Название: Nesthäkchens erstes Schuljahr
Автор: Else Ury
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750293595
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Da lachten auch Großmama und Mutti herzlich. Letztere aber sagte dann: »Wenn du wieder einmal danach gefragt wirst, Lotte, dann sagst du, dein Vater heißt Doktor Braun. Und nun gehe und lege die Mappe ab, Kind, oder willst du gleich bis morgen früh so bleiben?«
Jetzt mußte auch Nesthäkchen lachen, das eben noch ganz bestürzt in die belustigten Gesichter geblickt hatte. Und dann sprang Annemarie, ihre große, rote Schultüte in der Hand, ins Kinderzimmer, wo die Puppen schon sehnsüchtig auf sie warteten.
Da ging ein Leuchten über all die starren Porzellan- und Zelluloidgesichter, als sie ihres kleinen Mütterchens endlich wieder ansichtig wurden.
»Seht mal, Kinder, was ich habe«! Strahlend hielt die Kleine ihren Puppen die große, rote Tüte hin. Die Schulmappe flog – pardauz – in irgendeine Ecke und gerade auf den Puppenjungen Kurt, der sich meistens in allen Ecken herumtrieb.
»Au, meine Hühneraugen!« schrie dieser, trotzdem seine beiden Beine abgeschlagen waren.
Aber Annemarie kümmerte sich nicht um Kurts Schimpfen, wohl aber um das Fräulein.
»Pfui, Annemie, so gehst du mit deiner neuen Mappe um – ein ordentliches kleines Mädchen hängt seine Schulmappe an den dafür bestimmten Haken. Und dann laß dich gleich umziehen. Sachen, die man in der Schule trägt, darf man nicht zu Hause anbehalten, sonst kommen Flecke und Risse hinein.«
Gehorsam befolgte die Kleine Fräuleins Worte. Vorher aber mußte sie noch ganz schnell Gerdachen das Porzellangesicht streicheln.
»Ist dir sehr bange nach mir gewesen, mein Liebling?« flüsterte sie der Puppe ins Ohr.
Die schien mit dem Kopf zu schütteln.
»Na ja, du hast ja jetzt auch einen Mann! Ich habe dich ja gestern noch ganz schnell mit meinem Herrn Leutnant verheiratet, damit du nicht so allein bist, wenn ich in die Schule muß. Der ist noch kein bißchen kaputt, bloß die Nase und der Helm sind etwas eingedrückt. Da habe ich dir doch nicht so doll gefehlt, nicht wahr?« Annemie sah nicht, daß die Puppe nickte, denn Fräulein zog ihr gerade das Hauskleidchen über.
Aber als sich die Kleine jetzt nach dem jungen Ehemann umsah, war der nirgends zu finden. Nach langem Suchen kam der Herr Leutnant endlich aus der Puppenküche hervorgekrochen, dort mußte er wohl gestern Abend beim Hochzeitsschmaus vergessen worden sein. Oder war der Herr Leutnant ein Topfgucker und wollte sehen, was ihm seine liebe Frau Gerda zum Mittag gekocht habe?
Noch ein junges Ehepaar, das gestern Hochzeit gefeiert, hatte Annemie unter ihren Kindern. Das war das blasse Irenchen und der Puppenjunge Kurt mit den abgeschlagenen Beinen. Irenchen saß sogar noch mit dem weißen Brautschleier und dem grünen Petersilienkranz im Haar da.
Die übrigen Puppen schienen von dem Hochzeitstanz sehr müde zu sein. Mariannchen machte ihre Augen, die auch sonst nur aufgingen, nachdem sie ein paar tüchtige Katzenköpfe bekommen hatte, heute überhaupt nicht auf. Lolo, das schwarze Mohrenkind, blinzelte Annemarie verschlafen an, und Baby schlief sogar mit offenen Augen.
Annemarie hatte nicht recht Zeit für ihre Kinder. Schularbeiten gab's zwar noch nicht, aber dafür mußte die Schultüte einer eingehenden Musterung unterzogen werden. Jedes fünfte Stück wanderte dabei in das rote Mäulchen der Kleinen.
Auch am Fenster mußte Nesthäkchen Aufstellung nehmen, ob sich kein braunhaariges Köpfchen drüben am anderen Kinderstubenfenster zeigen wollte. Aber soviel Annemarie auch lugte, nickte und winkte, ja sogar auch hinüberrief, die kleine Margot ließ sich nicht blicken.
Nesthäkchen aber hatte noch mehr zu tun, als am Fenster zu stehen. Das mußte vor allen Dingen Mätzchen frisches Wasser und Futter geben. Denn morgens war dazu keine Zeit mehr gewesen. Annemarie sorgte stets selbst für ihr Kanarienvögelchen, sogar von ihrem Apfel steckte sie meist ein Schnittchen zwischen die Messingstäbe seines Bauers. Dafür sang Annemaries Mätzchen aber auch so schön wie kein anderer Kanarienvogel.
Als Mätzchen versorgt war, ging es zu Hanne in die Küche hinaus.
»Hanne,« begann die Kleine nachdenklich, »was haben Sie denn heute bloß mit dem Bonbon gemacht, den der Kaufmann mir immer zugeschenkt hat, wenn ich mit einholen gegangen bin?«
»Den habe ich mir natürlich nun allein gut schmecken lassen«, lachte die Köchin.
»Wirklich?« zweifelte Klein-Annemarie und setzte dann gutherzig hinzu: »Na, ich habe ja auch dafür die große Schultüte von Großmama!«
Inzwischen waren auch die Brüder aus der Schule gekommen.
»Na, hast du schon einen Tadel bekommen, Annemie?« fragte Bruder Hans, der Untertertianer, neckend das Schwesterchen beim Mittagessen.
»Nee, aber eine seine Schultüte von Großmama; ich gebe dir auch etwas ab, Hänschen – und dir auch, Kläuschen«, setzte das gute, kleine Ding schnell hinzu, als es die begehrlichen Braunaugen des frischgebackenen Sextaners Klaus sah.
»Hast du denn schon eine Schulfreundin?« forschte der.
Nesthäkchen überlegte keinen Augenblick.
»Ja, alle fünfzig Kinder sind meine Schulfreundinnen; so viel Freunde hast du sicher nicht, Kläuschen«, übertrumpfte sie den Bruder.
»Nee,« machte der Sextaner verächtlich, »ein ordentlicher Junge hat überhaupt nur einen Schulfreund. Und höchstens noch einen zweiten für den Notfall, wenn er mal mit dem ersten ›schuss‹ ist. Und mit all den anderen keilt man sich bloß.«
»Dann kann ja Margot Thielen von drüben meine Schulfreundin sein, aber heulen darf sie nicht immerzu. Und wenn ich mit ihr ›schuss‹ bin, dann kommt die Hilde dran, aber nur als zweite Freundin, denn die kann ich nicht recht leiden. Und mit den anderen Kindern werde ich mich gleich morgen keilen!« rief Nesthäkchen eifrig, das sich in allem ein Vorbild an den großen Brüdern nahm. Dazu reckte die Kleine bereits unternehmungslustig die Arme.
»Pfui, Lotte, kleine Mädchen hauen sich doch nicht«, unterbrach Mutti die kriegerische Vornahme ihres Töchterchens mißbilligend.
Vater aber, der es nicht sehen konnte, wenn sein sonniges Nesthäkchen traurig war, fragte schnell, da es bei Muttis Verweis feucht in den Blauaugen seines Lieblings flimmerte: »Wie gefällt dir denn dein Lehrer, Lotte? Hat er denn auch einen Rohrstock?«
Da lachte Annemarie wieder.
»Wir haben doch gar keinen Lehrer, nur ein Fräulein. Und einen ulkigen Namen hat die – wie war er denn bloß noch?« Die Kleine dachte angestrengt nach. »Fräulein Bückling oder Fräulein Flunder, so ähnlich war's. Ach nee, Fräulein Hering; aber süß ist sie!«
»Ich kenne nur sauren Hering,« lachte Hans, »süßen habe ich noch nie gegessen.«
»Mein Fräulein Hering ist aber gar nicht sauer, die ist wirklich süß«, versicherte das Schwesterchen. Dann holte sie die große Schultüte und bot jedem davon etwas an. Sogar auch Hanne und Frieda. Nur für Klaus und Puck suchte sie selbst ein Stück heraus, denn bei beiden war zu befürchten, daß sie sich mehr nahmen, als ihnen zugedacht war.
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