typischer französischer Ort, mit den typischen Fassaden der Häuser, dem typischen langgezogenen und von Bäumen beschatteten Platz, wo Boule gespielt wurde, dem typischen Bistro mit Tischen und Stühlen auf dem Fußweg, zwei, drei kleinen Geschäften in den Seitenstraßen, den typischen verwaisten Gassen, der typischen Stille. Es war warm, und Haberkorn setzte sich auf einen wackligen Stuhl vor einem Bistro und bestellte Wasser und ein Glas Rotwein. Die Bedienung hatte kurz gestutzt, denn Haberkorn sprach ein perfektes Französisch mit bretonischem Akzent. Er blieb nicht lange sitzen und ging dann mehr zum Zeitvertreib durch den Ort. Wer hier geboren war kannte das Stadtquartier sicher bald in- und auswendig, fand vielleicht später eine Arbeit in der Landwirtschaft oder in den drei, vier Handwerksbetrieben. Das Leben hier bot nichts außer essen, schlafen, arbeiten, sich vermehren, sterben. Am scheinbaren Ende einer Gasse weitete sich der Weg zu einem Halbkreis, der von zwei knorrigen Bäumen mit dürrem Geäst gebildet wurde. Die Gasse indes führte nach links abbiegend weiter. Zwischen den Bäumen stand eine Bank auf der Haberkorn pausierte und eine Zigarette rauchte. Noch einen Tag würde er in diesem trostlosen Nest nicht aushalten, da konnte der Standortkommandant noch so den Teufel an die Wand malen. Haberkorn hatte sich zwar an die Anweisungen des Oberstleutnants halten wollen, aber dieser trostlose Flecken Erde hier trieb ihn weiter. Schließlich hatte er einen kriegswichtigen Auftrag zu erfüllen. Es war unwahrscheinlich, dass es keinen Verkehr von und nach der kleinen Ortschaft geben sollte. Er würde dem Concierge morgen nach dem Frühstück einen Schein in die Hand drücken, damit dieser geflissentlich sein Gepäck übersah und erklären, dass er nun den Ort besichtigen würde.
Dann würde er an einer Ausfallstraße abwarten, was sich so ergeben würde.
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