Название: Penelope von der Polyantha
Автор: Edgar Wallace
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783752947861
isbn:
2
Penelope war zum Bahnhof gegangen, um für den nächsten Tag Plätze im Zug nach Quebec zu belegen. Es war ein ganz gewöhnlicher Zug, aber einige Stunden nach seiner Ankunft in Quebec fuhr das Schiff ab. So kam es, daß der Zug für Penelope eine besondere Bedeutung gewann. In ihren Augen war es ein Sonderzug, der allein für sie bestellt war und auf dem vom Schornstein der Lokomotive bis zu den Schlusslichtern des letzten Wagens mit großen Buchstaben geschrieben stand: ›Penelope Pitts Sonderzug nach Europa.‹
Der New-York-Expreß war eben eingelaufen, als sie in die Bahnhofshalle trat und zu den Fahrkartenschaltern gehen wollte. Mit geheimer Ehrfurcht betrachtete sie die bevorzugten Menschen, die aus der rätselhaften Märchenstadt kamen und gleichgültig dem Ausgang des Bahnhofs zuschritten, als ob es nichts Besonderes wäre, in dieser Weltstadt gelebt zu haben und von dort hierherreisen zu können.
Als der Strom der Leute abebbte und nur noch einzelne Nachzügler zu sehen waren, wandte sie sich mit einem Seufzer den Schaltern zu, um die Fahrkarten zu lösen. Danach ging sie langsam wieder dem Ausgang zu. Plötzlich lächelte sie ein Herr an, und bevor sie sich darüber klar wurde, was sie tat, hatte sie ihn zurück angelächelt. Er war groß und sah gut aus. Als er zum Gruß den Hut lüftete, entdeckte sie, daß er ein wenig kahlköpfig war. Offenbar war auch er eben mit dem Expreß aus New York gekommen, denn ein Lederkoffer und ein leichter Mantel lagen zu seinen Füßen, und er sah etwas bestaubt aus, als ob er eine lange Reise hinter sich hätte.
Sie hatte tatsächlich geglaubt, ihn zu kennen, vielleicht war er ihr in Edmonton einmal begegnet. Ihr früherer Chef hatte viele Geschäftsfreunde, und es war nicht ausgeschlossen, daß er zu ihnen gehörte.
»Guten Tag – haben wir uns nicht schon irgendwo gesehen? Sie sind doch aus Detroit? Nein? Dann vielleicht Saint Paul? Dort habe ich viele Leute kennengelernt.«
»Wir irren uns wohl beide«, sagte sie und wollte weitergehen. Aber der Fremde hatte sich schnell umgesehen, ob nicht irgendwo ein unangenehmer Beamter in der Nähe war, und als er sich vergewissert hatte, daß das nicht der Fall war, hielt er sie an.
»Gehen Sie doch nicht fort, mein schönes Fräulein. Sie glauben gar nicht, wie ich mich freue, eine echte Kanadierin zu treffen. Ich bin nämlich Engländer. Können Sie mir nicht sagen, wo man hier eine gute Tasse Tee bekommt?«
»Ich bin in Toronto gar nicht bekannt«, erwiderte sie. »Einer der Pförtner wird Ihnen sicher Auskunft geben können.«
»Warum haben Sie denn so große Eile?« fragte er vorwurfsvoll. »Sie haben doch zuerst mit mir gesprochen und mich angelächelt.«
Sie ging schnell an ihm vorbei, aber er nahm Koffer und Mantel auf, folgte ihr und holte sie ein, bevor sie noch das Bahnhofsgelände verlassen hatte.
»Aber warum laufen Sie denn so? Sie sind doch nicht etwa beleidigt, Fräulein? Ich würde wirklich gern Ihre Bekanntschaft machen – mein Name ist übrigens Whiplow.«
Sie blieb stehen und starrte ihn an.
Whiplow? Das war doch der Name, den Mrs. Dorban im Schlaf erwähnt hatte. Sollte das ein Zufall sein? Der Name war doch recht selten.
»Johnny Whiplow. Wie heißen Sie denn?«
»Darüber fragen Sie am besten Mrs. Dorban«, entgegnete sie.
Ihre Worte machten einen ungeheuren Eindruck auf ihn. Er verfärbte sich und sah jetzt aschgrau aus. Seine Augen traten aus den Höhlen hervor.
»Mrs. – Mrs. Dorban?« fragte er erschrocken. »Ja, kennen Sie die Dame denn? Sie ist doch nicht etwa hier?«
Penelope benutzte seine Verwirrung, um fortzukommen. Als Mr. Whiplow auf die Straße trat, war sie verschwunden.
Mrs. Dorban gegenüber erwähnte sie nichts von ihrem Erlebnis. Penelope sah sie in den vierundzwanzig Stunden, die sie in Toronto verbrachten, auch nicht länger als eine Viertelstunde. Erst als sie im Zug nach Quebec saßen, sprach sie darüber.
»Sind Sie auch sicher, daß er Whiplow hieß? Wie sah er denn aus? Ja, das muß er gewesen sein, dieser Schuft! Er konnte sich niemals beherrschen, wenn er ein hübsches Gesicht sah. Er gehört zu den Männern, die auf den Straßen flanieren, wenn die Ladenmädchen nach Hause gehen. Aber wie kommt er nur ausgerechnet nach Toronto?« Mrs. Dorban biß sich auf die Lippen und blickte düster auf die Felder hinaus, an denen der Zug vorbeieilte. »Ich glaubte, er sei in Südamerika – was macht er nur in Kanada?« Ihre Züge wurden hart, und sie kniff die Augenlider zusammen. »Hat er Ihnen noch irgend etwas gesagt, nachdem er erfuhr, daß Sie mich kannten? War es überhaupt nötig, daß Sie meinen Namen nannten? Aber es wird schon ganz gut gewesen sein. Ich bin sogar froh darüber, sonst hätte ich keine Gewissheit, daß er es wirklich war.« Dann sprach sie in ihrer sprunghaften Art von gleichgültigen Dingen.
Als sie an Bord des Schiffes kamen, glaubte Penelope Whiplow zu sehen. Er stand oben auf dem Bootsdeck bei einer Gruppe von Passagieren und lehnte sich an die Reling. Als sie aber noch einmal genauer hinschaute, war er verschwunden, und sie sah ihn auch während der ganzen weiteren Reise nicht.
Penelope fühlte ein wenig Heimweh, als sich das Schiff vom Land entfernte, aber sie hatte es bald überwunden. Das Leben an Bord war neu und reizvoll für sie und brachte ihr dauernd Überraschungen. Das Schiff selbst schien ihr so romantisch, und die Zukunft lag so vielversprechend vor ihr, daß ihr schon nach zwei Tagen Kanada und ihr bisheriges Leben nur noch wie ein Traum vorkamen.
Cynthia sprach sehr wenig über ihren Mann; sie tat es nur, wenn sie direkt gefragt wurde. Es fiel Penelope auch nicht weiter auf, daß Mrs. Dorban bis nach Kanada gereist war, um eine Sekretärin zu engagieren, während doch in England Tausende fähiger Mädchen Stellung suchten. Sie sah ihr Engagement als eine liebenswürdige Großzügigkeit von Seiten Cynthias an und war ihr deshalb besonders dankbar.
Als sie eines Tages Cynthias Kabine aufräumte – Cynthia war trotz ihrer präzisen und geschäftlichen Art in ihren persönlichen Dingen recht unordentlich und nachlässig –, fand sie ein Blatt Papier. Es war mit Bleistift beschrieben und schien der Entwurf zu einem Telegramm zu sein:
›Dorban, Stone House, Borcombe, England. Habe die richtige Sekretärin gefunden. Bestehe darauf, daß Willis entlassen wird. Wahrscheinlich wurde sie von Stamford Mills geschickt. Dieses Mädchen weiß nichts von dem Fall und hat keine Freunde in England.‹
Penelope war einen Augenblick verwirrt. Sie hatte nicht den geringsten Zweifel, daß dieses Telegramm sich auf sie selbst bezog. Aber wer war Mr. Stamford Mills? Und welchen ›Fall‹ meinte Mrs. Dorban? Sie war etwas unangenehm berührt. Es waren mehrere Sätze ausgestrichen, und sie versuchte auch dies zu lesen. Einer lautete zweifellos: ›Sie macht den Eindruck, als ob sie nicht klatscht.‹
Penelope faltete das Papier wieder zusammen und verwahrte es. Zum erstenmal seit Beginn dieses Abenteuers fühlte sie sich unsicher. Und doch würde sich die ganze Sache sicher sehr einfach aufklären.
Bei der nächsten Gelegenheit brachte sie das Gespräch auf Mr. Dorban.
»Mein Mann haßt Städte«, sagte Cynthia müde und lehnte sich in ihren Stuhl zurück. Sie saßen beide auf dem Promenadendeck. »Wir sind ruhige Leute. Arthur ist eine Art Forscher und geht selten irgendwohin. Ich hoffe, СКАЧАТЬ