Название: Professors Zwillinge in Italien
Автор: Else Ury
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783750294110
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»Ja, das Leben des Volkes spielt sich hier in Neapel zum größten Teil auf der Straße ab«, bestätigte der Vater.
»Dort macht ein kleines Mädchen Schularbeiten mitten auf der Straße«, rief auch Suse verwundert.
»Wenigstens lernen jetzt die Kinder hier in Neapel Lesen und Schreiben. Es gibt hier noch alte Leute, die es nicht können. Öffentliche Schreiber und Vorleser auf den Plätzen waren hier früher von dem Volk, das nicht lesen und schreiben konnte, sehr gesucht«, erzählte der Vater den Kindern.
»Wie können große Leute nur so dumm sein!« Herbert war wieder mal mit seinem Urteil fertig.
»Seht mal, Kinder, die kleinen Nackedeis dort, die nehmen Sonnenbäder«, lachte die Mutter, auf eine ganze Horde kleiner brauner Kinder, die sich auf den Steinstufen der bergigen Gasse sonnten, weisend. Aber als die Fremden jetzt vorübergingen, streckten sie ihre schmutzigen Händchen aus und bettelten: »Un soldo – un soldo!« Sogar die ganz Kleinen, die kaum sprechen konnten, bettelten schon: »Un so – un so!«
»Muttichen, haben wir nicht noch alte Sachen für die armen nackenden Kinder?« bat Suse, Tränen in den Augen. Ihr Mitleid war geweckt.
»Die Kinder wollen deine Sachen gar nicht, Herzchen. Die gehen nackt, weil's ihnen bequemer ist, und weil die Mittagssonne heiß brennt. So, schaut euch noch die kleinen Makkaroni-Esser hier an.« Der Vater wies auf eine Gruppe bronzefarbener Jungen, die aus einem gemeinsamen Topf mit den Händen ihre Makkaroni herunterschlangen. Sie entwickelten dabei eine ungeheure Schnelligkeit und Geschicklichkeit. Es sah aus, als ob sie um die Wette äßen.
»Wie unmanierlich die essen!« meinte Suse naserümpfend. »Ohne Gabel und ohne Serviette.«
»Die kleinen Neapolitaner sind noch urwüchsig. Ihre Finger sind ihre Gabel«, lachte der Vater.
Aber die Zwillinge waren doch froh, als sie aus der engen, stickigen Gasse wieder zu breiten, schönen Straßen zurückkehrten.
Fruchthändlerinnen, bunte Kämme in den schwarzen Haaren, mit farbenleuchtenden Tüchern, boten allenthalben an den Ecken laut schreiend Südfrüchte aus.
»Vati, ich habe Durst.« Herbert schielte zu den verlockenden Auslagen, Apfelsinen, Mandarinen, Feigen, Datteln und Bananen hinüber. Der gute Vater kaufte herrliche Orangen.
»Hier werden schon aufgemachte Apfelsinen verkauft, nimm doch lieber die«, riet der praktische Sohn.
»Nein, das ist ungesund! Die italienischen Verkäuferinnen sind nicht sauber. Ihr dürft nur Früchte essen, die in Schalen verkauft werden, wenn sie ungewaschen sind. Nie etwas ohne Erlaubnis von den Straßenhändlern kaufen. Versprecht mir das, sonst könnt ihr leicht krank werden«, verlangte der Vater.
Das versprachen die Kinder und ließen sich die schönen, großen Früchte schmecken.
Nachdem sie noch die Galleria Umberto mit ihren eleganten Magazinen und Cafés, das Königliche Schloß, Palazzo Reale genannt, bewundert hatten, merkte der Professor, daß nicht nur Suse blaß und müde aussah, sondern daß auch seine Frau allmählich von all dem Neuen abgespannt wurde.
»Nun werden wir nach St. Elmo hinauffahren und dort essen«, schlug er vor. »Ihr habt vorläufig genug gesehen. Dort oben, von dem Belvedere des alten Klosters, hat man den schönsten Blick auf Neapel und Umgegend.«
»Und der Hafen, Vater? Und das Aquarium? Du hast mir versprochen, daß wir heute hingehen.« Herbert und sein Bubi hatten noch lange nicht genug.
»Ihr bleibt ja mindestens ein Jahr hier, Junge. Da müssen wir doch nicht alles gleich am ersten Tage erledigen. Zum Hafen will ich nachmittags mit euch. Jetzt brennt dort draußen auf der Mole die Sonne zu sehr. Soll ich einen Wagen nehmen, Fränzchen? Du siehst müde aus und Suschen ebenfalls.«
»Au ja, einen Wagen, Vati!« Suse war plötzlich wieder ganz munter geworden.
Und nun erholten sie sich bei einer herrlichen Wagenfahrt aus dem Stadtgewühl hinauf zu den Höhen. Den Corso Vittorio Emanuele ging es aufwärts, der in kühnen Windungen um die Höhe von St. Elmo herumführt.
»Seht mal, Kinder, die Straße ist zum Teil auf Viadukten aufgebaut«, machte der Professor seine Familie auf den kühnen kunstvollen Bau der Straße aufmerksam.
»Viadukt, was ist das, Vater?« erkundigte sich Suse gähnend.
»Eine Art Brücke, die von Steinpfeilern getragen wird und eine Verbindung über ein Tal hinweg bildet.«
»Eisenbahnviadukte gibt's auch, Suse.« Herbert spielte sich schon wieder auf, trotzdem er eigentlich auch nicht genau gewußt hatte, was ein Viadukt war.
»Können die auch nicht einstürzen?« Die Suse war und blieb nun mal ein kleiner Angstmeier.
In den Gärten, welche die Villen umkränzten, blühte es in allen Farben, in allen Düften. Da zeigte es sich, daß die Suse bei den Blumen und Bäumen besser Bescheid wußte als ihr Zwillingsbruder.
Die großen weißen und rosa Tulpenbäume, Magnolien genannt, blühende Pfirsich- und Aprikosenbäume in ihren rosenroten Blütenkleidern, alle kannte sie. Auch den Gummibaum – »genau so einen hat unsere Omama in Berlin, nur viel kleiner. Aber die ollen großen Kaktüsse finde ich gar nicht schön. Meine kleinen in Berlin, die du mir geschickt hast, Vati, sind viel niedlicher.«
»Kakteen heißt die Mehrzahl von Kaktus, Herzchen«, verbesserte der Vater.
»Na, es heißt doch auch die Nuss – die Nüsse«, beschwerte sich Suse.
Aber die Feigenbäume mit ihren rundgezackten Blättern, die fleischigen, blaugrünen Blätter der Agaven mit ihren herrlichen Blüten und die grauen Olivenbäume waren Suse fremd. »Ach, Kastanien«, rief sie freudig, daß sie wieder etwas Bekanntes sah.
»Ja, Edelkastanien, Suschen. Ihre Früchte sind die Maronen, die unten in den Straßen auf Feuer geröstet und verkauft werden.«
Suse konnte schon gar nicht mehr gucken. Sie schloß ermüdet die Augen, trotzdem der Blick auf die Stadt, das Meer und die Berge, je höher man kam, sich um so herrlicher gestaltete.
Und als man dann auf der von Orangengärten umbuschten Glasterrasse vor der Speisekarte saß, mußte man seinen müden Kopf auch noch anstrengen.
»Was wollt ihr essen, Kinder? Ihr dürft euch heute das erste mal, wo wir wieder beisammen sind, etwas auswählen«, sagte der Vater.
»Au fein! Richtig nach der Speisekarte, Vater?« Professors Zwillinge waren noch nicht oft in ihrem zehnjährigen Leben in einem Restaurant gewesen.
»Mit der Speisekarte werdet ihr nicht viel anzufangen wissen«, meinte der Vater lächelnd. »Sie ist italienisch. Ihr versteht sie nicht.«
»Na, Suppe und Braten verstehen wir doch, das kann doch in Italien auch nicht anders schmecken als in Deutschland«, erklärte Herbert.
»Aber es heißt hier anders. Such' dir nur was aus, mein Sohn, wenn du so schlau bist«, scherzte der Vater.
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