Название: Nesthäkchens Jüngste
Автор: Else Ury
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752937718
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»Als ob ich jemals ein so unvernünftiger Springinsfeld gewesen bin, Rudi. Das heißt, unser Puck, Gott habe ihn selig, hat mir auch am ersten Schultag das Geleit in die Klasse gegeben und dort große Revolution verursacht.«
»Also schau, wie die Alten sungen, zwitschern die Jungen«, neckte der Professor weiter.
»Aber nein, die Ursel ist ja doch zehn Jahre älter, als ich damals gewesen, die muß doch verständiger sein. Wenn sie ihn bloß heimschickt, den Cäsar. Er müßte doch schon längst zurück sein, meinst du nicht, Rudi?«
»Wird halt auch Frühlingsgefühle haben und zarte Fäden zu irgendeiner Hundeschönen anspinnen. Ein Köter hat schließlich auch eine fühlende Brust. Weißt, Weible, an solchem wonnigen, sonnigen Maimorgen werden selbst so alte Eheleut, wie wir zwei beid, wieder jung, gelt, meine Alte?«
»Na, erlaube mal!« Energisch machte sich Annemarie aus dem sie umfangenden Arm Rudis frei. »Alte – ja, das kommt davon, wenn eine junge Frau einen alten Mann heiratet, der bald sein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat. Ich fühle mich heute noch genau so jung wie damals, als uns die Obstbäume hier in unserem lieben Nest zum erstenmal mit ihrem rosigen Blütenregen überschütteten, als noch der verschleierte Wiegenkorb mit irgendeinem quäkenden Etwas unter der maigrünen Linde stand. Wenn die erwachsenen Kinder nicht wären, die einem unbarmherzig den Zeitenspiegel vorhalten – ich glaube, ich wäre sogar fähig, noch dieselben Dummheiten zu machen wie dereinst.«
»Sag ich's nicht, solch Maimorgen wirkt verjüngend wie ein Jungbrunnen. Da sitzen und schwatzen wir, als ob wir noch in den Flitterwochen wären, anstatt uns in den Kampf des Lebens zu stürzen. ›Auf in den Kampf, Torrero‹«, die Melodie aus »Carmen« pfeifend, begab sich der Professor zur Frühsprechstunde.
»Die musikalische Ader und die Vorliebe zur Oper hat die Ursel nun schon ganz gewiß vom Rudi. An dieser erblichen Belastung bin ich, dank meines unmusikalischen Sinnes, gottlob schuldlos. Die kommt auf Rudis Konto«, frohlockte Annemarie. Ehe sie selbst sich an die vielverzweigte Arbeit des Haushalts, die ihrer wartete, begab, trat sie noch für einige Minuten an das Gartenportal, ob denn Cäsar sich noch immer nicht zeigen wollte. Straßauf, straßab kein braun geflecktes Fell, kein Cäsar zu erblicken. Lichtgrüne Wipfel, Sonnengespinst, Vogelgezwitscher und Insektengesurr.
Bis zur letzten Minute hatte Ursel in den Bahnhofsanlagen den schönen Maimorgen genossen. Erst als der nächste Zug in die Station eindampfte, verfiel sie in Trab. Sie konnte gerade noch in den sich bereits langsam wieder in Bewegung setzenden Zug hineinspringen. Und hinter ihr sprang es, trotz ihres »Zurück, Cäsar!« hinein mit vier braunen Hundebeinen, trotz des lauten Protestes des an der Sperre stehenden Beamten: »Der Hund hat ja keine Fahrkarte!« Drin war er, der Cäsar, zur nicht besonderen Freude der Fahrgäste sowohl wie zu Ursels eigener.
»Der Hund gehört ins Hundeabteil – solch großen Köter dürfen Sie überhaupt nicht hier mit reinbringen, der belästigt ja die Mitfahrenden«, beschwerte sich ein älterer Herr, der augenscheinlich noch nicht recht ausgeschlafen hatte. Er schaute ebenso scheel auf den gemütlich sich an sein Knie schmiegenden Cäsar, wie in den Frühlingsmorgen hinaus.
»Ich kann nichts dafür, wenn die Töle hinterdrein kommt«, verteidigte sich Ursel, trotzdem sie ebenfalls ganz und gar nicht von Cäsars Gesellschaft begeistert war. »Und überhaupt – wenn hier kein Hundeabteil ist, ein Raucherabteil ist es ebenso wenig.« Mit nicht mißzuverstehendem Blick schaute sie von der dampfenden Zigarre des unfreundlichen Herrn zu dem Schild »Nichtraucher«.
»Na, nu hört sich ja wohl Verschiedenes auf!« Mit grenzenlosem Erstaunen sah der Herr auf das junge Persönchen, das sich so keck zur Wehr zu setzen wußte. »Ja, das ist die Jugend von heute – keinen Respekt mehr vor dem Alter – ja, ja, dann ist es natürlich kein Wunder – –«
Was kein Wunder war, wurde von einer großen Dampfwolke, die er ingrimmig hervorstieß, verschlungen.
»Herrjott, der Hund is doch keene wilde Bestie nich, vor den brauchen Se sich doch jar nich so zu haben«, schlug sich ein Mann in blauer Arbeitsbluse auf die Seite des hübschen Fräuleins. »Lassen Se man, Freileinchen, von unseretwejen können Se mit Ihre Hundetöle janz ruhig drin bleiben«, begütigte er.
Ursel hatte das deutliche Gefühl, daß weder Vater noch Mutter mit ihrem Benehmen einverstanden gewesen wären. Auch mehrere Herren und Damen, die scheinbar kaum Notiz von dem Zwischenfall nahmen, hielten sie gewiß für einen Frechdachs. Trotzdem blieb Ursel ruhig mit Cäsar in dem ihm nicht zustehenden Abteil, während ihr Gegner mit der gleichen Selbstverständlichkeit seine Morgenzigarre weiterrauchte.
Ganz andere Sorgen hatte die Ursel. Mit gefurchter Stirn schaute sie hinaus in das Blühen ringsum. Was fing sie nur mit Cäsar an? Ein Billett würde sie ihm nachlösen müssen, das war das wenigste. Aber was weiter? Unmöglich konnte sie doch ihren Einzug in ihr neues Tätigkeitsfeld mit dem Vierfüßler halten. Herr Bankdirektor Hildebrandt, bei dem sie sich melden sollte, würde Augen machen. Nein, das ging auf keinen Fall. Hätte sie nur die Zeit, wo sie in den Anlagen gedöst hatte, dazu benutzt, den Ausreißer wieder nach Hause zu spedieren. Nun hatte sie den Salat. Wohin, wohin bloß mit Cäsar?
Zu Edith Rosen – Edith selbst war zwar bestimmt nicht zu Hause; die Freundin besuchte seit April ein Maleratelier. Aber Frau Rosen würde Cäsar wohl inzwischen in Pension nehmen – nein, es ging doch nicht. Eine halbe Stunde verlor sie mit dem Hin und Her sicher noch. Dann lohnte es sich schon gar nicht mehr, heute in der Bank anzutreten. Halt – das war eigentlich ein Gedanke – das war wirklich eine glänzende Idee! Am Ende verzichtete der Bankdirektor dann überhaupt auf ihre Tätigkeit, dann war sie den ganzen Krempel los. Ja, aber der Vater ... er konnte manchmal recht unangenehm werden. Und in diesem Falle würde er ganz bestimmt annehmen, daß sie sich von der neuen Tätigkeit habe drücken wollen, daß sie den Hund mit Vorbedacht mitgenommen habe. Da würde alle gütige Vermittlung ihrer kleinen Muzi nicht mal etwas nützen. Nee – nee – das ging nicht. Alle Verwandten und Freunde, deren Obhut sie den Köter hätte anvertrauen können, wohnten zu entfernt. Es half nichts, Cäsar mußte mit als Banklehrling antreten.
Inzwischen waren die Gärten der Vorstadt draußen armseligen Laubenkolonien gewichen, bis auch diese verräucherten Häusern, rußigen Schornsteinen Platz machten. Berlin war erreicht.
Bis zu dem Bankinstitut hatte Ursel immerhin noch eine Viertelstunde zu Fuß zurückzulegen. Dasselbe befand sich im Herzen der Stadt. Das junge Mädchen beeilte sich nicht sonderlich. Das große Warenhaus von Wertheim, an dem sie vorüber mußte, fesselte mit seinen verlockenden Auslagen ihren für alles Schöne und Elegante nur allzu empfänglichen Blick. Ach, wer sich das alles leisten konnte! Nicht einmal ihre Mutter verstand sie in diesem Punkt. Selbst die begriff es nicht, daß Ursel eine derartige Vorliebe für alle luxuriösen Dinge hatte, und das Kleidsame und Praktische dem verwöhnten jungen Dämchen durchaus nicht genügte. Vronli in ihrer rührenden Einfachheit war wirklich besser dran. Die sehnte sich nicht einmal nach dem tausenderlei Krimskram, welcher der Jüngeren begehrenswert erschien. Die war mit ihrem blauweißgestreiften Schwesternkleid vollständig zufrieden.
Wenn sie in der Bank erst Gehalt bezog, konnte sie sich so mancherlei davon leisten. Zuerst ein elegantes Handtäschchen ... dann Spangenlackschuhe ... vornehmes Parfüm ... seidene Strümpfe brauchte sie auch ... oh, Ursel wußte schon, wie sie ihre Kapitalien anlegen würde. Dazu aber war es vor allem nötig, daß sie Anstalten dazu machte, diese Kapitalien erst mal zu verdienen. Schweren Herzens löste Ursel den Blick von all den märchenhaften Herrlichkeiten und setze ihren Weg in das Geschäftszentrum Berlins fort.
Ein stattliches Gebäude war СКАЧАТЬ