Название: Die Faehlings - eine Lübecker Familie
Автор: Eckhard Lange
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783738082043
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Währenddessen waren mehrere Frauen aus dem Dorf zum Ufer gekommen, um Wasser in hölzerne Eimer zu füllen. Alles hatten sie gemeinsam geplant, als ihr Dorfältester sie zur Versammlung der Männer gerufen hatte, um alle auf mögliche Überfälle vorzubereiten. In jeder Hütte wurde das Herdfeuer sorgsam gelöscht, die noch schwelende Glut mit feuchter Erde bedeckt. Das würde heute schwerfallen, war doch der Boden gefroren, aber es musste gelingen. Keine einzige Flamme durften die Feinde vorfinden, um damit Brände auf die Reetdächer zu werfen und alles niederzubrennen. Und erst mühsam Funken aus dem Stein zu schlagen, dazu nahmen sie sich meist nicht die Zeit, wo andere Dörfer zum Plündern einluden.
Warum lassen uns diese Holsten nicht in Ruhe, wo sie doch unsere Nachbarn sind, dachte der Fischer, aber er musste sich zugleich eingestehen, dass auch seine Leute immer wieder dort, jenseits der Grenze, eingefallen waren, um zu brennen und zu rauben. Erst im vergangenen Jahr war Fürst Pribislaw, statt sich an den Ranen zu rächen, ins Holstenland eingefallen, hatte Dörfer niedergebrannt und die Siegesburg zerstört, die ihm wie eine Zwingburg der Deutschen erschien. Es schien Schicksal zu sein, ein geheimer Plan der Götter, dass seit Menschengedenken Feindschaft bestand zwischen den Wagriern und den Sachsen.
Dabei kam man doch gut aus mit all den deutschen Kaufleuten, die zumeist ebenfalls aus dem Land der Sachsen kamen, allerdings von Süden her, wo ein breiter Strom fließen sollte in ein anderes Meer. Doch zum Nachdenken darüber blieb ihm jetzt keine Zeit. Sicher hatte der Dorfälteste bereits zwei junge Männer fortgeschickt als Kundschafter. Sie sollten von jenem Hang aus, wo der Höhenrücken steil abfiel in die sumpfigen Travewiesen, Ausschau nach den Angreifern halten und das Dorf rechtzeitig warnen. Dann würden alle Bewohner das Versteck aufsuchen, das sie hierfür vorbereitet hatten.
Während die Menschen der anderen Dörfer meist ziellos in die Wälder flüchteten, sich dort zerstreuten und oft genug von den Verfolgern aufgespürt und erschlagen wurden, hatten die Männer des Kietzes hier an der Mündung der Wochenitze einen besseren Plan. Ehe der Fluß sich in die Trave ergoß, hatte er viele kleine Sandbänke geschaffen, die inmitten des Schilfs nur dem Kundigen bekannt waren. Und eine besonders große Insel hatte man vor Jahren schon mit vielen Körben Erdreich gefestigt und so einen Lagerplatz geschaffen, auf dem die in den Boden gesteckten Weidenruten inzwischen zu einem dichten Gebüsch hochgewachsen waren, hinter dem sich die ganze Schar der Dorfbewohner gut verbergen konnte. Und der Zugang bestand nur aus flachen Steinen, die man möglichst unregelmäßig ins flache Wasser gelegt hatte, damit niemand sie als künstlichen Weg erkennen konnte. Auch wenn es bitter kalt war, dorthin würden alle fliehen und warten, bis die Gefahr vorüber war.
Rastislav ging eilig zu den Hütten hinauf, wo die Frauen Brot und Ziegenmilch und getrockneten Fisch in Körbe verpackten, um sie auf die Insel mitzunehmen. Nein, Feuer konnten sie dort nicht entfachen, um warmen Brei zu kochen, der Rauch würde sie sonst verraten. Alles hatten sie genau geplant und besprochen und dennoch gehofft, sie würden nie dazu gezwungen sein. Aber heute sollte es wohl anders kommen. Der Fischer trat in sein Haus. In dem einzigen Raum war es rasch kalt geworden, seitdem das Herdfeuer erloschen war. Vesna, seine Frau, und Duscha hatten sich schon in die Wolldecken gewickelt, die nun ihr einziger Schutz gegen die Kälte waren, und auch für Rastislav lag eine Decke bereit. Der Korb mit den Esswaren stand griffbereit neben der schmalen Tür. Nun galt es abzuwarten, bis die Kundschafter weitere Nachricht brachten.
Die beiden jungen Männer, die der Älteste ausgeschickt hatte, standen im Schutz der letzten Buchen, die noch unmittelbar vor dem Steilhang wuchsen, und blickten aufmerksam hinunter in das Tal der Trave. Dort erreichte ein Weg aus dem Westen das Ufer an einer festen Stelle, und wenn es auch keine Furt war, so ließ sich hier doch ein Kahn gut anlanden, um Waren oder Vieh ans andere Ufer zu bringen. Es war anzunehmen, dass die Holsten von dort her kommen würden. Und tatsächlich erkannten sie nur wenig später einige Reiter und viel Fußvolk, das sie begleitete. Ungeordnet und lärmend zog der Haufen heran. Einer der Berittenen lenkte sein Pferd ins Wasser, um die vermutete flache Stelle zu suchen, doch bald wurde der Fluß so tief, dass er umkehren musste. Nein, es war unmöglich, mit dem Fußvolk hier die Trave zu überqueren, und alle Schiffe lagen am anderen Ufer, wie sie rasch erkundeten.
Und noch etwas nahmen sie wahr: Die Männer dort, die bei ihren Schiffen standen und mißtrauisch herüberblickten, sprachen ihre eigene Sprache. Man rief zu ihnen hinüber; es waren deutsche Händler aus Bardowieck und Lüneburg und auch sonst aus dem Sachsenland, ihre Stammesgenossen. Sie weigerten sich, den ganzen Trupp überzusetzen, schließlich seien sie keine Fährleute, sondern Seefahrer, und außerdem gäbe es hier auf dem Werder seit langem keine Wenden mehr, und die würden die Holsten doch suchen. Das war zwar keineswegs die Wahrheit, doch die Kaufleute hatten nicht die Absicht, sich die umwohnenden Slawen zu Feinden zu machen, und obendrein war jeder Kriegszug nur ein Schaden für ihre Geschäfte, wenn er nicht eben diesen Geschäften dienlich war, so wie der Kampf gegen Strauchdiebe und Seeräuber.
Die Holsten berieten eine Weile. Vielleicht hatten die Worte der Kaufleute sie überzeugt, vielleicht war es auch nur das Hindernis, das der Fluß ihnen bereitete, jedenfalls wandten sie sich um und zogen nach Süden ab, folgten dem Weg, der ins Land der Stormarn führte, wohl in der Hoffnung, weiter flussaufwärts eine Furt zu finden, um ins Land der Polaben einzufallen, obwohl diese sich am Feldzug des Fürsten Pribislaw gegen die Siegesburg gar nicht beteiligt hatten. Doch für diese Horden brandschatzender Bauern waren das alles nur Slawen, heidnische Barbaren, die hölzerne Götzen verehrten und christliche Priester verjagten. Ihnen hatten sie Rache geschworen für die vielen Überfälle und vor allem für den Angriff der Wagrier im vergangenen Jahr.
Die beiden Kundschafter schauten den abziehenden Feinden nach. Während einer von ihnen vorsorglich noch auf seinem Beobachtungsposten blieb, kehrte der zweite mit der Nachricht in den Kietz zurück. Als dann auch der letzte Späher dort erschien, begann man, zunächst die Herdfeuer neu zu entzünden, und langsam kehrte der gewohnte Alltag in das Leben im Dorf zurück.
Für Duscha waren das aufregende Stunden gewesen. Zwar hatte sie von der wirklichen Gefahr keinerlei Vorstellung, die Aufregung der Mutter, die Sorge des Vaters hatten dennoch einen tiefen Eindruck in der Sechsjährigen hinterlassen. Doch auch das hatte sie gelernt: Es ist gut, voraus zu denken, Zukünftiges in Gedanken vorwegzunehmen und sich darauf einzustellen. Und – es ist gut, sich selber etwas zuzutrauen, nicht auf fremdes Urteil zu bauen, sondern der eigenen Erkenntnis zu folgen. Das würde sie ihr Leben lang nicht wieder vergessen.
Drittes Kapitel: April 1143
Adolf II., Edler Herr von Schauenburg, war vom jungen Sachsenherzog Heinrich, den man später den Löwen nannte, im Jahre des Heils 1142 erneut mit der Grafschaft über Holsten und Stormarner belehnt worden. Zugleich aber verlieh der Herzog ihm gräfliche Gewalt auch über das Gebiet der Wagrier, um endlich den Widerstand der Wenden dort zu brechen und Wagrien dem Herzogtum und damit dem Reich endgültig einzugliedern.
Es waren unruhige Zeiten, und zwischen Wagriern und Holsten herrschte abgrundtiefer Haß. Fürst Pribislaw von Liubice hatte den Tod Kaiser Lothars genutzt, um ins Holstenland einzufallen. Vor allem die kaiserliche Burg auf dem Siegesberg, dessen Kalkfelsen schier uneinnehmbar über der Trave thronte, war den Slawen ein Ärgernis, ein sichtbares Symbol des deutschen Herrschaftsanspruches über ihr Land. Doch es gelang Pribislaw, die Burg zu erstürmen, und nichts war ihm dringlicher, als sie gründlich zu zerstören. Daß er zugleich auch die Kirche zu ihren Füßen nicht verschonte, von der aus jener Missionar Vicelin seine Reisen ins Land der Wagrier unternahm, war nur konsequent, denn Mission bedeutete für die Slawen nicht nur СКАЧАТЬ